Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Freitag, 19. Juli 2013

Der letzte Schrei in Italien

Berberian Sound Studio
UK 2012
R.: Peter Strickland


Worum geht's?: 1976. Gilderoy (Toby Jones) ist ein kleines, dickliches Muttersöhnchen, aber auch einer der begabtesten Sound Engineers und Foley Artists Groß-Britanniens.
So lockt ein italienischer Produzent (Cosimo Fusco) den harmoniesüchtigen, zurückhaltenden Briten aus seiner Heimat nach Bella Italia, wo dieser mit seinem Können einen Film veredeln soll.
Allerdings entpuppt sich der Streifen mit dem schönen Titel Il Vortex Equestre als sleazig-brutale Witchploitationkost, was den sanften Gilderoy ebenso erschreckt, wie die Ignoranz seiner Arbeitgeber gegenüber seiner Flugspesenquittung.
Geplagt von Heimweh (wogegen auch nicht das Tape mit den vertrauten Geräuschen der Heimat hilft) macht Gilderoy sich an die für ihn ungewöhnlich martialische Arbeit und sticht dabei zur Tongewinnung schon mal auf ein Dutzend Kohlköpfe ein oder misshandelt anderes jungfräuliches Gemüse.
So geht Tag für Tag dahin, und Gilderoy sucht schnell Halt bei den attraktiven, italienischen Synchronsprecherinnen, welche in dem Studio aus und eingehen und ihn vor Francesco, dem Produzenten und vor Santini (Antonio Mancino), dem egozentrischen und megalomanen Regisseur warnen.
Eine Warnung, die wohl berechtigt ist, fängt Gilderoy doch langsam an sich zu verändern, und auch die Briefe seiner geliebten Mutter werden düsterer, denn etwas hat Zuhaus die Zilpzalps abgeschlachtet...


Wie fand ich's?: Dies ist erst der zweite Film Peter Stricklands, des Sohnes einer griechischen Mutter und eines englischen Vaters, dessen Debüt Katalin Varga (UK/RU 2009) hierzulande trotz des Gewinns eines Silbernen Bären für herausragende künstlerische Leistung bei den Berliner Filmfestspielen und einiger guter Kritiken von der breiten Masse der Kinogänger praktisch vollkommen ignoriert wurde, was auch an der Tatsache liegen mag, dass ein in den Karpaten angesiedeltes Rape/Revenge-Drama, in dem gute 80 Minuten nur Ungarisch gesprochen wird, kaum ein auf Tom Cruise konditioniertes Mainstreampublikum anspricht...
Egal, auch Berberian Sound Studio macht es der anglofonen Mehrheit der Weltbevölkerung nicht leicht, wird doch hier zu gut 70 % der Laufzeit fröhlich Italienisch parliert, was einen Großteil der Zuschauer zum beinah ununterbrochenen Untertitellesen verdammt. Durch diesen Trick schafft es der Film jedoch sehr schnell das Gefühl der Fremde auf den Zuschauer zu übertragen, welcher zugleich (ganz im Sinne des hitchcockschen Begriffs von Suspense) durch die Untertitelung mehr weiß als der Protagonist.
Dieser wird kongenial von Toby Jones dargestellt, dem man das sensible, britische Schürzenkind sofort abnimmt und der zuvor praktisch nur in Nebenrollen glänzen konnte. Befindet man sich als Zuschauer erst einmal auf der Seite dieses sympathischen Weicheis, wird es nur umso schwieriger, dessen Abstieg in den Wahn beizuwohnen und seine Wahrnehmung von Realität letztendlich in Fetzen fliegen zu sehen.
Hervorheben muss man an dieser Stelle auch die beachtliche Leistung von Kameramann Nicholas M. Knowland, der gekonnt mit Licht und Schatten spielt und für seine Arbeit hier ebenso einen Preis abräumte, wie für seine Zusammenarbeit mit den Brüdern Quay an deren Institute Benjamenta, or This Dream People Call Human Life (UK/J/BRD 1995 R.: Stephan und Timothy Quay dt.: Institut Benjamenta oder Dieser Traum, den man Menschliches Leben nennt).
Ein weiterer gelungener Kunstgriff ist es, dem Zuschauer ständig den Blick auf das zu vertonende Gore- und Sleazefest The Equestrian Vortex zuversagen und ihn sich selbst die schrecklichen Szenen, denen Gilderoy und die Sprecherinnen ausgesetzt sind, vorstellen zu lassen.
Berberian Sound Studio ist eine Liebeserklärung an das italienische Exploitationkino der 60er und 70er Jahre, welches tatsächlich standardmäßig seine Filme nachvertonte. Zwar werden die meisten Reviews nicht müde zu behaupten, der Film sei in erster Linie eine Hommage an den Giallo, doch ist er tatsächlich viel mehr als nur eine Verbeugung vor dem Italo-Thriller. Zwar tauchen, u. a. mit den schwarzen Handschuhen des unsichtbaren Filmvorführers, einige Elemente dieses, in letzter Zeit einige neue Popularität gewinnende Genres, auf, doch seien reine Fans dieser Spielart auf den offensichtlicher am Giallo orientierten Amer (F/B 2009) vom Regiduo Cattet und Forzani verwiesen.
Apropos Giallo, in einem Cameo als buchstäbliche Scream Queen bekommt man tatsächlich Giallo-Ikone Suzy Kendall noch einmal zu Gesicht, die dem Kenner aus Filmen wie L'ucello dalle piume di cristallo (I/BRD 1970 R.: Dario Argento dt.: Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe) oder I corpi presentano tracce di violenca carnale (I 1973 R.: Sergio Martino dt.: Torso - Die Säge des Teufels) ein Begriff sein sollte!


