Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Samstag, 21. Dezember 2013

Erotische Verwirrspiele im Schloß

The Lickerish Quartet (Das lüsterne Quartett)
USA 1970
R.: Radley Metzger

 
Worum geht's?: Ein vom Leben ebenso wie von ihrer Beziehung gelangweiltes Ehepaar (Frank Wolff und Erika Remberg) schaut sich im großen Salon ihres Schlosses einen in schmutzigem Schwarz-Weiß gedrehten Amateurporno an.
Ebenfalls anwesend ist ihr erwachsener Sohn (Paolo Turco), dessen starkes Unbehagen über die auf Zelluloid gebannten Handlungen schließlich dazu führt, dass man bald Action und Unterhaltung anderer Art auf dem Rummelplatz im nahegelegenen Städtchen sucht.
Gemeinsam verfolgt man zunächst die tollkühnen Fahrkünste einer Motorradstunttruppe in der gefährlichen Steilwand, doch der wahre Höhepunkt kommt für das Trio, als diese glauben in der attraktiven Fahrerin im weißen Lederdress (Silvana Venturelli) eine der beiden Hauptdarstellerinnen aus dem schlüpfrigen Film von zuvor zu erkennen, wenn auch mit veränderter Haarfarbe.
Seiner Entdeckung sicher, beschließt der Familienvorstand die junge Frau mit nach Hause zu locken, um sich dann dort bei der Vorführung des Streifens über die vermeintliche Peinlichkeit der Darstellerin zu ergötzen.
Gesagt, getan - doch stellt man zurück im heimischen Schloss zur allgemeinen Verblüffung der offensichtlich dysfunktionalen und zerstrittenen Familie fest, dass bei der erneuten Vorführung des Films plötzlich ständig das Gesicht der Hauptdarstellerin verdeckt ist, sei es durch ihre eigenen blonden Haare oder Gegenständen im Raum. Nach eifrigem Zurückspulen muss man sogar feststellen, dass man nun zwar plötzlich das Antlitz der Blondine zu sehen bekommt, es sich aber nun um eine vollkommen andere Person handelt.
Den bösen Plan durch höchst sonderbare Vorkommnisse jäh vereitelt, lädt man das ehemals designierte Opfer ein, die Nacht vor Ort zu verbringen.
Allein im Schlafgemach legt die Schönheit lachend ihre brünette Perücke ab, und bereitet sich schmunzelnd darauf vor, das Leben ihrer Gastgeber in Kürze vollkommen auf den Kopf zu stellen. Schnell wird aus dem scheinbar ahnungslosen Opfer eine umso vergnügtere Täterin und die zuvor noch so angeödeten Schlossbewohner erliegen nur allzu schnell den Verführungskünsten ihres Gastes...



Wie fand ich's?: Der unlängst verstorbene Filmkritiker Roger Ebert hasste diesen Film ebenso sehr wie sein Vorgängerwerk Camille 2000 (USA 1969 dt.: Kameliendame 2000), der es sogar auf Eberts gefürchtete Most Hated Liste schaffte.
Während Camille 2000 für Ebert scheinbar nur eine langweilige Zurschaustellung der größtenteils nackten Hauptdarstellerin Danièle Gaubert war, bemängelte er an The Lickerish Quartet, dass dieser pretentiöser Mist sei, wenn auch schön fotografiert, und bekam von Ebert letztendlich immerhin einen halben Punkt mehr spendiert als Camille 2000.
Dabei vergleicht Ebert in seiner Filmbesprechung The Lickerish Quartet immerhin mit Alain Resnais Meisterwerk L'année dernière à Marienbad (F/I 1961), der es immerhin bei ihm (gerechtfertigterweise) zur Höchstnote **** brachte, ein Vergleich, der in meinen Augen auch überhaupt nicht so weit hergeholt ist, wenngleich ich Metzgers Film eher mit den Werken Allain Robbe-Grillets (vgl. http://dieseltsamefilme.blogspot.de/2013/07/das-paradies-der-langeweile.html) nebeneinander stellen würde, der aber ja wiederum das Drehbuch zu Resnais Glanzstück verfasst hatte.
Sind Marienbad und die Filme Robbe-Grillets wunderbar inszenierte und fotografierte Kunststücke, welche aber nur schwer und manchmal gar nicht zu entziffern sind, ist Metzgers lüsterndes Quartett ein weit weniger undurchsichtiges Ehe- bzw. Familiendrama, welches sich zum Ende des Films auch immer mehr im Stile eines Thrillers selbst entschlüsselt, über dass man einen Anstrich des Übernatürlichen, Märchenhaften gelegt hat, was dem Film in meinen Augen auch die nötige zusätzliche Spannung schenkt, um ihn ohne große Längen über die Laufzeit von 90 Minuten zu bringen.
Dazu tragen natürlich auch die wundervollen Sets bei, welche von Metzgers Kameramann, dem Österreicher Hans Jura, kongenial eingefangen wurden. Das in den Abruzzen gelegene Schloss von Balsorano hatte u. a. auch schon als prächtige Kulisse für Massimo Pupillos wunderbaren Heuler Il boia scarlatto (I/USA 1965 dt.: Scarletto - Schloß des Blutes) mit Mickey Hargitay in der Titelrolle des scharlochroten Henkers hergehalten und beheimatete Jayne Mansfields muskelbepackten Ex-Gatten erneut fast eine Dekade später für die Dreharbeiten zu Riti, magie nere e segrete orge nel trecento... (I 1973 R.: Renato Polselli aka.: Black Magic Rites), einem ebenso schrägen Machwerk italienischer Filmkunst.
Hauptdarstellerin Silvana Venturelli hatte ein Jahr zuvor mit Metzger schon in der bereits oben genannten, frivolen Alexandre Dumas Adaption Camille 2000 gespielt und war auch schon fast am Ende ihrer kurzen Karriere angekommen, was leider auch für den Amerikaner Frank Wolff galt, der mit allen Größen des Spaghettiwesterns gearbeitet hatte, sich aber ein Jahr nach den Dreharbeiten zu The Lickerish Quartet in der Vorweihnachtszeit das Leben nahm. Wolff wurde nur 43 Jahre alt.


Fazit: Eine kunstfertige Mixtur aus Arthouse- und Erotikfilm, abgeschmeckt mit einer ordentlichen Prise Psychedelika. 


Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten

Samstag, 14. Dezember 2013

Von Blutsaugern und der französischen Filmkunst

Irma Vep
F 1996
R.: Olivier Assayas


Worum geht's?: René Vidal (Jean-Pierre Léaud) hat schon bessere Zeiten erlebt. Der Regisseur französischer Filmkunst wirkt kreativlos und leer, sein nächstes Projekt ist ausgerechnet ein Remake des berühmten Stummfilmserials Les Vampires von 1915, eines eigentlich als unantastbar geltenden Werkes.
Für die Hauptrolle der Irma Vep hat der fahrig wirkende Vidal bereits die schöne Chinesin Maggie Cheung (eben jene) besetzt, da ihm deren Präsenz im Actionstreifen Heroic Trio ins Auge gefallen war und er sich offenkundig bereits zuvor in die zarte Asiatin verguckt hatte.
Jene hat am Pariser Set zwar schwer mit der ständig vorhandenen Sprachbarriere zu kämpfen, doch findet sie in der lesbischen Kostümbildnerin Zoé (Nathalie Richard) schnell eine Freundin, welche allerdings, im Gegenteil zu Vidal, aus ihrem Interesse an der am Set stets in schwarzes Latex gekleidete Amazone zunächst noch selbst einen Hehl macht, allerdings bei einer Party von einer Bekannten etwas unsensibel geoutet wird.
Dann erleidet Vidal plötzlich in seiner Wohnung nach einem Streit mit seiner Ehefrau einen Zusammenbruch und es ist ungewiss, ob die Dreharbeiten je abgeschlossen werden.
Während Maggie tapfer versucht sich den Nachstellungen und Intrigen am Set zu erwehren und in Interviews zu kämpfen hat, schwelt versteckt der Plan, Vidal den Film gänzlich zu entziehen und das Projekt von dessen Kollegen José (Lou Castel) beenden zu lassen. Dieser hat nicht nur starke Bedenken, was das bereits von Vidal abgedrehte Material angeht - auch die Hauptdarstellerin ist ihm ein Dorn im Auge.


Wie fand ich's?: Fiktionale Werke über das Filmemachen sind ja in der Filmgeschichte nicht allzu selten, man denke nur an Fellinis autobiografischen Seelenstriptease 8½ (I 1963 dt.: Achteinhalb) oder den eine Dekade später entstandenen La nuit américane (F 1973 dt.: Die amerikanische Nacht) von François Truffaut.
Gleiches trifft auf Filme über Sprachbarrieren zu, Dances with Wolves (USA/GB 1990 R.: Kevin Costner dt.: Der mit dem Wolf tanzt) oder Sofia Coppolas Lost in Translation (USA/J 2003) kommen einem in den Sinn.
Irma Vep verbindet diese beide Inhalte und fügt noch weitere hinzu. Da ist der Filmstar in der Fremde, der daraus resultierende Kulturclash, die deshalb zum Scheitern ebenso verurteilte, lesbische Romanze mit der sensiblen Kostümbildnerin, wie das (scheinbar) zum selbigen verurteilte Remake eines Klassikers aufgrund der Labilität des Inszenators.
Anders als in Woody Allens Stardust Memories (USA 1980) oder dessen direktem Vorbild 8½ verlegt Assayans aber die Protagonistenrolle vom (an Selbstzweifeln leidenden) Regisseur zur Hauptdarstellerin und die Perspektive von innen nach außen. Dadurch verhindert Assayans den direkten Vergleich mit diesen Werken und schafft Raum für zusätzliche Themen und Personen.
So reflektiert Regisseur und Drehbuchautor Assayans nebenher noch über die Stellung des intellektuellen, französischen Arthouse- bzw. Autorenfilms zur Mitte der 90er Jahre, in dem er in einer grotesken Szene dieses ausgerechnet von der Chinesin Cheung gegenüber einem französischen Journalisten und John Woo Fan verteidigen lässt.
Einen zusätzlich melancholischen Ton bekommt der Film durch die zarte Liebesgeschichte zwischen Maggie und Zoe, eine Liebe, die allerdings von Ersterer nicht erwidert wird und in einer wunderbaren Szene vor einer Pariser Disco kulminiert.
Tatsächlich heiratete Oliver Assayas seine Hauptdarstellerin zwei Jahre nach den Dreharbeiten zu Irma Vep im Jahr 1998, man ließ sich allerdings bereits 2001 wieder scheiden, nur um erneut drei Jahre später mit dem mehrfach preisgekrönten Junkiedrama Clean (F/CAN/GB 2004) seine Exfrau wieder als gefeierten Star nicht nur in Cannes auf die Leinwände zu bringen.


Fazit: Eine wundervoll unaufgeregte, lakonische Tragikkomödie über eine Künstlerin in der Fremde und ein ziellos dahinvegetierendes Filmgenre. Das schaff(t)en nur Fellini, Allen oder eben Assayans.

Punktewertung: 8,5 von 10 Punkten

Mittwoch, 27. November 2013

Einmal rasieren, bitte!

Bluebeard (Blaubart)
F/I/BRD 1972
R.: Edward Dmytryk


Worum geht's?: Baron Kurt von Sepper (Richard Burton) kehrt als Held aus dem Ersten Weltkrieg zurück, hat aber nach einem Flugzeugabsturz so starke Verletzungen im Gesicht erlitten, dass sich sein Kinnbart blau gefärbt hat.
Dieses auffällige Merkmal schmälert aber kaum seinen ungemeinen Schlag bei den Frauen, welche ihm reihenweise zu Füssen fallen.
So auch die schöne Greta (Karin Schubert), welche aber durch einen Jagdunfall ein vorzeitiges Ende in grüner Natur findet.
Die nächste Eroberung des mittlerweile in nationalsozialistischer Uniform auftreten Adeligen ist die junge, amerikanische Varietétänzerin Anne (Joey Heatherton), deren guter Freund Sergio (Edward Meeks) schon früh Vorbehalte gegen den neuen Galan hat, seine Kollegin aber nicht daran hindern will und kann, in das fürstliche Herrenhaus der von Seppers zu ziehen.
Dort stößt sie zwar nicht nur schon bald auf die gut gepflegte Mumie von Kurtis Mutter, sondern auch allen Verboten zum Trotz auf einen Geheimheimraum voller tiefgekühlter Frauenleichen.
Schon muss die Schönheit aus den Staaten um ihr Leben bangen, erzählt ihr doch ihr Gemahl ganz freimütig, wie und vor allem warum er die weiblichen Nervensägen im wahrsten Sinne des Wortes kaltgestellt hat.
Mitwisser müssen sterben, dass weiß Anne genauso gut wie der Blaubart, mit dem allerdings jemand ganz anderes noch eine alte Rechnung zu begleichen hat...


