Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Freitag, 3. August 2012

Leeres Hotel im Fieberwahn

The Lady of the Lake (La donna del lago)
I 1965
R.: Luigi Bazzoni/Franco Rossellini


Worum geht's?: Nach einer Trennung sucht der deprimierte Schriftsteller Bernard (Peter Baldwin) das alte Hotel am See auf, einen Ort, an dem er seit seiner Kindheit oft seine Ferien verbracht hat.
Dort hatte er sich vor einem Jahr in die hübsche Bedienung Tilde (Virna Lisi) verguckt, welche er nun wiedertreffen möchte.
Doch nach seiner Ankunft: kein Zeichen von Tilde. Stattdessen erfährt er vom Hotelbesitzer (Salvo Randone), dass Tilde sich vor Kurzem vergiftet haben soll.
Vom ortsansässigen Fotografen (Pier Giovanni Anchisi) gibt es eine ganze Verschwörungstheorie obendrauf: Tilde soll, wie auf einem kurz vor ihrem Tod entstandenen Dia gut erkennbar, schwanger gewesen sein, obwohl der Bericht des Gerichtsmediziners angibt, sie sei noch Jungfrau gewesen.
Dabei hatte Bernard sie doch bei seinem letzten Aufenthalt im Strandhotel beim Liebesspiel mit einer ihm unsichtbaren Person beobachtet - vielleicht beim Akt mit ihrem Mörder?
Zusammen mit dem Fotografen macht sich der immermehr von Grippesymptomen geschüttelte Schriftsteller auf die Suche nach der Wahrheit.


Wie fand ich's?: Luigi Bazzoni hat in seinem Leben nur wenige Filme realisiert, doch die, die uns der am 1. März diesen Jahres Verstorbene hinterlassen hat, haben teilweise bei Genrefans schon lange Kultstatus erreicht.
Neben einer kaum bekannten fünfteiligen Dokumentation über Rom und zwei Italo-Western (darunter die ungewöhnliche Carmen-Adaption L'uomo, l'orgoglio, la vendetta (I/BRD 1968 dt.: Mit Django kam der Tod), spreche ich vor allem über die drei mehr als gelungen zu bezeichnenden Gialli: den hier besprochenen  La donna del Lago, den stylishen Giornate nera per l'ariete (I 1971 dt.: Ein Schwarzer Tag für den Widder), sowie den bedrückenden Le Orme (I 1975 mit Mario Fanelli dt.: Spuren auf dem Mond).
Alle drei Beiträge zum italienischen Thrillergenre sind dabei als höchst eigenständig und visuell unterschiedlich zu bezeichnen.
So beginnt La donna del Lago eher wie ein Drama um einen jungen Intellektuellen, der versucht einer gescheiterten Beziehung zu entfliehen und Heil in Kindheitserinnerungen und einer möglichen neuen Liebschaft einer attraktiven Kellnerin sucht. Nur das unaufhörliche Winseln des Winds und das in Schwarz/weiß noch bedrückender wirkende, fast menschenleere Hotel erinnern den Zuschauer anfangs daran, dass er es hier mit einem Psychothriller zu tun hat.
Bazzoni unterstreicht den psychologischen Aspekt seiner Geschichte durch die Verwendung von Voice-over Monologen, welche der Figur Bernards weitere Tiefe verleihen und für den Giallo eher eine Ausnahme darstellt.
Die Story, an der neben Bazzoni, seinem Co-Regisseur Franco Rossellini (ein Cousin Isabella Rosselinis) u. a. auch Giulio Questi beteiligt war, der mit La morte ha fatto l'uovo (I 1968 dt.: Die Falle) ebenfalls einen ungewöhnliche, aufsehenerregengen Giallo gedreht hat, ist für das Genre relativ simpel gehalten, besonders, wenn man ihn mit verschachtelteren Werken Bavas, Argentos oder Martinos vergleicht.
Trotzdem finden sich in La donna del lago neben der starken Neigung zum Drama, genug klassische Motive des Giallo, um den Film im Genre zu verorten zu können.
Als da sind z. B.: der unaufgeklärte Frauenmord, eine zum Detektiv werdende, aussenstehende Person, ein in der Vergangenheit liegendes Geheimnis und nicht zuletzt das Element des Wahnsinns. 
Dass Bazzoni teilweise unvermittelt von einer Szene zur anderen springt, Träume und Gedanken in die Handlung einfügt und mit Überbelichtung und starken Kontrasten bei seiner schwarz/weiss-Fotografie arbeitet (was dem Film auch einen gehörigen Schub in die Gefilde des Film noir gibt), lässt den fiebrigen Zustand des Protagonisten zusätzlich greifbar werden und gibt eine Erklärung für die Tatsache, dass der Zuschauer höchst wahrscheinlich schneller dem oder den Tätern auf die Schliche kommt als Bernard.


Fazit: Erneut eine nie in Deutschland veröffentlichte Perle des Genres. Ein absoluter Geheimtipp für Connaisseure!

Punktewertung: 8 von 10 Punkten