Fazit: Bizarr und sonderlich, langsam und unaufgeregt, sehr britisch und nebenher äußerst italienisch - Arthouse trifft auf Italo-Exploitation und wird ganz verstohlen zu filmischen Thermit.

Punktewertung: 8 von 10 Punkten

Samstag, 13. Juli 2013

Das Paradies der Langeweile

L'éden et après 
F/CZ 1970
R.: Alain Robbe-Grillet



Worum geht's?: Eden heißt so bezeichnend das Café, in dem sich gelangweilte Studenten treffen, um bei bizarren Rollenspielen und Tagträumereien die triste Realität zu vergessen.
Eines Tages trifft ein Fremder (Pierre Zimmer) dort ein und nimmt mit seinen grotesken Zaubertricks und Geschichten von Afrika die Jugendlichen und vor allem die schöne Violette (Catherine Jourdan) für sich ein.
Die beiden verabreden sich zu einem nächtlichen Rendezvous auf einem nahegelegenen Fabrikgelände, doch treiben auch dort scheinbar nur Violettes dem Alltag ebenfalls überdrüssigen Kommilitonen ihre Spielchen mit ihr und ihren Sinnen.
Aber aller bloßer Zeitvertreib scheint abrupt zu enden, als Violette die Leiche des Fremden, der sich ihr mit dem Namen Duchemin vorgestellt hatte, mit zerschmettertem Schädel in einem Kanal findet.
Plötzlich wird ein kleines, unscheinbares Gemälde in Violettes Besitz für alle ungemein wertvoll und man begibt sich unvermittelt ins ferne Tunesien, wo Violette Duchemin wiedertrifft, der sich nun Dutchman zu nennen scheint, und sich ihm dort schließlich in dessen Atelier völlig hingibt.
Währenddesessen setzen ihre Freunde und Mitstudenten alles daran das blau/weiße Ölbild in die Hände zu bekommen und schrecken dabei auch nicht vor Kidnapping, Folter und Mord zurück.
Doch sind diese Personen überhaupt jene, die sie noch zum Anfang im Café Eden waren, oder sind es deren Doppelgänger, die ein ganz eigenes Dasein in einer ganz eigenen Dimension besitzen?