Wie fand ich's?: "Burton is 'Bluebeard'" tönt es vom Plakat zu Edward Dmytryks Film und der Grund für diese Besetzung liegt auf der Hand: Burton hatte den Look, die maskuline Eleganz und vor allem den Ruf als echter "Ladykiller".
Allerdings waren Burtons beste Zeiten eigentlich längst vorbei und der fünfmalige Ehemann (davon bekanntermaßen gleich zweimal mit Diva Liz Taylor), brauchte dringend Geld um seinem, nun, hedonistischen Lebensstil auch weiterhin frönen zu können. Burton trank zu diesem Zeitpunkt bereits exzessiv und rauchte etwa hundert Zigaretten am Tag und war wenig anspruchsvoll in der Auswahl seiner Drehbücher.
So landete er wohl auch in diesem Machwerk des sich ebenfalls auf dem absteigenden Ast befindlichen Edward Dmytryk, der mal in den 40ern für seine Beiträge Murder, My Sweet (USA 1944 dt.: Mord, mein Liebling) und Crossfire (USA 1947 dt.: Kreuzfeuer) zur "Schwarzen Serie" beachtet wurde (für Ersteren wurde er sogar für den Oscar als bester Regisseur nominiert) und während der McCathy-Ära als Mitglied der sogenannten  "Hollywood Ten" auf der Schwarzen Liste der paranoiden Kommunistenjäger stand und in den 50ern zahlreiche Kollegen denunzierte, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dmytryk hatte zwar in den 60ern noch den sehr schönen Thriller Mirage (USA 1965 dt.: Die 27. Etage) mit Peck und Matthau in die Lichtspielhäuser gebracht, doch befand sich seine Karriere zu Zeiten von Bluebeard mehr oder weniger am Ende und es sollten nur noch zwei weitere, wenig erfolgreiche Kinofilme auf diesen folgen.
Bluebeard sollte eine europäische Produktion werden und es wundert nicht, dass diese sich an zu dieser Zeit erfolgreichen mitteleuropäischen B-Filmelementen orientiert, soll heißen: Sleaze und Gore waren wohl durchaus erwünscht.
Ob es nun allein Dmytryk zuzuschreiben ist, dass Bluebeard ein einerseits viel zu zahmer, andererseits dramaturgisch vollkommen zerfahrener Film geworden ist, bleibt sicherlich strittig.
Ich hatte jedoch mehrfach den Eindruck, dass zumindest Burton sein Unbehagen an dieser Unternehmung durchaus anzumerken ist und er sich sichtlich ein großes Glas mit hochgeistigem Inhalt herbeiwünscht.
Dabei bietet der Film in den ersten etwa fünfundvierzig Minuten recht solide Kost, bis die von ihrer Rolle eh' scheinbar leicht überforderte Joey Heatherton (ein Ex-Kinderstar, der eigentlich zur Tänzerin geboren war) das versteckte Zimmer findet und das Drehbuch sich genötigt sieht, Blaubart nun von allen seinen Opfern berichten zu lassen. Von nun an driftet der Streifen urplötzlich in die übelsten Bereiche der Schmierenkomödie ab und selbst aus den Auftritten solcher Damen wie Nathalie Delon, Raquel Welch, Sybill Danning und Marilù Tolo lediglich peinliche Lachnummern werden lässt.
Anscheinend war man sich nämlich unsicher, ob das Publikum Burton tatsächlich in der finsteren Rolle des sadistischen Frauenmörders sehen wolle, und reicherte so alle Flashbacks des Barons mit extrem überzeichneten Frauenfiguren an, sodass man als Zuschauer nur allzu gut versteht, dass der Adlige dieser Nervensägen überdrüssig wurde. Da gibt es die unmoralische Nonne (Welch), die unreife Infantile (Delon), die selbstverliebte Prostituierte (Danning) und die masochistische Kommunistin (Tolo), welche alle dermaßen an den Nerven des Zuschauers zerren, dass er geradezu betet, Burton möge diese möglichst schnell ins Jenseits befördern.
Noch übler wirken diese (unfreiwillig?) komischen Szenen im Kontext des restlichen Films, betrachtet man die eher marginale Rahmenhandlung um des Barons Karriere als Nazilakai (das Naziploitationgenre war ja gerade in Form von Lee Frosts Love Camp 7 [USA 1969] frisch aus dem Ei gesprungen) und die kurze Szene, in der dieser ein jüdisches Getto niederbrennen lässt. Weil man hier offenbar seinem eigenen, pseudodokumentarischen Anspruch misstraute (oder rechtliche Einschränkungen von den deutschen Produzenten befürchtete), zeigen die Flaggen, Uniformen und Armbinden der Faschisten allerdings keine Swastika, sondern Fantasiekreuze (s. h. Foto).
So bleibt vom aufwendig angedachten Blaubart mit seiner eigentlich beachtlichen Besetzung und seinen ansehnlichen Sets nur eine dröge Nummernrevue mit schalem Nachgeschmack, die nichts aus nur einer ihrer Ideen macht. Für einen Thriller nicht spannend genug, für eine Komödie zu nervig und witzlos, für eine Farce zu gewöhnlich, für ein Drama zu oberflächlich.
Was hingegen gelang, ist der (wie immer) tolle Score von Maestro Ennio Morricone, dessen Titelmelodie lange im Ohr bleibt.
Na ja, das ist dann doch noch wenigstens etwas...


Fazit: Der Bart ist ab - dieser Baron verfehlt sein Ziel auf praktisch allen Ebenen! Zwei Stunden seines Lebens kann man besser verbringen.

Punktewertung: 3,75 von 10 Punkten

Freitag, 22. November 2013

Da pfeift man nun besser nicht drauf!

Whistle and I'll Come to You
GB 1968
R.: Jonathan Miller


Worum geht's?: Professor Parkins (Michael Hordern) verlebt die Winterferien in einem kleinen Hotel an der Ostküste Englands.
Der schrullige Akademiker verbringt seine Tage allerdings lieber mit ausgiebigen Spaziergängen, als mit geselligen Golfturnieren, weiß aber ein gutes Frühstück durchaus zu schätzen.
Eines stürmischen Mittags findet Parkins auf einem an einer Klippe gelegenem Friedhof eine aus Knochen geschnitzte Flöte, auf der etwas eingraviert ist. Zurück im Hotel gelingt es dem findigen Gelehrten auch schnell die Buchstaben zu entziffern und die lateinische Inschrift zu übersetzen: "Quis est iste qui venit", heißt natürlich "Wer ist es, der da kommt".
Nach einem neugierigen Pusten auf dem Instrument glaubt Parkins zwar etwas Sonderbares wahrzunehmen, doch ist der Intellektuelle abgeklärt genug, diesem ungewohnten Gefühl keinerlei weitere Bedeutung zuzumessen.
Ebenso lässt man sich nicht auf die unakademisch gestellte Frage eines anderen Gastes (Ambrose Coghill) beim gemeinsamen Frühstück ein, ob man denn an Geister glaube, stattdessen beginnt der Mann der Wissenschaft sofort den Fragesatz auf seine Logik und Grammatik zu überprüfen.
Was Parkins allerdings nicht ahnt: Er hat durch das Spielen auf der Flöte unlängst bereits eine Entität gerufen, der es egal ist, ob man an sie glaubt oder nicht und der das zweite Bett in Parkins Raum wie gerufen kommt.
Schon bald werden die Nächte des Professors interessanter als dessen Tage...


Wie fand ich's?: Dieser etwa 41-minütige TV-Film wurde im Rahmen der BBC-Reihe Omnibus (GB 1967-2003) produziert, einer Reihe, welche allerdings größtenteils Kunstdokumentation und Künstlerporträts präsentierte, womit Jonathan Millers Adaption einer klassischen Shortstory M. R. James (*1862; †1936) mit dem sehr ähnlichen Titel Oh, Whistle, and I'll Come to You My Lad eine eher ungewöhnliche Ausnahme innerhalb des langlebigen Programms darstellte.
Tatsächlich muss aber gerade diese Folge erfolgreich genug gewesen sein, um die BBC einige Jahre später auf die Idee einer achtteiligen, zu Weihnachten ausgestrahlten Miniserie mit dem schönen Titel A Ghost Story for Christmas (GB 1971-1978) gebracht zu haben, welche in den ersten fünf ausgestrahlten Episoden ebenfalls auf Adaptionen von James Geistergeschichten setzte.
Die akademische Vita James (er war an den Universitäten von Cambridge und Eton tätig) sowie dessen Interesse an antiquarischen Büchern und an der Altertumsforschung schlägt sich auch in seinem Werk teilweise fast autobiografisch nieder. So auch in Oh, pfeif' nur, und gleich komm' ich zu dir, mein Schatz (so der deutsche Titel der Kurzgeschichte), wenngleich das Drehbuch aus dem jungen, sauberen und "sprachlich präzisen" Protagonisten der literarischen Vorlage einen murmelnden, in ständigen Selbstgesprächen gefangenen Exzentriker macht, der kaum in der Lage ist mit seinen Mitmenschen auf einem normalen Level zu kommunizieren und im Fernsehfilm von Michael Hordern perfekt dargestellt wird.
Hordern (*1911†1995) kann man gut und gern als ein Urgestein der britischen Filmlandschaft bezeichnen, trat er doch in mehr als 160 Rollen auf, war für Film, Fernsehen und Radio tätig und wurde für sein Wirken 1983 von der Queen zum Sir geschlagen.
Regisseur Jonathan Miller wurde diese Ehre im selben Jahr zu teil, erlangte aber eher als Opernregisseur Mitte der 70er Jahre Geltung. Daneben war Miller des Öfteren für die BBC tätig und schuf für diese u. a. 1966 mit Alice in Wonderland eine der interessantesten, erwachsenen, wenngleich etwas zähen Lewis Carroll Adaptionen.
Millers eher nüchterner, unaufgeregter, teilweise kammerspielartiger Inszenierungsstil steht der klassischen Gespenstergeschichte hier sehr gut zu Gesicht und ist für ein von allzu vielen Jumpscares mittlerweile gelangweiltes Publikum vielleicht gerade zu eine Wohltat. Paranormale Aktivitäten gab es halt doch schon vor 2007...
Nun gut, Millers an Angelschnüre befestigtes Gespensternetz ist arg simpel getrickst, tat aber zumindest bei mir sehr gut seinen Dienst - manchmal ist weniger eben doch mehr und die Fantasie des Zuschauers ein stärkeres Mittel sich den angedeuteten Schrecken selber auszumalen als die Künste jedes Special-FX Designers.
Vor der schroffen Kulisse der windumtosten Küstenlandschaft und des stillen Hotels entfaltet sich so ein behagliches Grauen und ein zutiefst menschliches Drama, ist dies doch auch die Geschichte eines eingefleischten Intellektuellen, dessen Geist am Ende daran zerbricht, dass seine Logik vor dem Unbekannten, das er herbeiruft, kapitulieren muss.
Im Jahre 2005 nahm die BBC die Tradition der Ghost Stories for Christmas wieder auf und produzierte 2010 ein gleichnamiges Remake von Whistle and I'll Come to You (GB 2010 R.: Andy de Emmony). Leider konnten die Macher bei der Adaption des Stoffes mal wieder nicht an sich halten und "modernisierten" die Geschichte, in dem man ganz zeitgemäß eine etwas an japanische Horrorfilme erinnernde Nebenhandlung um Professor Parkins ins Heim abgeschobene, demente Gattin einfügte und die (immerhin titelgebende) Pfeife einfach durch einen Ring ersetzte. John Hurt ist zwar ein würdiger Nachfolger Horderns in der Hauptrolle, doch wirkt der nun sozialkritische Plot ebenso aufgesetzt wie unnötig.
Wer wie ich jedoch Gefallen an Millers 68er Version gefunden hat, dem sei stattdessen an dieser Stelle die oben genannte Miniserie im Allgemeinen und deren Folgen A Warning to the Curious (GB 1972) und Lost Hearts (GB 1973) im Besonderen ans Herz gelegt. Beide entstanden unter der Regie eines Lawrence Gordon Clark, basieren wie Whistle and I'll Come to You auf Kurzgeschichten von M. R. James und sind wunderbar gruslig. Während A Warning to the Curious erneut seinen Protagonisten mit einem unvermutet rachsüchtigen Geist konfrontiert, fährt Lost Hearts gar noch einen Kindermörder und dessen zwei untote, minderjährige Opfer auf.
Da die Serie zumindest in Großbritannien in verschiedenen DVD-Boxsets käuflich erhältlich ist, sei somit für schrecklich gute Unterhaltung in der (Vor-)Weihnachtszeit gesorgt, allerdings wären Untertitel ein tolles, zusätzliches Geschenk gewesen. Man kann halt wohl nicht leider nicht alles haben...


Fazit: Altmodischer Kurzgrusler mit schönem Slowburneffekt. Ein wahrer, britischer TV-Klassiker!

Punktewertung: 9,5 von 10 Punkten

Samstag, 9. November 2013

Der Teufel steckt doch immer im Detail

Bedazzled (Mephisto '68)
UK 1968
R.: Stanley Donen


Worum geht's?: Stanley Moon (Dudley Moore) ist nur einer von vielen frustrierten, jungen Männern im London zu Zeiten der swinging Sixties. Als gelangweilter Koch in einem Schnellimbiss bleibt ihm lediglich die Hoffnung auf eine zärtliche Bande mit seiner Kollegin Margaret (Eleanor Bron), welche er Tag für Tag aus seiner Burgerküche heraus anschmachtet, ohne jedoch je den Mut aufbringen zu können, seinen Schwarm einmal tatsächlich anzusprechen.
Perspektivlos beschließt Stanley so eines Tages seinem Leben endgültig ein Ende setzen zu wollen, doch ach, auch hier scheitert der sympathische Loser und das Bleirohr, an dem er sich aufknüpfen möchte gibt unter seinem bescheidenen Gewicht im entscheidenden Moment nach.
Da erscheint unversehens ein seltsamer Stutzer (Peter Cook) in Cape und Abendanzug in seiner armseligen Unterkunft und macht dem Verzweifelten ein höllisch verlockendes Angebot: Gegen den bescheidenen Preis seiner Seele soll Stanley sieben Wünsche erhalten, die ihn endlich in die Lage versetzten könnten, den Rest seines Lebens glücklich an der Seite von Margaret verbringen zu können.
Zuerst ungläubig erkennt Stanley jedoch recht schnell, dass sich hinter dem jovialen Nachtklubbesitzer George Spigott vor ihm wahrlich der Teufel verbirgt, der seine Quartiere mit den fleischgewordenen Sieben Totsünden teilt, darunter auch die atemberaubende Schönheit Lilian Lust (Raquel Welch), die ihrem Namen wirklich alle Ehre macht.
Ganztägig betätigt sich Spigott mit solch scheinbar trivialen Abscheulichkeiten, wie dem Heraustrennen der letzten Seiten aus einem druckfrischen Agatha Christie Krimis oder dem fachmännischen Zerkratzen von Vinylschallplatten.
Derweil versucht ein immer verzweifelter agierender Stanley, mit seinen Wünschen seiner Angebeteten näher zu kommen. Doch der Teufel steckt immer im Detail und weiß auch in Stanleys Wunschwelten stets einen kleinen, aber entscheidenden Haken einzubauen...


Wie fand ich's?:  Heutzutage erscheint es mir, als ob Comedy international zu bloßem Fast Food verkommen ist. Überschwemmt von substanzlosen Sitcoms und billigen Sketchparaden ohne jeglichen Anspruch, sind liebevoll ausgearbeitete, gutgeschriebene Scripts leider eher die Ausnahme. Sicher, von Zeit zu Zeit erscheinen immer noch Produktionen, die neue Maßstäbe im Humorgenre setzen, aber der Großteil wird in der Zukunft wohl wieder vollkommen zu Recht in der Vergessenheit verschwinden.
Was da noch tragischer erscheint, ist der Umstand, dass einige Klassiker des Genres trotz ihrer Qualitäten hierzulande einfach vollkommen untergegangen sind und der hier besprochene Bedazzled zählt leider dazu.
Ich selbst muss bekennen, dass mir das Komikerduo Cook/Moore lange Zeit kein Begriff war, und dies immerhin trotz meiner Begeisterung für die britische Comedyszene der 60er/70er-Jahre. Tatsächlich ist Cook (*1937†1995) ebenso ein Mitglied des berühmten Cambridge Footlights Club gewesen, wie z. B. die Pythons Chapman, Cleese und Idle, der Literat Douglas Adams oder Multitalent Stephen Fry, der Cook mal als "the funniest man who ever drew breath" bezeichnete.
Zusammen mit Dudley Moore (*1935†2002), der in Deutschland aufgrund seiner Kinopräsenz in Filmen wie 10 (USA 1979 R.: Blake Edwards dt.: 10 - Die Traumfrau) oder Arthur (USA 1981 R.: Steve Gordon dt.: Arthur - Kein Kind von Traurigkeit) eine weitaus größere Popularität als Cook besitzt, hatte Cook bereits ein erfolgreiches Gespann in der Bühnenrevue Beyond the Fringe und der BBC-Fernsehproduktion Not Only... But Also (GB 1965-1970) gebildet. Leider sind von letzterer TV-Serie nur noch Fragmente verblieben, da die BBC (ähnlich wie bei den frühen Folgen der Langzeiterfolgsserie Dr. Who) aus Kostengründen die Magnetbänder löschte, auf denen diese aufgezeichnet wurde, um die teuren Tapes anderweitig wiederverwenden zu können. Trotz des vehementen Einspruchs von Cook und Moore konnten große Teile bedauerlicherweise nicht gerettet werden.
Nach einem ersten Auftritt als Nebendarsteller in der wunderbaren, schwarzen Komödie The Wrong Box (GB 1966 R.: Bryan Forbes dt.: Letzte Grüße von Onkel Joe) gelang Cook und Moore schließlich mit Bedazzled der große Wurf an den Kinokassen und ein weiterer Achtungserfolg.
Bedazzled basiert auf einem Drehbuch von Peter Cook, der hier gekonnt den klassischen Fauststoff ins London der swinging Sixties überträgt und selbst als Mephisto auftritt, während Moore, der auch ein begnadeter Pianist war, die Filmmusik beisteuerte und einen herzerwärmend naiven, sympathischen Faust abgab. Eleanor Bron (ebenfalls ein Ex-Mitglied der Cambridge Footlights) spielte Moores Love interest, Sexbombe Raquel Welch hat zwei kurze aber erinnerungswürdige Auftritte, ebenso wie Barry Humphries in der Rolle der fleischgewordenen Totsünde Neid, den man auch hierzulande durch seine Paraderolle als Dame Edna Everage kennt.
Was den Film weiterhin aufwertet, ist der fast völlige Verzicht auf Fäkalhumor, ein Auge für schöne kleine Details, das tolle Zeitkolorit und natürlich die großartige Regie von Stanley Donen, dessen Charade (USA 1963) ja wohl tatsächlich der beste Hitchcock ist, den Hitchcock selbst nie gemacht hat.
Donen ordnete Bedazzled seinen liebsten Werken zu und es mag in erster Linie an seinem Einfluss liegen, dass der Film eher den leichtfüßigen Charme der Komödien der 40er und 50er Jahre ausstrahlt und noch weit entfernt vom anarchischen Chaos der späteren Filme der Monty Pythons ist.
Im Jahr 2000 kam mit dem gleichnamigen Remake Bedazzled (USA 2000 dt.: Teuflisch) des qualitativ ständig sehr variierenden Harold Ramis eine eher unnötige, leidlig aktualisierte Neuauflage von Cooks Drehbuch in die Kinos, welcher Teufel da die Produzenten geritten hat, entzieht sich hier allerdings meiner Kenntnis...


Fazit: Teuflisch gut, schrullig britisch und absolut kultig. Eine kleine Perle, die ihrer Wiederentdeckung harrt.

Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten

Freitag, 18. Oktober 2013

Schimpansen, Krieg und Blasmusik

Underground (TV-Fassung: Bila jednom jedna zemlja)
YU/F/BRD/BG/CZ/H 1995
R.: Emir Kusturica


Worum geht's?: 6. April 1941. Deutsche Fliegerbomben zerstören den Belgrader Zoo und legen die Stadt in Schutt und Asche.
Kurz zuvor hatten die beiden Lebenskünstler Marko (Predrag Manojlovic) und Blacky (Lazar Ristovski) noch die Nacht zum Tag gemacht, nun liegt Blacky zu Hause im Bett neben seiner eifersüchtigen Gattin und Marko in den Armen einer drallen Dirne.
Als die ersten Bomben einschlagen und deutsche Truppen die Stadt besetzen, schließen sich die beiden Freunde als wahre Patrioten schon bald dem aktiven Untergrund an.
Blackys enormer Hass auf die Faschisten wird noch zusätzlich von seiner Eifersucht auf einen Nazi-Offizier (Ernst Stötzner) befeuert, der seiner Liebschaft, der hübschen Theatermimin Natalija (Mirjana Jokovic), seit Neustem den Hof macht.
Nach einem fehlgeschlagenen Attentat auf eben jenen Offizier fällt Blacky in die Hände der Besatzer und wird daraufhin in einer städtischen Irrenanstalt von den Nazis gefoltert und gefangengehalten. Marko gelingt es zwar ihn zu befreien, doch verletzt sich Blacky bei der unglücklichen Handhabung einer Handgranate schwer.

1961. Josip Broz Tito regiert nun über die Volksrepublik Jugoslawien. An seiner Seite: Marko, der nun an Blackys Stelle mit Natalija liiert ist und fröhlich Waffen am Regime vorbei in aller Herren Länder und auch nach Deutschland schiebt.
Jene Waffen werden seit Jahren im Keller seines Hauses hergestellt, wo eine Gruppe von Partisanen unter der Leitung des wiedergenesenen Blacky von Marko mit wüsten Schreckgeschichten und gefälschten Radioberichten im Glauben gehalten werden, der Krieg dauere immer noch an.
Zwar hat man sich über die Jahre in den Kellern häuslich eingerichtet, doch juckt es dem verbissenen Blacky in den Fingern, mit den von ihm hergestellten Waffen Rache an den für ihn immer noch existenten Nazis zu nehmen.
Als ein Schimpanse auf der Hochzeitsfeier von Blackys im Keller geborenen Sohns Jovan (Srdjan Todorovic) mit einer Panzergranate für Chaos und Zerstörung sorgt, gelingt Vater und Sohn die Flucht an die Oberfläche, wo die beiden in den für sie immer noch andauernden Krieg gegen die Deutschen eingreifen wollen.
Hat der mittlerweile zwanzigjährige Jovan zuvor noch nie das Licht der Sonne gesehen, so findet sich Blacky schon bald erneut im Kampf mit Männern in Nazi-Uniformen wieder, denn ein Filmteam verfilmt gerade in authentischen Kostümen das aufregende Leben des seit Langem für tot erklärten Petar Poparas, eines der größten Helden der Stadt zu Zeiten des letzten Weltkriegs. Freunde kannten diesen jedoch zumeist unter seinem Spitznamen: Blacky...


Wie fand ich's?: Als ebenso fröhliche wie grimmige Farce tischt uns hier der Serbe Emir Kusturica (*1954) drei bedeutende Abschnitte der Historie seiner Heimat auf.
Beginnend mit dem 2. Weltkrieg, über das Titoregime und die Zeit des Kalten Krieges, bis hin zum Bruderkrieg der Jahre 1991-1995, führt uns Kusturica durch sturmumtoste Zeiten voller Freud und Leid. Die stets erdfarbenen Bilder sind dabei bevölkert von Kusturicas gleichermaßen findigen wie originellen Helden, welche es verstehen aus jeder Not eine Tugend zu machen. Kusturicas Protagonisten sind mal lebenslustige Patrioten, mal umtriebige Kriegsgewinnler oder eben auch nur ganz normale Leute, deren Leben durch Krieg und Politik in immer abstrusere Situationen gebracht wird, bis sich der Kreis zu Letzt wieder schließt und der Krieg erneut sein widerliches, brutales Gesicht zeigt.
"Der Kommunismus war wie ein Keller", sagt der Deutsche Hark Bohm als jovialer Psychiater in einer Szene gegen Ende des monumentalen Werkes und bringt damit wohl Kusturicas relativ offensichtliche Allegorie ebenso schlicht wie treffend auf den Punkt - allerdings scheint sich dieser Vergleich primär auf die langjährige Diktatur Titos zu beziehen, da es nun mal jener Zeitraum ist, in dem die Handlung hauptsächlich in Markos unterirdischer Waffenfabrik spielt.
Veröffentlicht wurde Underground in zwei verschiedenlangen Schnittfassungen, einer gekürzten Kinoversion für den internationalen Markt mit etwa 163-minütiger Laufzeit sowie einer über 300 Minuten langen TV-Version, welche auch unter dem Titel Bila jednom jedna zemlja firmiert und wohl Kusturicas ursprünglicher Vision am nächsten kommt. Dieser Titel der sechsteiligen Fernsehserie lässt sich als "Es war einmal ein Land" ins Deutsche übersetzen und kündet sowohl vom beabsichtigten epischen Maßstab der Erzählung wie der inhaltlichen Annäherung an Volksmärchen.
Ein Märchen sahen viele Kritiker in Kusturicas Magnum Opus trotz des Gewinns der goldenen Palme in Cannes 1995 und zahlreicher weiteren Trophäen allerdings dann doch nicht. Vielmehr wurden international schnell Stimmen laut, die Kusturica der pro-serbischen Propaganda bezichtigten und mitunter bereits in der Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und dem Serbischen Rundfunk ein Indiz für eine allzu einseitige Betrachtungsweise der historischen Wahrheiten sahen. Kusturica bestreitet diese Vorwürfe seither und bezeichnet sich selbst, der er doch sowohl einen serbischen wie französischen Pass besitzt, schlicht als Jugoslawe.
Andere Kritiker stießen sich zudem noch an den für sie allzu hedonistischen Figuren, welche dem Ausland lediglich saufende und herumhurende Balkanbewohner vorführen würden. Ich frage mich an dieser Stelle, ob sich die Stadt Baltimore wohl je bei John Waters beschwert hat...
Einerlei, ich für meinen Teil konnte weder einen merklichen anti-bosnischen Ton erkennen, noch stieß ich mich an allzu vieler Blasmusik oder konsumierten Wodka. Vielmehr bot sich mir ein, wenn auch zugegeben teilweise schon recht naiv gezeichneter, Bilderbogen voller großer Gefühle und fantastischen Tableaus.
Für mich jedenfalls ist und bleibt Kusturica so was wie der Fellini des Balkans, dessen Filme oft von einer unbändigen Lebensfreude der Bevölkerung dieser Region sprechen und vor kreativen Einfällen regelrecht sprühen.


Fazit: Kusturicas Meisterwerk bietet (fast) alles: Liebe und Tod, Witz und Tragödie, Chaos und Blasmusik - was will man da noch mehr?

Punktewertung: 9 von 10 Punkten

Dienstag, 1. Oktober 2013

Die letzte Flucht

Alice ou la dernière fugue (dt.: Alice; int.: Alice or the Last Escapade)
F 1977
R.: Claude Chabrol


Worum geht's?: Eines regnerischen Tages ist die schöne Alice (Sylvia Kristel) ihren Ehemann leid und flüchtet mit dem Renault in die nasse Nacht.
Doch urplötzlich splittert die Windschutzscheibe und der Wagen kommt vor den Toren eines einsam im Wald gelegenen Herrenhauses zum Stehen.
Ein livrierter Hausdiener (Jean Carmet) hält der jungen Frau höflich die Pforte auf und bittet sie herein, wo sie von einem jovialen, älteren Herrn namens Vergennes (Charles Vanel) sogleich nicht nur ein Omelette, sondern auch ein Bett für die Nacht angedient bekommt.
Des Nachts schallen seltsame Geräusche durch das gespenstische Haus und vormals stehen gebliebene Uhren beginnen wieder zu ticken.
Am nächsten Morgen findet Alice den Landsitz zu ihrer Überraschung menschenleer vor und muss zu ihrer weiteren Verblüffung erkennen, dass praktisch alle, das Haus umgebenden, Waldwege sie lediglich zurück zum verwitterten Anwesen führen.
Scheinbar zufällig trifft sie beim Versuch eine hohe Mauer im Garten zu überklettern auf einen jungen Herrn in Weiß, der ihr die Zwecklosigkeit ihres Unterfangens nahe bringt, sich jedoch partout weigert, ihr jegliche Frage zu beantworten.
Doch ist Alice tatsächlich eine Gefangene? Gibt es einen Ausweg? Und was befindet sich hinter der geheimnisvollen Tür zum Keller?