Wie fand ich's?: Schon L'année dernière à Marienbad (F/I 1961 R.: Alain Resnais dt.: Letztes Jahr in Marienbad), dieses geschmackvolle, surreale Verwirrspiel in opulentem Schwarz/weiß, zu dem Alain Robbe-Grillet das Drehbuch geschrieben hatte, hatte sein Publikum vor ein unlösbares Filmlabyrinth gestellt und baff zurückgelassen, bevor der innovative Literat und gelernte Agrarwissenschaftler zwei Jahre später, also 1963, mit L'immortelle (F/I/T 1963 dt.: Die Unsterbliche) bei seinem ersten eigenen Film die Regie übernehmen sollte und denselben Trick erneut versuchen sollte.
Auch in L'éden et après, seinem ersten Farbfilm, sollte Robbe-Grillet seinem erprobten Konzept treu bleiben und es seinem Publikum alles andere als leicht machen.
Schon das Set des Café Eden gleicht einem gläsernen Irrgarten, in dem die Protagonisten wie weiße Mäuse hin und her huschen. Wir befinden uns hier im Frankreich zum Übergang der 70er Jahre, die Großstädte haben ihre Studentenunruhen bereits ein bis zwei Jahre zuvor gehabt und nun scheint Robbe-Grillet eben jene aufmüpfigen junge Leute als müßige Tagträumer mit finsteren Trieben und tiefen Sehnsüchten darstellen zu wollen.
Wie in Antonionis Meisterwerk Blow Up (GB/USA 1966) spielt die Langeweile und Abgeklärtheit des modernen Stadtmenschen auch hier eine zentrale Rolle; man sehnt sich nach Abenteuer und Flucht aus dem grauen Alltag und ein (vielleicht nur eingebildetes) Verbrechen bietet eine spontane Möglichkeit zum Eskapismus.
Zusätzlich zu diesem ohnehin nicht aufzulösenden Spiel mit Realität und Einbildung, fährt Robbe-Grillet noch eine Unzahl von Spiegelungen, Doppelgängern und Dualismen auf, wirft noch eine Handvoll Symbolik in den Topf und schmeckt das ganze mit einigen kurzen Szenen voller Fetischsex und Sadomasochismus ab.
In seinen Filmen, wie in seinen Büchern, legte Robbe-Grillet stets mehr Wert auf die Wirkung seiner Bilder, als auf deren Logik oder Schlüssigkeit. Die von ihm mit initiierte Strömung des Noveau Roman wollte Literatur schaffen, deren Inhalte sich Deutung und Bewertung entziehen, die keinerlei Bezug zur Realität besitzen müssen und die keiner stringenten Chronologie folgen. Dies findet man auch in seinen Filmen wieder, die sich jeder eindeutigen Interpretation verschließen und den Zuschauer zwingen das Gesehene aufgrund des eigenen Erfahrungshorizonts und somit absolut subjektiv zu begreifen.
Damit bietet L'éden et après  natürlich alles andere als simple Kost für ein anspruchsloses Mainstreampublikum und sucht stattdessen einen aufgeschlossenen Zuschauer, der willig ist, sich gedanklich mit diesem Wust an Ideen und Einfällen zu beschäftigen. Allerdings gilt auch hier einmal mehr: Nur wer wagt, gewinnt!


Fazit: Ein Trip, auf den man sich einlassen muss. Ein Labyrinth, das einen an seinem Ende immer wieder zurück an den Anfang bringt - unlösbar, aber von großer Schönheit...

Punktewertung: 8,25 von 10 Punkten

Mittwoch, 3. Juli 2013

Der Schmetterling der Unschuld

Gwendoline aka. The Perils of Gwendoline in the Land of the Yik-Yak
F 1984
R.: Just Jaeckin


Worum geht's?: Die brave Klosterschülerin Gwendoline (Tawney Kitaen) schifft sich mit ihrer Gefährtin Beth (Zabou Breitman) in einer Frachtkiste nach China ein. Die ebenso attraktive, wie naive, junge Frau ist auf der Suche nach ihrem Vater, welcher auf der Jagd nach einem seltenen Schmetterling spurlos in der Wildnis Asiens verschwunden ist.
Bevor sich jedoch die beiden weiblichen Langnasen auf die strapaziöse Suche nach Vati machen können, werden sie erst einmal von einigen bösen Triaden entführt, nur um prompt vom feschen Abenteurer Willard (Brent Huff) aus der misslichen Situation gerettet zu werden.
Zwar erfährt Gwendoline schon bald darauf vom kürzlichen Hinscheiden ihres Papas, doch will sie ihre Jagd auf den seltenen Schmetterling, den ihr Vater gesucht hatte, trotzdem nicht aufgeben, um so sein Andenken zu ehren. 
Nicht ganz auf den Kopf gefallen, nötigen Gwendoline und Beth den in allerlei schmutzige Geschäfte verwickelten Schmuggler ihnen bei ihrer Suche zu helfen und zusammen macht man sich schließlich in das sagenumwobene Land der Yik-Yak auf, wo Gwendolines Vater das letzte Mal gesichtet wurde und die Drei prompt in die Hände der Kiops fallen, eines Eingeborenenstammes, der männliche Eindringlinge als Opfer für einen ebenso geheimnisvollen wie tödlichen Wüstenwind auserkoren hat, welcher von Zeit zu Zeit aus einer Spalte im Wüstenboden dringt.
Auch diesen Gefahren entgangen, findet das Trio zwar endlich ein lebendes Exemplar des gesuchten Falters, landet aber prompt im Schoße einer im Verborgenen lebenden Gesellschaft von in Leder und Eisen gekleideten Wüstenamazonen, deren größenwahnsinnige Königin (Bernadette Lafont) zusammen mit ihrem Mad Scientist D'Arcy (Jean Rougerie) auf einem Berg Diamanten hockt und dringend einen Kerl mit Steherqualitäten zur Fortpflanzung ihres Stammes benötigt.
Da kommt ihr der Vollzeitmacho Willard gerade recht, doch hat der kurz zuvor sein Herz an die noch jungfräuliche Gwendoline verloren und denkt gar nicht daran, die martialisch gewandeten Amazonen zu schwängern.
Wird es unseren Helden gelingen, sich den Nötigungen der verrückten, selbst ernannten Monarchin und ihrem gefügigen Gehilfen D'Arcy zu erwähren und einen Weg aus diesem Wahnsinn zu finden?