Wie fand ich's?: Ich habe in diesem Blog ja bereits mehrfach Filme besprochen, welche direkt oder indirekt Bezug auf die Werke Lewis Carrolls nehmen (s. h.: Auch Hasen schlagen Haken und Skandal im Sperrbezirk). In diesem Falle jedoch (Titel und Name der Hauptprotagonistin, Alice Carrol, weisen eindeutig auf eine gewollte Verbindung zu den surrealen Kinderbüchern Carrolls hin), führt dies den Zuschauer letztendlich wohl eher in die falsche Richtung. Wer eine verrückte Teeparty erwartet, bekommt stattdessen ein verstörendes Mitternachtsmahl serviert, und wer mit einem weißen Hasen rechnet, kriegt einen ebenso wortkargen wie geheimnisvollen jungen Herrn in blütenweißer Freizeitkleidung zu sehen.
Der ja eher für seine Vorlieben für Hitchcock und die kleinen und großen Verbrechen des Bürgertums seiner französischen Heimat bekannte Claude Chabrol (vgl.: Leicht perlend, stark im Abgang) liefert hier seinen vielleicht ungewöhnlichsten Film ab, den er zudem im Vorspann dem Gedenken an Fritz Lang widmet. Dessen offensichtlicher Einfluss auf diesen Film ist aber ebenso gering, wie der Lewis Carrolls und der überraschende Schlusstwist rückt den Film noch mehr in die Richtung Drama.
Zwar ist diese Endauflösung nicht neu, doch gewinnt der Film dadurch tatsächlich an Tiefe und dient nicht nur als plumper Schockeffekt. Betrachtet man den Film im Wissen um diese Auflösung erneut, so werden die Begegnungen und Gespräche in ein neues Licht gerückt und besonders der Dialog mit dem Hausdiener Colas am Ende des Films gibt der Geschichte eine zusätzlich tragische Wendung.
Dieses menschliche Schicksal rückt den Film dann doch wieder etwas näher an das Gesamtwerk Chabrols, aus dem dieser etwas vergessene Mysterythriller herausfällt.
Ob Sylvia Kristel (*1952; †2012) die Hauptrolle allein aufgrund ihrer ernormen Popularität als Emmanuelle aus Just Jaeckins Erfolgsfilm von 1974 bekam, sei mal dahinzustellen, durch eine kurze, etwas unmotivierte Nacktszene der leider im letzten Jahr verstorbenen Erotikikone, wird dieser Eindruck allerdings untermauert. Zwar ist die darstellerische Leistung der attraktiven Belgierin nicht wirklich schlecht, doch es ist schon interessant sich zu fragen, wie der Film mit einer erfahrenere Schauspielerin in ihrer Rolle ausgesehen hätte.



Fazit: Ein leichter Fall von Etikettenschwindel und ein ungewöhnlicher Stoff für den Regisseur - aber ein ebenso charmanter, wie veritabler Geheimtipp im Genre des Psychohorrors.

Punkterwertung: 8 von 10 Punkten

Samstag, 14. September 2013

Wanderer der Betonwüste

Nomads (Nomads - Tod aus dem Nichts)
USA 1986
R.: John McTiernan



Worum geht's?: Eileen Flax (Leslie Ann Down) ist Ärztin in der Notaufnahme eines Krankenhauses im sonnigen L. A.
Eines Nachts reißt man die junge Frau während ihrer Rufbereitschaft aus dem Schlaf, da ein soeben eingelieferter Patient ihre sofortige Anwesenheit erfordert. Dieser ans Bett gefesselte, sich windende Leidende (Pierce Brosnan mit Vollbart und Akzent) hat zahlreiche Wunden am Körper und murmelt ständig mantraartig den gleichen Satz auf Französisch, ohne dass ihn jedoch jemand vom Klinikpersonal verstehen könnte.
Als Eileen sich über die geschundene Gestalt beugt, reißt diese sich plötzlich frei, beißt zu und wispert ihr noch etwas Kryptisches ins Ohr, bevor er daraufhin verstirbt. Verstört muss die Ärztin schon bald feststellen, dass sie nun wie unter Halluzinationen die letzten Tage ihres soeben dahingeschiedenen Patienten durchlebt.
Dieser war ein gerade erst in L. A. sesshaft gewordener französischer Anthropologe namens Jean Charles Pommier. Kaum hatte er mit seiner Gattin Niki (Anna Maria Monticelli) ein Haus in der City Of Angels bezogen, musste der Akademiker wenig zu seiner Freude feststellen, dass eine unheimliche Gruppe von Rockern ein sonderbares Interesse am neuen Domizil der Pommiers hat. Als diese Einfahrt und Garage mit Graffiti versehen und beunruhigende Zeitungsausschnitte zurücklassen, erkennt der auf Nomadenvölker spezialisierte Jean Charles schnell, dass seine Behausung für die in schwarzes Leder gewandeten Halbstarken so etwas wie ein morbider Schrein ist, in dem sich zuvor eine blutige Tragödie abgespielt hatte.
Mit seiner stets griffbereiten Kamera bringt sich der zwischen Furcht und Obsession hin und her gerissene Intellektuelle auf Fährte der in ihrem schwarzen Wagen schlaflos durch die Großstadt ziehenden Rockergruppe.
Schnell erkennt Pommier, dass er hier einer gänzlich unbekannten Form von Nomaden auf der Spur ist, die ein Geheimnis verbindet, welches schon bald nicht nur seine eigene Existenz, sondern auch die Leben seiner Frau und der mit ihm nun auf gespenstische Art verbundenen Notärztin bedroht.


Wie fand ich's?: Nomads ist das wenig beachtete Regiedebüt des Amerikaners John McTiernan, der zuvor bei unzähligen Werbespots Erfahrungen im Business gesammelt hatte, und Ende der 80er Jahre durch Erfolgsfilme wie Predator (USA 1987) und Die Hard (USA 1988 dt.: Stirb langsam) schon sehr früh ernorme Bekanntheit erlangte.
Nomads ist allerdings auch bis dato der einzige Film, zu dem John McTiernan selbst das Drehbuch schrieb, wobei wir damit auch schon gleich bei der größten Schwäche des Films angelangt sind. Während alle anderen Elemente der Produktion für ein Debüt bewundernswert solide sind, ist es die einerseits etwas unnötig kompliziert erzählte Story, welche sich andererseits gerade zum Schluss als im Grunde recht simpel herausstellt. Einige Elemente aus Nomads finden sich ähnlich auch in Kathryn Bigelows weitaus populärerem (und klarer erzählterem) Near Dark (USA 1987 dt.: Near Dark - Die Nacht hat ihren Preis), der die Verwendung von teuflischen Rockerbanden in Horrorfilmen ein Jahr später auch schon wieder für alle kommenden Zeiten als abgedroschen erscheinen ließ.
Stärker als der Inhalt ist hier hingegen die Inszenierung, welche McTiernan bereits in seinem Erstling als Könner ausweist. Die großartige Beleuchtung in den Nachtszenen, die Verwendung von Slow Motion und ungewöhnlichen Schnitten, all das macht den Film zu einem Vergnügen, woran sicher auch die guten Darsteller ihren Anteil haben. Brosnan war zu dieser Zeit ebenso wie seine Kollegin Down der Star einer Fernserie (Remington Steele [USA 1982-1987] traf hier auf North and South [USA 1985/1986/1994 dt.: Fackeln im Sturm]) aber noch fast eine Dekade von seinem absoluten Durchbruch als James Bond entfernt. 1999, nun ein internationaler Kinostar, stand Brosnan dann erneut für John McTiernan vor der Kamera, im gleichnamigen Remake des Norman Jewison Klassikers The Thomas Crown Affair (USA 1968). In der Rolle des gelassenen Bandenchefs Number One kann man ausserdem den heute hierzulande etwas in Vergessenheit geratenen Adam Ant (eigtl.: Stuart Leslie Goddart) bewundern, der mit seiner Post-Punk Band Adam & the Ants in den 80ern eine ganze Reihe Hits wie Stand and Deliver hatte, und dessen Leben vielleicht selbst mal eine Verfilmung verdient hätte...
Aber zurück zu John McTiernan. 2006 wurde dieser angeklagt, einen FBI-Beamten mit Vorsatz belogen zu haben. Jener soll den Regisseur telefonisch über seine Verbindung zu Anthony Pellicano, dem "Privatdetektiv der Stars", befragt haben. McTiernan verneinte je irgendwas mit Pellicano zu tun gehabt zu haben. Wie sich später herausstellte, hatte er jedoch den Detektiv bereits im Zusammenhang mit seiner Scheidung einige Jahre zuvor konsultiert und wohl während der chaotischen Dreharbeiten zum Megaflop Rollerball (USA/BRD/J 2002) beauftragt, einen der Produzenten des Streifens, Charles Roven, zu bespitzeln, bei dem McTiernan die Ursache für den Problemdreh vermutete. War bereits die Produktion der dennoch sehr unterhaltsamen Michael Crichton-Adaption The 13th Warrior (USA 1999 dt.: Der 13. Krieger) in Streit, Zwietracht und finanziellem Misserfolg gemündet, wurde das gleichnamige Remake des Sci-Fi-Action-Klassikers Rollerball (USA 1975 R.: Norman Jewison) zu einem grandiosen Fiasko bei Kritikern und an den Kinokassen.
Nun begab es sich, dass Pellicano 2006 selbst zahlreicher Straftaten angeklagt wurde und das FBI in Folge auch bald auf den Namen John McTiernan stieß. Pellicano wurde einige Zeit später zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und mitgefangen ist oft mitgehangen, was auch der einst so erfolgreiche Regisseur erkennen musste, der seit einigen Monaten ebenfalls eine einjährige Haftstrafe in einer Justizvollzugsanstalt in North-Dakota absitzen muss.
Es bleibt zu hoffen, dass hier eine einst so vielversprechend begonnene Karriere nicht vollkommen auf der Strecke bleibt - Fans können sich auf Facebook immerhin derweil der Free John Mc Tiernan Initiative anschließen...


 Fazit: Sehr solides, wenngleich unnötig wirres Debüt mit Flair, Stil und Geschmack.

Punktewertung: 6,5 von 10 Punkten

Sonntag, 25. August 2013

Was für ein Aufschneider!

Carne per Frankenstein aka. Flesh for Frankenstein (Andy Warhol's Frankenstein)
F/I/USA 1973
R.: Paul Morrissey


Worum geht's?: Im Laboratorium seines serbischen Schlosses steht Baron Frankenstein (Udo Kier) kurz vor dem entscheidenden Durchbruch. Im Wahn, eine neue, perfekte Rasse, welche nur ihm Untertan sein wird, zu schaffen, hat der Baron mit seinem Assistenten Otto (Arno Juerging) bereits ein Exemplar beider Geschlechter zusammengenäht. Was noch fehlt, ist ein Kopf für die männliche Schöpfung. Allerdings muss dieses Haupt ein perfektes Nasum (lat. Nase) besitzen, was nach den gestrengen Maßstäben des Barons nicht leicht zu finden ist. Außerdem sollte der Spender des Körperteils über einen gesteigerten Sinn zur Fortpflanzung verfügen, erhofft sich sein Erschaffer doch gleich ein ganzes neues Volk.
Wo findet man nun einen virilen Lumpen mit adäquatem Gumpen? Genau! Im örtlichen Bordell.
Doch statt des dort umtriebigen, sexhungrigen Stallgehilfen Nicholas (Joe Dallesandro) schneidet der Baron dessen vom Weltschmerz geplagten Kumpel Sacha (Srdjan Zelenovic) die Rübe mit einer Heckenschere ab und pflanzt diese auch prompt auf sein nun endlich fertiggestelltes Geschöpf.
Mittlerweile ist allerdings die gelangweilte Baronin Frankenstein (Monique van Vooren) schon lang auf Nicholas aufmerksam geworden und schafft es auch tatsächlich diesen in ihre Dienste und in ihr Bett zu locken.
Wenig angetan von dem neuen Bediensteten macht sich der Baron mit Otto daran seinem Monsterpärchen Leben einzuhauchen und die beiden nach der gelungenen Belebung auch direkt zur Fortpflanzung zu bringen.
Was Frankenstein nicht ahnt: Sacha war ein asexueller Asket in seinem früheren Leben, der Nicholas kurz zuvor noch abgestoßen im Bordell sein Vorhaben verriet, schon bald einem Mönchsorden beitreten zu wollen.
So dreht der gute Baron schon bald gänzlich am Rad, als ihm bewusst wird, den falschen Kopf auf den richtigen Körper verpflanzt zu haben und Nicholas findet es ebenfalls gar nicht zum Lachen, als er ebenjenes Haupt seines Freundes auf einem neuen Körper wiedersieht.
Schon bald eskaliert die Lage vollends im sonst so pittoresken Schlösschen und im Laboratorium hat jemand eine ganz schöne Sauerei sauber zu machen.


Wie fand ich's?: Menschenskinder, was für 'ne Schweinerei. Regisseur Paul Morrissey bietet hier dem hartgesottenen Zuschauer eine ganze Palette von Geschmacklosigkeiten (in 3-D!) und lässt Mary Shelley im Grabe kreisen.
Carne per Frankenstein war die erste zweier Neuinterpretationen klassischer Horrorikonen, die Zweite wurde Dracula cerca sangue di vergine... e morì di sete!!! aka. Blood for Dracula (F/I 1974 dt.: Andy Warhol's Dracula), welche Morrissey in Italien für Andy Warhol produzieren sollte. Man muss bereits hier bemerken, dass beide Filme zwar mitunter die blonde Pop-Art-Legende im Titel nennen, Warhol aber wohl nur sehr wenig bis keinerlei Einfluss auf Morrisseys Arbeiten nahm und dessen Filme als eine gute, neue kommerzielle Einnahmequelle für seine Factory ansah. 
Apropos Einfluss: Antonio Margheriti wird oft als (Co-)Regisseur beider Filme genannt und es wurde jahrelang, nicht nur hinter vorgehaltener Hand, gemunkelt, dass Italofilmlegende Margheriti (vgl.: http://dieseltsamefilme.blogspot.de/2012/07/menschenfresser-in-betonschluchten.html) fürwahr bei den Dreharbeiten zu beiden Morrisseys auf dem Regiestuhl saß, es stellte sich jedoch in den letzten Jahren heraus, dass Margheritis Name nur zu bloßen Steuereinsparungsgründen in dessen Heimatland Italien in den Credits auftauchte.
Gedreht wurde ursprünglich in 3-D, was den von Carlo Rabaldi gestalteten, blutigen Gore-Effekten wohl zusätzliche Schlagkraft verlieh; leider gibt es jedoch bis dato international keine Heimkinoveröffentlichung, welche den Film wieder in dieser Fassung zugänglich macht.
Doch auch im herkömmlichen 2-D machen Rambaldis Blut- und Gekröseeinlagen auch heute noch mächtig Eindruck, der Mann wurde übrigens durch seine FX zu Ridley Scotts Alien (USA/UK 1979 dt.: Alien - Das unheimliche Wesen) und Spielbergs E.T. the Extra-Terrestrial (USA 1982 dt.: E.T. - Der Außerirdische) international bekannt, und lassen sofort erahnen, warum der Film sich in Großbritannien sehr schnell auf der Liste der berühmt-berüchtigten Video Nasties wiederfand.
Neben den saftigen Effekten bietet Morrisseys Film auch inhaltlich eine Mary-Shelley-Adaption, welche so ihresgleichen sucht und zahllose Anspielungen und Verweise auf Inzest, Impotenz, Nymphomanie und Megalomanie liefert, die den Streifen nur noch zusätzlich in die Skandalfilmecke rückten. So wird z. B. nie klar, ob der Baron und die Baroness nun Eheleute oder Geschwister (oder vermutlich beides...) sind.
Der von Udo Kier mit Spielfreude und Bravour dargestellte Baron ist ein impotenter Aristokrat, der seine sexuelle Frustration durch Größenwahn zu sublimieren versucht. Vom inzestuösen Verhältnis zu seiner Schwester abgestoßen (trotzdem gibt es zwei Kinder im Hause Frankenstein...), penetriert er lieber gleich mit dem ganzen Arm die chirurgischen Wunden seines weiblichen Geschöpfs und träumt von einer eigenen Herrenrasse.
Beäugt wird er dabei von seinem nicht weniger krankhaften Assistenten Otto, dargestellt vom ebenfalls Deutschen Arno Juerging, der die Rolle nur durch die Beharrlichkeit seiner Mutter erhielt und diese als Diener Anton im Nachfolgefilm Blood for Dracula praktisch 1/1 wiederholte. Laut Udo Kier nahm sich Juerging nach dem Tod seiner geliebten Mutter das Leben, in dem er aus einem Fenster sprang - tatsächlich hatte Juerging jedoch wenigstens noch im Jahr 1984 einen kleineren Auftritt auf den Kinoleinwänden, er spielte Dieter Hallervordens Sekretär (aus manchen Schubladen gibt es scheinbar kein Entrinnen...) Eck in Didi - Der Doppelgänger (BRD 1984 R.: Reinhard Schwabenitzky).
Neben Juerging ist auch Paul Morrisseys größte Entdeckung, Joe Dallesandro, mit von der Partie. Wer Dallesandro aus anderen Filmen kennt, weiß, dass dieser wohl auch hier in seiner ganzen Schönheit zu bewundern sein wird und man dabei sowohl seinen Little Joe (dieser Spitzname prangt auch als Tattoo auf Joes rechtem Oberarm), als auch seine Talentlosigkeit zu sehen bekommt. Interessanterweise soll wiederum Arno Juerging in einem obskuren Porno aus dem Jahre 1976 mit dem schönen Titel Ein guter Hahn wird selten Fett (BRD 1976 R.: Johnny Wyder!!) in der Rolle eines gewissen Little Joe zu sehen gewesen sein..
Egal.
Carne per Frankenstein überwindet so manche geschmackliche Grenze und suhlt sich erfrischend hysterisch in jeder Menge Gekröse. Schon in seinem Nachklapp Blood for Dracula trat Morrissey merklich etwas auf die Bremse und ließ den Kier Udo zwar Blut kotzen, aber nicht mehr so wunderbar von der Kette wie hier.


Fazit: Blutig, obszön und wohl kaum als Pop-Art zu bezeichnen - eine wirklich sehr eigenwillige Neuinterpretation des Klassikers!

Punktewertung: 6,5 von 10 Punkten

Freitag, 16. August 2013

Die Nummer 100: Ein gravierender Fall von Tollwut

Los violadores (Mad Foxes - Feuer auf Räder aka. Stingray 2)
CH/E 1981
R.: Paul Grau


Worum geht's?: Hal (José Gras - hier unter dem schnittigen Pseudonym Robert O' Neal), ein Sportwagen fahrender Playboy und Bonvivant, hat gerade noch in einer Disco den 18. Geburtstag seiner jungfräulichen Freundin Babsy (Sally Sullivan, die natürlich bürgerlich Andrea Albani heißt...) gefeiert, da werden die beiden Turteltauben das Opfer einer typischen Bande von spanischen Nazirockern, wie es sie in den 80ern in jeder iberischen Großstadt gab.
Während Hal brutal zusammengeschlagen wird, vergewaltigt ein Bandenmitglied die junge Unschuld, was Hal natürlich umgehend blutige Rache schwören lässt.
Ein Telefonanruf und die Kampfsportschule eines guten Freundes und ausgewiesenen Karatemeisters rückt vollzählig in einem Amphitheater an, wo die Bösewichte im Fackelschein gerade einen der ihren beerdigen. Ruck zuck sind die Nasen blutig und der Anführer der Hobbyfaschisten wird noch schnell mit einem Springmesser entmannt.
Zufrieden macht sich unser Held auf, seine Eltern auf dem Lande zu besuchen, unwissend, dass die Schufte ihm auf ihren Feuerstühlen längst auf der Spur sind.
Unterwegs greift Hal eine attraktive Anhalterin auf und vernascht diese wenige Minuten später, bei einem Waldspaziergang schießt der Lebemann von Welt spielerisch mit einer Flinte auf ein daherfliegendes Passagierflugzeug und muss später doch bei der Heimkehr zu seiner Überraschung nicht nur den gemeuchelten Gärtner mit dessen Heckenschere im Schlund vorfinden, sondern auch über die Leichen der Haushälterin, seines Vaters und seiner gehbehinderten Mutter stolpern.
Nun bleibt ihm nur noch eine Option übrig: Rache!
Gott sei's gelobt weiß natürlich jeder Tankwart in der Gegend, wo die Lumpenbande ihr hakenkreuzgeschmücktes Hauptquartier hat.
Mit haufenweise Wut im Bauch und genug Munition im Gepäck wirft Hal seinen Stingray an, um die Sache ein für alle Mal zu beenden.


Wie fand ich's?: Dies ist ein Jubiläums-Post und das hundertste Review meines Blogs soll natürlich einem ganz besonderen Film gewidmet sein. Einem Film, der einzigartig in seiner Machart und Wirkung ist; einem Film, der sich dem Zuschauer für alle Ewigkeit auf die Hirnrinde brennt.
Mad Foxes ist so ein Film.
Der lebenden Produzentenlegende Erwin C. Dietrich soll zweimal in seiner Karriere bei Ansicht eines von ihm in Auftrag gegebenen Werkes der Unterkiefer vor Unglauben ob des Gezeigten nach unten geklappt sein.
Das erste Mal soll dies bei Begutachtung von Jess Francos Frauengefängnis (CH 1976) passiert sein, das zweite Mal bei Ansicht des hier besprochenen Werks von Regisseur Paul Grau.
Grau ist heute der CEO des Schweizer Privatsenders Star TV, vor seiner Karriere beim Fernsehen hatte Grau neben Mad Foxes noch bei ein oder zwei Sexploitationstreifen regiegeführt (die OFDb listet tatsächlich ein Titel mehr als die IMDb) und bei einigen weiteren Dietrich-Produktionen als Production Manager fungiert.
1980 bestellte Dietrich bei dem somit nicht übermäßig erfahrenen Grau einen Kassenhit (oder eine weitere schnelle Möglichkeit Steuern abzuschreiben), dieser hatte die Idee zu einem Actionfilm, der zwar wohl erst dessen zweite Regiearbeit zu diesem Zeitpunkt werden sollte, der aber dafür alles enthalten würde, was ein großer Actionhit braucht.
Rocker? Ja klar! Aber nicht nur einfache Rocker - Nazirocker! Diese tragen natürlich Hakenkreuzarmbinden, allerdings verschwindet bei jeder Außenszene die Swastika, sodass man nur eine rote Binde mit großem, weißen Punkt am Oberarm trägt. Vermutlich wollte man in Spanien (wo der Film preisgünstig heruntergekurbelt wurde, und was man im betrunkenen Kopf ja auch gut mit dem sonnigen Kalifornien verwechseln könnte) nicht die Einheimischen verunsichern, oder gar tatsächlich Schwierigkeiten mit den Behörden provozieren.
Einen Helden mit Bums bei Frauen? Sicher, allerdings ist dessen Interesse eine soeben volljährig gewordene Jungfrau schnellst möglich mit Fusel aus dessen persönlichem, in einem Schließfach aufbewahrten, Vorrat abzufüllen, moralisch höchst fragwürdig; erst recht, wenn er wenige Stunden später bereits fröhlich eine Anhalterin flachlegt.
Erotik? Aber hallo! Man wartet hier nicht nur mit unbekleideten Damen auf, sondern zeigt auch bei jeder (un-)passenden Gelegenheit männliche Genitalien, auch gern in Nahaufnahme. Anscheinend wollte man hier wirklich JEDE Zielgruppe zufriedenstellen...
Blutige Action? Jede Menge! Da wird mehr kastriert als in der Kleintiersprechstunde eines ortsansässigen Veterinärs und ein Bösewicht wird gleich gänzlich mit einer in die Kloschüssel geworfenen Handgranate von der Keramik gesprengt...
Martial Arts? Kannste drauf wetten! Grau tritt gleich selbst als Karatemeister vor die Kamera und es kommt zu einer Massenkeilerei - nur beherrscht leider keiner der Kämpfer sichtbar auch nur annähernd den Sport, wenngleich hier und da zu lesen ist, dass Eric Falk, behaarter Darsteller in zahlreichen Sexfilmen der 70er und 80er, es Mal zu Weltmeisterwürden gebracht haben soll. So rotiert Bruce Lee im Grab, während erwachsene Männer ungelenk Arme und Beine hochreißen...
Wahres Drama? Och... Na gut, der Held bricht über seiner toten Mutter weinend zusammen und schwört mehr als einmal hingebungsvoll Rache in die Kamera; jedoch ist seine Schauspielkunst ebenso limitiert, wie die seiner Mitdarsteller. Kurz vor Mad Foxes hatte José Gras jedenfalls auch unter Pseudonym (dort nannte er sich noch Robert O'Neil mit i) in Bruno Matteis Zombieheuler Virus (I/E 1980 dt.: Die Hölle der lebenden Toten) mitgespielt, einige Zeit später tauchte er noch u. a. in Fulcis seltsamer Fantasygurke Conquest (I/E/MEX 1983) auf, bevor er Mitte der 80er auch schon wieder von der Bildfläche verschwand.
Ein überraschendes Ende mit Knalleffekt? Absolut! Das wird hier natürlich nicht verraten, doch soll mir keiner sagen, der den Film gesehen hat, er hätte dies so kommen gesehen! Da hätte selbst M. Night Shyamalan seine helle Freude dran. Echt wahr...
Alles in allem also ein beispielloses Feuerwerk der tollen Ideen, welches so seinesgleichen sucht.
Lautet der spanische Originaltitel noch Los violadores (dt.: die Vergewaltiger), so benannte man ihn für die internationale Auswertung sowohl in Mad Foxes (wohl der etwas unbeholfene Versuch an Mad Max erinnern zu wollen), wie auch in Stingray 2 um. Mit letzterem Titel wollte man sich scheinbar an den (vermutlich auch nur leidlichen) Erfolg der US-Actionkomödie Stingray (USA 1978 R.: Richard Taylor) dranhängen, welcher damals auch in Deutschland von Produzent Erwin C. Dietrich verliehen wurde. Dieser ist nach eigenen Angaben bis heute nicht in der Lage, sich dieses Machwerk in Gänze anzuschauen, doch hat Mad Foxes mittlerweile den wohlverdienten Ruf eines kleinen Kultfilms erlangt, was zumindest etwas durch DVD-Verkäufe auf dem Konto des Herrn wieder gutmachen sollte.
Die Musik stammt übrigens von der schweizerischen Antwort auf die Scorpions (andere sprechen von AC/DC): Krokus. Für jene soll Paul Grau schon in den 70ern Musikvideos gedreht haben, eindeutige Belege sind darüber allerdings in meinen Quellen leider nicht zu finden gewesen. Fakt ist jedoch, dass der Titeltrack zu Mad Foxes Easy Rocker ein verdammter Ohrwurm ist, noch das eindeutig qualitativ Hochwertigste im Film darstellt und sich auch heute noch ständig im Liveset von Krokus wiederfindet.
Nach diesem "Meisterwerk" beendete Grau seine Regiekarriere mit der Sexkomödie Sechs Schwedinnen auf der Alm (BRD 1983), in der auch das oben bereits erwähnte Sexploitation-Urgestein Eric Falk ein letztes Mal (unbekleidet) vor der Kamera stand und damit nach fast einer Dekade sündigen Treibens auf der Leinwand das (sicher durchnässte) Handtuch warf.


Fazit: Unglaublich. Eine echte Offenbahrung für ganz abgebrühte Trash-Connaisseure und ein unverfälschtes Magnum-Opus des schlechten Geschmacks.

Punktewertung: Die Arthousegemeinde dürfte 1 von 10 Punkten vergeben, wer hingegen Troll 2 (I/USA 1990 R.: Claudio Fragrasso O.: Trolli) bereits oft genug mit Vergnügen bestaunt hat, dürfte auch hier voll auf seine Kosten kommen.
Ich persönlich vergebe einfach Mal ebenso subjektive wie diplomatische 5 von 10 Punkten.