Wie fand ich's?: Eines direkt vorweg: Wer sich in diesem verregneten Sommer nach schwülen Abenteuern in exotischen Kulissen sehnt, der findet hier vielleicht zumindest in filmischer Hinsicht sein Glück.
Regisseur Just Jaeckin hatte bereits 1974 mit Emmanuelle (F 1974 dt.: Emanuela) die leider im letzten Jahr verstorbene Belgierin Sylvia Kristel zum Star gemacht, einen Klassiker des Erotikfilms geschaffen und den Grundstein für eine sechsteilige Filmreihe gelegt. In den nachfolgenden zehn Jahren führte er sechs weitere Male bei einem Kinofilm Regie, darunter u. a. der Anthologiefilm Collections privées (F/J 1979 int.: Private Collections), für den Jaeckin neben seinen Kollegen Walerian Borowczyk und Shûji Terajama bei einer der drei Episoden die Regie übernahm.
Anfang der 80er Jahre wurde Jaeckin mit dem Drehbuch zu Gwendoline die Verfilmung der Comics des Fetischfotografen und Bondagekünstlers John Willie (eigentl. John Alexander Scott Coutts [*1902, †1962]) um die Figur der Sweet Gwendoline angeboten, wobei man spätestens jetzt anmerken sollte, dass die Comicvorlage hier eigentlich lediglich ein äußerst dünnes Grundgerüst für eine frivole Persiflage auf das zur selben Zeit immens an den Kinokassen einschlagende Indiana-Jones-Franchise bildet, dessen zweiter Teil Indiana Jones and the Temple of Doom (USA 1984 R.: Steven Spielberg dt.: Indiana Jones und der Tempel des Todes) ebenfalls 1984 in die Lichtspielhäuser gebracht wurde.
So findet sich in diesem Film, der sich im Titel ja explizit auf Willies Comics bezieht, tatsächlich wenig Bondage- und S/M-Zauber, dafür umsomehr Abenteuer und Exotikflair. Der Erotikgehalt hält sich auf dem Level einiger nackter Brüste bzw. Hinterteilen und sehr weniger Softcoreeinlagen und ist insgesamt als sehr ästhetisch und selten platt zu bezeichnen. Wie schon bei Jaeckins anderen Werken scheint auch hier stark dessen Arbeit als Modefotograf durch, was sich weniger durch Einsatz von Weichzeichnern à la David Hamilton zeigt, als durch schöne Sets und ein gutes Gespür für tolle Bilder.
Die prachtvolle Fotografie macht dann vielleicht auch die etwas dahingebogene Story und deren Plotlöcher wett, wobei man den Film theoretisch recht einfach in vier Episoden aufteilen kann (nennen wir sie mal: Gestrandet in China, Der beschauliche Weg zum Ziel, Bei den wilden Wilden und Die Lusthöhle der Amazonen).
Das ist alles nicht viiieeel schlechter gemacht als in anderen der besseren Indy-Ripoffs (wie z. B. dem wiederum zeitgleich gedrehten Romancing the Stone [USA 1984 dt.: Die Jagd nach dem grünen Diamanten] von Robert Zemeckis) und gewinnt durch die Erotikfilmelemente ein zusätzliches Alleinstellungsmerkmal.
Somit wird Gwendoline zu einem interessanten Filmkuriosum, welches allerdings international einigen verschiedenen Schnittfassungen existiert. Vorrang ist hier eindeutig dem etwa 100-minütigen Unrated Director's Cut zu geben, der den nie langweilig werdenden Film endlich in voller Länge präsentiert.


Fazit: Leichtfüßiges Indy-Ripoff mit etwas nackter Haut und schönen Bildern. Ideales Sommerkino für schwüle Abende vor der Kathodenstrahlröhre.

Punktewertung: 7,25 von 10 Punkten