Samstag, 10. August 2013

Von Richtern, Rächern und Kinomagiern

Judex
F/I 1963
R.: George Franju


Worum geht's?: Paris kurz nach dem Ersten Weltkrieg.
Der verbrecherische Bankier Favraux (Michel Vitold) erhält schriftliche Drohungen eines gewissen Judex (Channing Pollock), der sofortige Wiedergutmachung für die seit Jahren betrogenen Opfer des feinen Herrn fordert.
Doch der aalglatte Kapitalist denkt gar nicht daran, Kohle lockerzumachen, sondern feiert fröhlich sein 20-jähriges Firmenjubiläum und die gleichzeitige Verlobung seiner Tochter mit einem geldgierigen Windhund, in dem er erst mal einen aufwendigen Maskenball schmeißt.
Fast Mitternacht, hat der Zauberer mit der Vogelkopfmaske seine Darbietung beendet und mit dem letzten Schlag der Kaminuhr bricht der Hausherr leblos zusammen.
Allerdings ist Favraux nicht das Opfer eines Meuchelmordes, sondern das eines perfekten Kidnappings geworden, hält ihn doch der Rest der Welt, inklusive seiner Tochter Jacqueline (Edith Scob) für Tod, während er fortan in Judex' Kellergefängnis über seine Untaten nachdenken soll.
Gestört werden die genialen Pläne des selbst ernannten "Richters" in Schwarz nur von einer draufgängerischen Gangsterbande, die von Favraux früherer Bediensteten Diana (Francine Bergé) angeführt wird und durch Zufall vom wahren Verbleib des Bankiers erfährt.
So planen die Gauner schon bald, den Gekidnappten selbst aus seinem Gefängnis zu entführen, um so an dessen gewaltiges Vermögen zu gelangen.
Aber da hat Judex ja gottseidank noch ein Wörtchen mitzureden...


Wie fand ich's?: Fast 50 Jahre später, eine Hommage auf die Serials der 10er Jahre und ihren König Louis Feuillade (*1873; †1925) zu drehen, zeugt von tiefer Verbundenheit mit diesem Genre.
Feuillade hatte mit den Reihen um Fantômas (F 1913-1914) und Irma Vep, Mitanführerin der Bande  Les Vampires (F 1915-1916), dem französischen Kino bereits früh zwei Ikonen bescherrt - Superverbrecher, deren Taten und Verkleidungen den Zuschauer weit mehr faszinierten, als die spießigen Bürokraten, die ihnen aufgeregt hinterherjagten.
Mit der Figur des Judex (lat. Richter) wollte Feuillade sich dann doch noch auf die Seite der Kämpfer für Recht und Ordnung schlagen und in der Person des Rächers im schwarzen Umhang bereits eine Schablone für Superhelden wie The Shadow oder Batman schaffen. Gespielt wurde dieser Ur-Vigilant seiner Zeit von René Cresté und seine Gegenspielerin war die legendäre Musidora (eigtl.: Jean Roques), die bereits als o. g. Irma Vep in Les Vampires das Publikum begeistert hatte.
Nun begab es sich, dass Anfang der 60er Jahre Meisterregisseur George Franju (*1912; †1987) das Angebot unterbreitet wurde ein Remake des Judexserials in Form eines aufwendigen Kinofilms zu produzieren. Franju soll zunächst wenig begeistert von dieser Idee gewesen sein, war er doch weit mehr an der Gestalt des Fantômas interessiert und sah Judex im Vergleich als Feuillades schlechteste Arbeit an.
Franju, immerhin selbst ein unbestrittener Meister seines Faches (man denke natürlich nur an seinen Überklassiker Les youx sans visage [F/I 1960 dt.: Das Schreckenhaus des Dr. Rasanoff]), übernahm die Vorlage mit einigen kleineren Änderungen, doch ist es nicht wirklich verwunderlich, dass Judex am Ende zu fast gleichen Teilen ein Feulliade-Remake und ein Franju-Film geworden ist. So findet man in Judex sowohl Feulliades rasanten Erzählstil wie Franjus Vorliebe zum Expressionismus eines Fritz Lang mit einem leichten Hang zum Surrealismus.
Das zeigt sich auch in der berühmtesten Szene des Films, in der Judex mit einer wunderbar gestalteten und an die Arbeiten eines Max Ernst oder J. J. Grandville angelehnten Vogelmaske Zaubertricks mit Tauben vor den Teilnehmern eines Maskenballs vorführt.
Tatsächlich war der Darsteller des Judex, Channing Pollock, vor seiner Karriere als (in erster Linie TV-) Schauspieler ein bekannter Bühnenmagier, dessen Tricks mit Vögeln ihm große Popularität und Auftritte in Fernsehshows einbrachte. Leider muss man an dieser Stelle aber auch bemerken, dass Pollock mit seiner stets starren Mine kaum einen würdigen Nachfolger für René Cresté darstellt.
Ganz anders verhält sich das mit Francine Bergé in der Rolle der einfallsreichen Gaunerin, die hier immerhin in den riesigen Fußstapfen einer Musidora wandelt, durch ihre sexy Kostüme und ihr flamboyantes Schauspiel aber (wohl ganz im Sinne ihrer Vorgängerin) praktisch jede Szene sofort an sich reißt und durch ihre bloße Präsenz klar dominiert.



Fazit: Stylish, rasant, nostalgisch, modern, trivial und künstlerisch. Meister Franju verfrachtet genial ein obsoletes Medium in die 60er Jahre.

Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten

Donnerstag, 1. August 2013

Von kaltem Wodka und heißen Hexen

Viy (Вий)
SU 1967
R.: Konstantin Yershov und Georgi Kropachyov


Worum geht's?: Russland zu Zeiten, in denen es ebenso nebelig kalt wie romantisch war. 
Der junge, lebenslustige Philosophiestudent Khoma (Leonid Kuravlyov) flüchtet in seiner freien Zeit mit zwei Kommilitonen aus den Mauern der gestrengen Klosterschule zu Kiew und zieht mit seinen Kollegen lachend und trinkend durch die Lande.
Auf der Suche nach einer Herberge für die kalte Nacht kommen die drei zu einem Bauernhaus, wo sie von einer alten Vettel (Nikolai Kutuzov - ja, ein Typ in Fummel) auf drei Schlafplätze verteilt werden. 
Khoma ist der Letzte, der sein Lager in einer leeren Scheune gezeigt bekommen soll, und ist nicht wenig überrascht, als die Alte plötzlich zudringlich wird, auf seinen Rücken steigt, ihn wie ein Pferd reitet und bald darauf schon mit dem armen Studenten über Felder, Sümpfe und Seen davonfliegt.
Vollkommen in Panik schlägt Khoma nach der Landung mit einem Stock wie von Sinnen auf das teuflische Mütterchen ein, bis sich die Hexe doch tatsächlich vor seinen Augen in ein hübsches, junges Mädchen (Natalya Varley) verwandelt und der perplexe Student schnell das Weite sucht.
Doch wird unser Held schon bald von dem Vorkommnis erneut heimgesucht, schickt ihn doch sein Lehrer ins Haus eines reichen Gutsbesitzers. Dessen Tochter liegt im Sterben und Khoma soll an ihrem Sarg drei Nächte lang für sie beten.
Die Überraschung mag für Khoma größer sein, als für den gewitzten Zuschauer, aber das schöne Töchterchen ist tatsächlich die garstige Hexe vom Beginn des Films, und angepisst genug, um den jungen Mann auch noch vom Totenbett heimzusuchen...
Von nun an betet unser Held im wahrsten Sinne des Wortes um sein Leben, denn die hübsche Hexe gebietet auch noch die Unterstützung einer ganzen Garde von Höllenkreaturen.
Die Schrecklichste von ihnen ist der Viy...



Wie fand ich's?: Dieser Film gilt als der erste sowjetische Horrorfilm und hat somit zumindest seinen Status als kleine Fußnote in der Filmhistorie bereits sicher. 
Während der Klassenfeind nämlich fröhlich Jahrzehnte lang einen Gruselklassiker nach dem anderen aus den Studios jagte, setzte man in der Sowjetunion lieber auf familienfreundliche Fantasyfilme bzw. Adaptionen bekannter Märchentexte.
Wie in anderen Diktaturen (man denke ebenfalls an Mussolinis Italien, Francos Spanien und natürlich auch an das 3. Reich) wollte man die Bürger nicht erschrecken, sondern entweder mit Durchhalteparolen bei der Stange halten oder mit honigsüßem Eskapismus einlullen.
Einer der Spezialisten in Sachen Realitätsflucht war der Russe Aleksandr Lukich Ptushko (*1900;
†1973). Ptushko wird oft als ein russischer Walt Disney bezeichnet; ein Vergleich, der etwas hinkt, war Ptushko doch in erster Linie ein Stop-Motion-Künstler und somit eher ein Kollege der Herren O'Brien oder Harryhausen. So hatte er 1927 damit angefangen an kurzen Puppentrickfilmen für die Mosfilm zu arbeiten, bevor er 1933 mit der Produktion der Gulliveradaption Novyy Gulliver (SU 1935 dt.: Der neue Gulliver) begann, einem der ersten abendfüllenden Puppentrickfilme überhaupt, der zudem bereits aufwendige Stop-Motion-Technik mit Realfilm verband, etwas, was Willis O'Brien zwar bereits 1925 in The Lost World (USA 1925 R.: Harry O. Hoyt dt.: Die verlorene Welt), allerdings in einem weit weniger aufwendigen Rahmen, da Ptushko wesentlich mehr Puppen am Start hatte.
Kommen wir nun aber endlich mal auf Viy zu sprechen, an dem Ptushko zwar nur als Art Director arbeitete, der aber untrügerisch die deutliche Handschrift des Großmeisters trägt.
So ist der Film in erster Linie eine gelungene Mischung aus Ptushkos folkloristischen Märchen und dem Gothic-Horror italienischer Machart.
Es ist nach Ansicht des Films nicht verwunderlich, dass in Verbindung mit ihm auch immer wieder die Rede von Mario Bavas Meisterwerk La maschera del demonio (I 1960 dt.: Die Stunde, wenn Dracula kommt) ist; zum einen, da Viy sowohl optisch, wie atmosphärisch an die frühen Gruselstreifen des Maestros erinnert, zum anderen, weil sich Bavas La maschera del demonio ebenfalls an Nikolai Gogols Kurzgeschichte Viy (rus.: Вий) orientiert, wenn auch wesentlich geringer als im zurecht gleichbetitelten russischen Beitrag.
Wie bei Bava sind auch bei den Sowjets die Mittel einfach, deren Einsatz jedoch schlichtweg genial. Sicher, in Zeiten der riesigen CGI-Mechkrieger aus Pacific Rim (USA 2013 R.: Guillermo del Toro) wirkt dies hier geradezu steinzeitlich, doch spätestens Star Wars: Episode I - The Phantom Menace (USA 1999 R.: George Lucas) sollte den Meisten bewiesen haben, dass teure Special-FX kein Ersatz für Charme, eine gut erzählte Geschichte oder interessante Ideen ist...
Egal, Viy ist eine kleine Perle, welche eigentlich eine weitaus größere Popularität hierzulande verdient hätte, welche dann auch eine deutsche DVD-Veröffentlichung (von Blu Rays fange ich erst gar nicht an...) nachsichziehen würde.
Bis das jedoch Realität wird, bleibt dem Filmfan leider nur der Blick ins Ausland oder der Griff zur Wodkaflasche.



Fazit: Ein im Westen sträflich übersehener Klassiker des Gothic-Horrors. Wer alles von Bava bereits verschlungen hat, findet hier eine eisgekühlte Delikatesse.

Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten

Freitag, 19. Juli 2013

Der letzte Schrei in Italien

Berberian Sound Studio
UK 2012
R.: Peter Strickland


Worum geht's?: 1976. Gilderoy (Toby Jones) ist ein kleines, dickliches Muttersöhnchen, aber auch einer der begabtesten Sound Engineers und Foley Artists Groß-Britanniens.
So lockt ein italienischer Produzent (Cosimo Fusco) den harmoniesüchtigen, zurückhaltenden Briten aus seiner Heimat nach Bella Italia, wo dieser mit seinem Können einen Film veredeln soll.
Allerdings entpuppt sich der Streifen mit dem schönen Titel Il Vortex Equestre als sleazig-brutale Witchploitationkost, was den sanften Gilderoy ebenso erschreckt, wie die Ignoranz seiner Arbeitgeber gegenüber seiner Flugspesenquittung.
Geplagt von Heimweh (wogegen auch nicht das Tape mit den vertrauten Geräuschen der Heimat hilft) macht Gilderoy sich an die für ihn ungewöhnlich martialische Arbeit und sticht dabei zur Tongewinnung schon mal auf ein Dutzend Kohlköpfe ein oder misshandelt anderes jungfräuliches Gemüse.
So geht Tag für Tag dahin, und Gilderoy sucht schnell Halt bei den attraktiven, italienischen Synchronsprecherinnen, welche in dem Studio aus und eingehen und ihn vor Francesco, dem Produzenten und vor Santini (Antonio Mancino), dem egozentrischen und megalomanen Regisseur warnen.
Eine Warnung, die wohl berechtigt ist, fängt Gilderoy doch langsam an sich zu verändern, und auch die Briefe seiner geliebten Mutter werden düsterer, denn etwas hat Zuhaus die Zilpzalps abgeschlachtet...


Wie fand ich's?: Dies ist erst der zweite Film Peter Stricklands, des Sohnes einer griechischen Mutter und eines englischen Vaters, dessen Debüt Katalin Varga (UK/RU 2009) hierzulande trotz des Gewinns eines Silbernen Bären für herausragende künstlerische Leistung bei den Berliner Filmfestspielen und einiger guter Kritiken von der breiten Masse der Kinogänger praktisch vollkommen ignoriert wurde, was auch an der Tatsache liegen mag, dass ein in den Karpaten angesiedeltes Rape/Revenge-Drama, in dem gute 80 Minuten nur Ungarisch gesprochen wird, kaum ein auf Tom Cruise konditioniertes Mainstreampublikum anspricht...
Egal, auch Berberian Sound Studio macht es der anglofonen Mehrheit der Weltbevölkerung nicht leicht, wird doch hier zu gut 70 % der Laufzeit fröhlich Italienisch parliert, was einen Großteil der Zuschauer zum beinah ununterbrochenen Untertitellesen verdammt. Durch diesen Trick schafft es der Film jedoch sehr schnell das Gefühl der Fremde auf den Zuschauer zu übertragen, welcher zugleich (ganz im Sinne des hitchcockschen Begriffs von Suspense) durch die Untertitelung mehr weiß als der Protagonist.
Dieser wird kongenial von Toby Jones dargestellt, dem man das sensible, britische Schürzenkind sofort abnimmt und der zuvor praktisch nur in Nebenrollen glänzen konnte. Befindet man sich als Zuschauer erst einmal auf der Seite dieses sympathischen Weicheis, wird es nur umso schwieriger, dessen Abstieg in den Wahn beizuwohnen und seine Wahrnehmung von Realität letztendlich in Fetzen fliegen zu sehen.
Hervorheben muss man an dieser Stelle auch die beachtliche Leistung von Kameramann Nicholas M. Knowland, der gekonnt mit Licht und Schatten spielt und für seine Arbeit hier ebenso einen Preis abräumte, wie für seine Zusammenarbeit mit den Brüdern Quay an deren Institute Benjamenta, or This Dream People Call Human Life (UK/J/BRD 1995 R.: Stephan und Timothy Quay dt.: Institut Benjamenta oder Dieser Traum, den man Menschliches Leben nennt).
Ein weiterer gelungener Kunstgriff ist es, dem Zuschauer ständig den Blick auf das zu vertonende Gore- und Sleazefest The Equestrian Vortex zuversagen und ihn sich selbst die schrecklichen Szenen, denen Gilderoy und die Sprecherinnen ausgesetzt sind, vorstellen zu lassen.
Berberian Sound Studio ist eine Liebeserklärung an das italienische Exploitationkino der 60er und 70er Jahre, welches tatsächlich standardmäßig seine Filme nachvertonte. Zwar werden die meisten Reviews nicht müde zu behaupten, der Film sei in erster Linie eine Hommage an den Giallo, doch ist er tatsächlich viel mehr als nur eine Verbeugung vor dem Italo-Thriller. Zwar tauchen, u. a. mit den schwarzen Handschuhen des unsichtbaren Filmvorführers, einige Elemente dieses, in letzter Zeit einige neue Popularität gewinnende Genres, auf, doch seien reine Fans dieser Spielart auf den offensichtlicher am Giallo orientierten Amer (F/B 2009) vom Regiduo Cattet und Forzani verwiesen.
Apropos Giallo, in einem Cameo als buchstäbliche Scream Queen bekommt man tatsächlich Giallo-Ikone Suzy Kendall noch einmal zu Gesicht, die dem Kenner aus Filmen wie L'ucello dalle piume di cristallo (I/BRD 1970 R.: Dario Argento dt.: Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe) oder I corpi presentano tracce di violenca carnale (I 1973 R.: Sergio Martino dt.: Torso - Die Säge des Teufels) ein Begriff sein sollte!


Fazit: Bizarr und sonderlich, langsam und unaufgeregt, sehr britisch und nebenher äußerst italienisch - Arthouse trifft auf Italo-Exploitation und wird ganz verstohlen zu filmischen Thermit.

Punktewertung: 8 von 10 Punkten

Samstag, 13. Juli 2013

Das Paradies der Langeweile

L'éden et après 
F/CZ 1970
R.: Alain Robbe-Grillet



Worum geht's?: Eden heißt so bezeichnend das Café, in dem sich gelangweilte Studenten treffen, um bei bizarren Rollenspielen und Tagträumereien die triste Realität zu vergessen.
Eines Tages trifft ein Fremder (Pierre Zimmer) dort ein und nimmt mit seinen grotesken Zaubertricks und Geschichten von Afrika die Jugendlichen und vor allem die schöne Violette (Catherine Jourdan) für sich ein.
Die beiden verabreden sich zu einem nächtlichen Rendezvous auf einem nahegelegenen Fabrikgelände, doch treiben auch dort scheinbar nur Violettes dem Alltag ebenfalls überdrüssigen Kommilitonen ihre Spielchen mit ihr und ihren Sinnen.
Aber aller bloßer Zeitvertreib scheint abrupt zu enden, als Violette die Leiche des Fremden, der sich ihr mit dem Namen Duchemin vorgestellt hatte, mit zerschmettertem Schädel in einem Kanal findet.
Plötzlich wird ein kleines, unscheinbares Gemälde in Violettes Besitz für alle ungemein wertvoll und man begibt sich unvermittelt ins ferne Tunesien, wo Violette Duchemin wiedertrifft, der sich nun Dutchman zu nennen scheint, und sich ihm dort schließlich in dessen Atelier völlig hingibt.
Währenddesessen setzen ihre Freunde und Mitstudenten alles daran das blau/weiße Ölbild in die Hände zu bekommen und schrecken dabei auch nicht vor Kidnapping, Folter und Mord zurück.
Doch sind diese Personen überhaupt jene, die sie noch zum Anfang im Café Eden waren, oder sind es deren Doppelgänger, die ein ganz eigenes Dasein in einer ganz eigenen Dimension besitzen?


Wie fand ich's?: Schon L'année dernière à Marienbad (F/I 1961 R.: Alain Resnais dt.: Letztes Jahr in Marienbad), dieses geschmackvolle, surreale Verwirrspiel in opulentem Schwarz/weiß, zu dem Alain Robbe-Grillet das Drehbuch geschrieben hatte, hatte sein Publikum vor ein unlösbares Filmlabyrinth gestellt und baff zurückgelassen, bevor der innovative Literat und gelernte Agrarwissenschaftler zwei Jahre später, also 1963, mit L'immortelle (F/I/T 1963 dt.: Die Unsterbliche) bei seinem ersten eigenen Film die Regie übernehmen sollte und denselben Trick erneut versuchen sollte.
Auch in L'éden et après, seinem ersten Farbfilm, sollte Robbe-Grillet seinem erprobten Konzept treu bleiben und es seinem Publikum alles andere als leicht machen.
Schon das Set des Café Eden gleicht einem gläsernen Irrgarten, in dem die Protagonisten wie weiße Mäuse hin und her huschen. Wir befinden uns hier im Frankreich zum Übergang der 70er Jahre, die Großstädte haben ihre Studentenunruhen bereits ein bis zwei Jahre zuvor gehabt und nun scheint Robbe-Grillet eben jene aufmüpfigen junge Leute als müßige Tagträumer mit finsteren Trieben und tiefen Sehnsüchten darstellen zu wollen.
Wie in Antonionis Meisterwerk Blow Up (GB/USA 1966) spielt die Langeweile und Abgeklärtheit des modernen Stadtmenschen auch hier eine zentrale Rolle; man sehnt sich nach Abenteuer und Flucht aus dem grauen Alltag und ein (vielleicht nur eingebildetes) Verbrechen bietet eine spontane Möglichkeit zum Eskapismus.
Zusätzlich zu diesem ohnehin nicht aufzulösenden Spiel mit Realität und Einbildung, fährt Robbe-Grillet noch eine Unzahl von Spiegelungen, Doppelgängern und Dualismen auf, wirft noch eine Handvoll Symbolik in den Topf und schmeckt das ganze mit einigen kurzen Szenen voller Fetischsex und Sadomasochismus ab.
In seinen Filmen, wie in seinen Büchern, legte Robbe-Grillet stets mehr Wert auf die Wirkung seiner Bilder, als auf deren Logik oder Schlüssigkeit. Die von ihm mit initiierte Strömung des Noveau Roman wollte Literatur schaffen, deren Inhalte sich Deutung und Bewertung entziehen, die keinerlei Bezug zur Realität besitzen müssen und die keiner stringenten Chronologie folgen. Dies findet man auch in seinen Filmen wieder, die sich jeder eindeutigen Interpretation verschließen und den Zuschauer zwingen das Gesehene aufgrund des eigenen Erfahrungshorizonts und somit absolut subjektiv zu begreifen.
Damit bietet L'éden et après  natürlich alles andere als simple Kost für ein anspruchsloses Mainstreampublikum und sucht stattdessen einen aufgeschlossenen Zuschauer, der willig ist, sich gedanklich mit diesem Wust an Ideen und Einfällen zu beschäftigen. Allerdings gilt auch hier einmal mehr: Nur wer wagt, gewinnt!


Fazit: Ein Trip, auf den man sich einlassen muss. Ein Labyrinth, das einen an seinem Ende immer wieder zurück an den Anfang bringt - unlösbar, aber von großer Schönheit...

Punktewertung: 8,25 von 10 Punkten

Mittwoch, 3. Juli 2013

Der Schmetterling der Unschuld

Gwendoline aka. The Perils of Gwendoline in the Land of the Yik-Yak
F 1984
R.: Just Jaeckin


Worum geht's?: Die brave Klosterschülerin Gwendoline (Tawney Kitaen) schifft sich mit ihrer Gefährtin Beth (Zabou Breitman) in einer Frachtkiste nach China ein. Die ebenso attraktive, wie naive, junge Frau ist auf der Suche nach ihrem Vater, welcher auf der Jagd nach einem seltenen Schmetterling spurlos in der Wildnis Asiens verschwunden ist.
Bevor sich jedoch die beiden weiblichen Langnasen auf die strapaziöse Suche nach Vati machen können, werden sie erst einmal von einigen bösen Triaden entführt, nur um prompt vom feschen Abenteurer Willard (Brent Huff) aus der misslichen Situation gerettet zu werden.
Zwar erfährt Gwendoline schon bald darauf vom kürzlichen Hinscheiden ihres Papas, doch will sie ihre Jagd auf den seltenen Schmetterling, den ihr Vater gesucht hatte, trotzdem nicht aufgeben, um so sein Andenken zu ehren. 
Nicht ganz auf den Kopf gefallen, nötigen Gwendoline und Beth den in allerlei schmutzige Geschäfte verwickelten Schmuggler ihnen bei ihrer Suche zu helfen und zusammen macht man sich schließlich in das sagenumwobene Land der Yik-Yak auf, wo Gwendolines Vater das letzte Mal gesichtet wurde und die Drei prompt in die Hände der Kiops fallen, eines Eingeborenenstammes, der männliche Eindringlinge als Opfer für einen ebenso geheimnisvollen wie tödlichen Wüstenwind auserkoren hat, welcher von Zeit zu Zeit aus einer Spalte im Wüstenboden dringt.
Auch diesen Gefahren entgangen, findet das Trio zwar endlich ein lebendes Exemplar des gesuchten Falters, landet aber prompt im Schoße einer im Verborgenen lebenden Gesellschaft von in Leder und Eisen gekleideten Wüstenamazonen, deren größenwahnsinnige Königin (Bernadette Lafont) zusammen mit ihrem Mad Scientist D'Arcy (Jean Rougerie) auf einem Berg Diamanten hockt und dringend einen Kerl mit Steherqualitäten zur Fortpflanzung ihres Stammes benötigt.
Da kommt ihr der Vollzeitmacho Willard gerade recht, doch hat der kurz zuvor sein Herz an die noch jungfräuliche Gwendoline verloren und denkt gar nicht daran, die martialisch gewandeten Amazonen zu schwängern.
Wird es unseren Helden gelingen, sich den Nötigungen der verrückten, selbst ernannten Monarchin und ihrem gefügigen Gehilfen D'Arcy zu erwähren und einen Weg aus diesem Wahnsinn zu finden?



Wie fand ich's?: Eines direkt vorweg: Wer sich in diesem verregneten Sommer nach schwülen Abenteuern in exotischen Kulissen sehnt, der findet hier vielleicht zumindest in filmischer Hinsicht sein Glück.
Regisseur Just Jaeckin hatte bereits 1974 mit Emmanuelle (F 1974 dt.: Emanuela) die leider im letzten Jahr verstorbene Belgierin Sylvia Kristel zum Star gemacht, einen Klassiker des Erotikfilms geschaffen und den Grundstein für eine sechsteilige Filmreihe gelegt. In den nachfolgenden zehn Jahren führte er sechs weitere Male bei einem Kinofilm Regie, darunter u. a. der Anthologiefilm Collections privées (F/J 1979 int.: Private Collections), für den Jaeckin neben seinen Kollegen Walerian Borowczyk und Shûji Terajama bei einer der drei Episoden die Regie übernahm.
Anfang der 80er Jahre wurde Jaeckin mit dem Drehbuch zu Gwendoline die Verfilmung der Comics des Fetischfotografen und Bondagekünstlers John Willie (eigentl. John Alexander Scott Coutts [*1902, †1962]) um die Figur der Sweet Gwendoline angeboten, wobei man spätestens jetzt anmerken sollte, dass die Comicvorlage hier eigentlich lediglich ein äußerst dünnes Grundgerüst für eine frivole Persiflage auf das zur selben Zeit immens an den Kinokassen einschlagende Indiana-Jones-Franchise bildet, dessen zweiter Teil Indiana Jones and the Temple of Doom (USA 1984 R.: Steven Spielberg dt.: Indiana Jones und der Tempel des Todes) ebenfalls 1984 in die Lichtspielhäuser gebracht wurde.
So findet sich in diesem Film, der sich im Titel ja explizit auf Willies Comics bezieht, tatsächlich wenig Bondage- und S/M-Zauber, dafür umsomehr Abenteuer und Exotikflair. Der Erotikgehalt hält sich auf dem Level einiger nackter Brüste bzw. Hinterteilen und sehr weniger Softcoreeinlagen und ist insgesamt als sehr ästhetisch und selten platt zu bezeichnen. Wie schon bei Jaeckins anderen Werken scheint auch hier stark dessen Arbeit als Modefotograf durch, was sich weniger durch Einsatz von Weichzeichnern à la David Hamilton zeigt, als durch schöne Sets und ein gutes Gespür für tolle Bilder.
Die prachtvolle Fotografie macht dann vielleicht auch die etwas dahingebogene Story und deren Plotlöcher wett, wobei man den Film theoretisch recht einfach in vier Episoden aufteilen kann (nennen wir sie mal: Gestrandet in China, Der beschauliche Weg zum Ziel, Bei den wilden Wilden und Die Lusthöhle der Amazonen).
Das ist alles nicht viiieeel schlechter gemacht als in anderen der besseren Indy-Ripoffs (wie z. B. dem wiederum zeitgleich gedrehten Romancing the Stone [USA 1984 dt.: Die Jagd nach dem grünen Diamanten] von Robert Zemeckis) und gewinnt durch die Erotikfilmelemente ein zusätzliches Alleinstellungsmerkmal.
Somit wird Gwendoline zu einem interessanten Filmkuriosum, welches allerdings international einigen verschiedenen Schnittfassungen existiert. Vorrang ist hier eindeutig dem etwa 100-minütigen Unrated Director's Cut zu geben, der den nie langweilig werdenden Film endlich in voller Länge präsentiert.


Fazit: Leichtfüßiges Indy-Ripoff mit etwas nackter Haut und schönen Bildern. Ideales Sommerkino für schwüle Abende vor der Kathodenstrahlröhre.

Punktewertung: 7,25 von 10 Punkten

Dienstag, 25. Juni 2013

Die Schwesternschaft des Klappmessers

Die Bronx-Katzen (The Jezebels)
USA 1975
R.: Jack Hill


Worum geht's?: Lace (Robbie Lee) ist ein ganz hartes Luder, nicht umsonst ist sie die Anführerin der Dagger Debs, einer berüchtigten Girl-Gang, und das Liebchen von Dominic (Asher Brauner), den Lace liebevoll Nicki nennt, aber alle anderen ehrfürchtig nur Dom rufen, ist er doch seines Zeichens Gangleader gefürchteten Daggers.
In einem Diner sucht man nach Streit, findet jedoch neben den üblichen Opfern die selbstbewusste Maggie (Joanne Nail), die sich mehr als gut zu wehren weiß, und fast dafür sorgt, dass die bereits einäugige Augenklappenträgerin Patch (Monica Gayle) auch noch den überbleibenden Glupscher verliert.
So was hinterlässt natürlich Eindruck bei der Ganggemeinde und auch ein kurzer Aufenthalt in Mom Smackleys (Kate Murtagh) Besserungsanstalt kan nicht verhindern, dass Lace und Maggie bald beste Freundinnen sind.
Sehr zum Unmut der eifersüchtigen Patch, aber sehr zur Freude Dominics, der eines Abends über Maggie in der Wohnung ihrer Mutter herfällt und mehr an der Neuen interessiert ist, als an der äußerlich so selbstsicher wirkenden Lace. Diese hütet jedoch ein kleines Geheimnis, welches Patch in ihrem ganz persönlichen Rachefeldzug gegen Maggie sehr gelegen kommt.
Alles eskaliert, als sich die Daggers mit dem ebenso zwielichtigen wie schleimigen Crabs (Chase Newhart) anlegen, der die umsatzträchtigen Geschäfte der Bande an der ortsansässigen Highschool übernehmen möchte.
Schon bald fliegt mehr als nur Fäuste durch die Luft, und Maggie muss ihre alte Bekannte Muff (Marlene Clark) aufsuchen, eine schwarze, militante Revoluzzerin, die da noch einige Sturmgewehre auf Lager hat...



Wie fand ich's?: Toughe Mädels in einem rasanten Streifen vom Meister des Exploitationgenres: Mr. Jack Hill. Hill hatte mit Spider Baby or, The Maddest Story Ever Told (USA 1968) einen ewigen Geheimtipp geschaffen und mit Sid Haig dem Genrefilm eine weitere Charakterfresse geschenkt, mexikanischen Low-Budget-Horror mit Boris Karloff veredelt und Pam Grier mit Coffy (USA 1973) und Foxy Brown (USA 1974) zur Ikone des Blaxploitationfilms werden lassen.
The Jezebels sollte aber bereits ein Jahr nach Foxy Brown Hills bis dato vorletzter Film werden, zog sich Hill nach einem Zerwürfnis bei den Dreharbeiten zu Sorceress (USA/MEX 1982 dt.: Mächte des Lichts) mit Produzentenlegende Roger Corman, fast vollkommen aus dem Filmgeschäft zurück.
Doch Hill war und ist nicht nur der König des Exploitationgenre - Hill ist auch bekannt dafür, in vielen seiner rauen Geschichten einen durchaus feministischen Subtext zu transportieren. So sind die weiblichen Figuren in seinen Filmen ihren männlichen Gegenparts zumeist deutlich überlegen (etwas, was Hills Filme u. a. mit denen seines Kollegen Russ Meyer gemein hatte) und somit das eigentliche starke Geschlecht.
Dieses Motiv findet sich auch verstärkt in The Jezebels wieder, dessen Drehbuch nicht eine einwandfreie, männliche Identifikationsfigur aufweist und dessen Sympathie ganz klar bei den Mitgliedern der Mädchengang liegt, die sich im Laufe des Films praktisch immer weiter emanzipieren.
Sisters Are Doin' It for Themselves haben die Eurythmics mit Aretha Franklin im Jahr 1985 aufgenommen, Jack Hill transportierte diesen Inhalt schon zehn Jahre zuvor.
Neben einem feministischen Subtext findet sich durch die Figur der schwarzen Revoluzzerin Muff, welche wunderbar von Marlene Clark (vgl. http://dieseltsamefilme.blogspot.de/2013/05/diese-egoistische-sucht-nach-blut.html) dargestellt wird, ein antirassistisches Motiv, welches Hill bereits in seinen Blaxploitationfilmen mit Pam Grier einbrachte und den Film wohl auch für ein schwarzes Publikum interessant machen sollte.
Für Clark war es, wie für Hill und Robbie Lee, ebenfalls das vorletzte Mal, dass sie ihren Namen auf der großen Leinwand lesen sollte und die immer etwas intellektueller als ihre Kolleginnen wirkende Clark ist ebenso eine Idealbesetzung, wie das ganze Ensemble des Films erstklassig ausgewählt wurde.
Robbie Lee hatte in der Roger Corman Produktion Big Bad Mama (USA 1974 R.: Steve Carver dt.: Liebe böse Mama) erste Erfahrungen im Genre gesammelt und liefert hier ebenfalls einen so bemerkenswerten Auftritt ab, dass man sie gerne noch öfter gesehen hätte, stattdessen lieh sie ihre Stimme (welche vielleicht etwas an Yeardley Smith, Lisas Stimme in The Simpsons, erinnert) einigen Zeichentrickpferden in der Animationsserie Rainbow Brite (USA/F/J 1984 dt.: Regina Regenbogen), bevor sie sich Ende der 80er, genau wie Jack Hill und ihre Kollegin Marlene Clark, auf ein frühes Altenteil aus dem Business zurückzog.



Fazit: Ein Exploitationmovie wie er sein soll - laut, bunt, dreckig und gemein. Gute Unterhaltung von einer lebenden Legende und einem wahren Meister seines Fachs.

Punktewertung: 8 von 10 Punkten

Dienstag, 18. Juni 2013

Vorführung in eindimensionalem Zweikanalton

Stereo
CAN 1969
R.: David Cronenberg


Worum geht's?: Im Auftrag einer Organisation namens Academy Of Erotic Inquiry nehmen mehrere telepathisch begabte Personen (u. a. Ronald Mlodzik, Jack Messinger, Iain Ewing und Clara Mayer) an einem Experiment teil, welches unter der Leitung eines gewissen Dr. Stringfellow ablaufen soll.
Während man den guten Doktor jedoch nie zu Gesicht bekommt, laufen die in mittelalterliche Gewänder gekleideten jungen Leute durch die Korridore und Anlagen eines Betonkomplexes, dazu angehalten durch zusätzliche sexuelle Reize, Interaktionen und Reibungen ihre telepathischen Fähigkeiten noch zu verstärken.
Um noch schneller Resultate zu erreichen, hat man nicht nur den Probanden nicht nur bereits vor Beginn des Experiments chirurgisch die Voraussetzung zum Sprechen genommen, man gibt ihnen noch zusätzlich Aphrodisiaka und Psychodrogen in die Hände.
Doch anstatt der von Dr. Stringfellow angedachten, ultimativen Familie von omnisexuellen Telepathen, welche alle ständig miteinander im Gedanken- und Gefühlsaustausch stehen, verfallen immer mehr Teilnehmer dem Wahnsinn, entwickeln schizophrene Geisteszustände und nehmen sich mitunter gar das Leben.



Wie fand ich's?: Nach den zwei auf 16mm gedrehten Kurzfilmen Transfer (CAN 1966) und From the Drain (CAN 1967) war Stereo mit einer Länge von etwa 65 Minuten der erste Langfilm des damals 26-jährigen Kanadiers David Cronenberg.
Aus Gründen des Budgets entschied man sich nicht nur dafür, erneut in Schwarz/weiß zu drehen, man verzichtete auch zunächst gänzlich auf Ton, nur um den Film dann später mit gelegentlichen, nüchtern heruntergelesenen, pseudo-wissenschaftlichen Kommentaren zu versehen. Manche Quellen berichten allerdings davon, dass die von Cronenberg verwendete Kamera schlicht zu laut war, um einen vernünftigen Ton bei den Aufnahmen bekommen zu können.
Nun könnte man meinen, dass der nachträglich eingefügte Kommentar den Bildern (zusätzlichen) Sinn verleihen sollte, zumal Cronenberg seine Protagonisten 90 % der Laufzeit bei fast absolut langweiligen Tätigkeiten in unnötig langen Einstellungen zeigt. Da werden in einer Mensa (gefilmt wurde auf dem Gelände der Universität von Toronto, das mich persönlich unangenehm an die Betonbunkerbauten der Uni Bochum erinnerte) vom Hauptdarsteller minutenlang einige Schokoriegel verdrückt, da blickt jemand beharrlich mit leerem Blick an der Kamera vorbei etc., während der Kommentar in einem mit Fremdwörtern überladenen, nüchtern wissenschaftlichen Ton über die Theorien und Erkenntnisse des fiktiven Dr. Stringfellow referiert. Diese Theorien reichen von dem interessanten Ansatz einer telepathischen Gesellschaft, welche durch die ständige gedankliche Vernetzung omnisexuell wird, zu vielleicht ursprünglich satirisch gemeinten Quatsch, der den Zuschauer neben den mitunter sehr unspektakulären Bildern nur noch weiter ermüdet und an den Rand seiner eigenen Belastbarkeit bringt.
Wer nämlich glaubt, man bekäme in Stereo schon den body horror späterer Werke Cronenbergs zu bestaunen, der irrt gewaltig. Stereo bietet in erster Linie ästhetische Schwarz/weiß-Photografie, aber die (auch inhaltlich) wohl aufregendste Szene zeigt einen männlichen Telepathen beim Streicheln einer Plastik für den Anatomieunterricht, während ein weiblicher Telepath mit verbundenen Augen danebensitzt und sich praktisch dem Gedankensex hingibt. Besonders in dieser Szene zeigt sich, dass Cronenberg zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere sowohl bereits über das handwerkliche Können, wie über die außergewöhnlichen Ideen und Motive verfügte, was sich allerdings erst ab Shivers (CAN 1975 dt.: Parasiten-Mörder) in weit weniger prätentiösen, dafür umso mehr schockierenden Bildern niederschlagen sollte.
Der auf Stereo folgende Crimes of the Future (CAN 1970) wird oft in einem Atemzug mit seinem hier besprochenen Vorgänger genannt, gibt es doch starke Überschneidungen bei Stil, Laufzeit und Cast & Crew.
Allerdings wurde Crimes of the Future anders als sein Vorgänger von Cronenberg in Farbe gedreht, was wohl bereits ein erster Hinweis auf ein gering höheres Budget war.
Wie in Stereo handelt es sich hier um einen Stummfilm, der nachträglich mit einem Kommentar versehen wurde. Daneben befinden sich noch eine ganze Reihe von seltsamen Geräuschen auf der Tonspur, was die Filmhandlung zusätzlich unterstreicht und kommentiert.
Jene Handlung erzählt von den Reisen Adrian Tripods (Ronald Mlodzik) durch ein Kanada der Zukunft, in dem nach einer durch verseuchte Kosmetika hervorgerufenen Seuche, alle geschlechtsreifen Frauen dahingerafft wurden und Männer immer femininer werden.
Anders als in Stereo wartet Cronenberg hier zusätzlich mit einer schockierenden Pointe, die das Tabuthema Päderastie berührt, auf und bietet tatsächlich schon visuellen body horror, der den Protagonisten beim genüsslichen Verzehr von Körpersekreten kranker Leute zeigt.
Crimes of the Future bietet also in fast jeder Hinsicht mehr als sein Vorgänger, wenngleich man bemerken muss, dass hier wie dort Cronenberg die Ideen über die Laufzeit ausgehen und viele Szenen pure, unnötige Füllsel darstellen.
Dies sollte sich dann aber spätestens 1975, nach einigen Arbeiten für das kanadische Fernsehen, mit dem Release des bereits erwähnten Shivers ändern, bei dem Cronenberg Stil, Ton und Motive erstmals perfekt miteinander verband und sein erstes Meisterwerk ablieferte.


Fazit: Erste, längere, verschwommene Ausblicke auf eine einmal große Karriere. Wie Kim Newman in seinem Buch Nightmare Movies so treffen sagt: "[...] it's possible to be boring and interesting at the same time."

Punktewertung: 4,25 von 10 Punkten
Bonuswertung für Crimes of the Future: 5,5 von 10 Punkten