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Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Samstag, 10. August 2013

Von Richtern, Rächern und Kinomagiern

Judex
F/I 1963
R.: George Franju


Worum geht's?: Paris kurz nach dem Ersten Weltkrieg.
Der verbrecherische Bankier Favraux (Michel Vitold) erhält schriftliche Drohungen eines gewissen Judex (Channing Pollock), der sofortige Wiedergutmachung für die seit Jahren betrogenen Opfer des feinen Herrn fordert.
Doch der aalglatte Kapitalist denkt gar nicht daran, Kohle lockerzumachen, sondern feiert fröhlich sein 20-jähriges Firmenjubiläum und die gleichzeitige Verlobung seiner Tochter mit einem geldgierigen Windhund, in dem er erst mal einen aufwendigen Maskenball schmeißt.
Fast Mitternacht, hat der Zauberer mit der Vogelkopfmaske seine Darbietung beendet und mit dem letzten Schlag der Kaminuhr bricht der Hausherr leblos zusammen.
Allerdings ist Favraux nicht das Opfer eines Meuchelmordes, sondern das eines perfekten Kidnappings geworden, hält ihn doch der Rest der Welt, inklusive seiner Tochter Jacqueline (Edith Scob) für Tod, während er fortan in Judex' Kellergefängnis über seine Untaten nachdenken soll.
Gestört werden die genialen Pläne des selbst ernannten "Richters" in Schwarz nur von einer draufgängerischen Gangsterbande, die von Favraux früherer Bediensteten Diana (Francine Bergé) angeführt wird und durch Zufall vom wahren Verbleib des Bankiers erfährt.
So planen die Gauner schon bald, den Gekidnappten selbst aus seinem Gefängnis zu entführen, um so an dessen gewaltiges Vermögen zu gelangen.
Aber da hat Judex ja gottseidank noch ein Wörtchen mitzureden...


Wie fand ich's?: Fast 50 Jahre später, eine Hommage auf die Serials der 10er Jahre und ihren König Louis Feuillade (*1873; †1925) zu drehen, zeugt von tiefer Verbundenheit mit diesem Genre.
Feuillade hatte mit den Reihen um Fantômas (F 1913-1914) und Irma Vep, Mitanführerin der Bande  Les Vampires (F 1915-1916), dem französischen Kino bereits früh zwei Ikonen bescherrt - Superverbrecher, deren Taten und Verkleidungen den Zuschauer weit mehr faszinierten, als die spießigen Bürokraten, die ihnen aufgeregt hinterherjagten.
Mit der Figur des Judex (lat. Richter) wollte Feuillade sich dann doch noch auf die Seite der Kämpfer für Recht und Ordnung schlagen und in der Person des Rächers im schwarzen Umhang bereits eine Schablone für Superhelden wie The Shadow oder Batman schaffen. Gespielt wurde dieser Ur-Vigilant seiner Zeit von René Cresté und seine Gegenspielerin war die legendäre Musidora (eigtl.: Jean Roques), die bereits als o. g. Irma Vep in Les Vampires das Publikum begeistert hatte.
Nun begab es sich, dass Anfang der 60er Jahre Meisterregisseur George Franju (*1912; †1987) das Angebot unterbreitet wurde ein Remake des Judexserials in Form eines aufwendigen Kinofilms zu produzieren. Franju soll zunächst wenig begeistert von dieser Idee gewesen sein, war er doch weit mehr an der Gestalt des Fantômas interessiert und sah Judex im Vergleich als Feuillades schlechteste Arbeit an.
Franju, immerhin selbst ein unbestrittener Meister seines Faches (man denke natürlich nur an seinen Überklassiker Les youx sans visage [F/I 1960 dt.: Das Schreckenhaus des Dr. Rasanoff]), übernahm die Vorlage mit einigen kleineren Änderungen, doch ist es nicht wirklich verwunderlich, dass Judex am Ende zu fast gleichen Teilen ein Feulliade-Remake und ein Franju-Film geworden ist. So findet man in Judex sowohl Feulliades rasanten Erzählstil wie Franjus Vorliebe zum Expressionismus eines Fritz Lang mit einem leichten Hang zum Surrealismus.
Das zeigt sich auch in der berühmtesten Szene des Films, in der Judex mit einer wunderbar gestalteten und an die Arbeiten eines Max Ernst oder J. J. Grandville angelehnten Vogelmaske Zaubertricks mit Tauben vor den Teilnehmern eines Maskenballs vorführt.
Tatsächlich war der Darsteller des Judex, Channing Pollock, vor seiner Karriere als (in erster Linie TV-) Schauspieler ein bekannter Bühnenmagier, dessen Tricks mit Vögeln ihm große Popularität und Auftritte in Fernsehshows einbrachte. Leider muss man an dieser Stelle aber auch bemerken, dass Pollock mit seiner stets starren Mine kaum einen würdigen Nachfolger für René Cresté darstellt.
Ganz anders verhält sich das mit Francine Bergé in der Rolle der einfallsreichen Gaunerin, die hier immerhin in den riesigen Fußstapfen einer Musidora wandelt, durch ihre sexy Kostüme und ihr flamboyantes Schauspiel aber (wohl ganz im Sinne ihrer Vorgängerin) praktisch jede Szene sofort an sich reißt und durch ihre bloße Präsenz klar dominiert.



Fazit: Stylish, rasant, nostalgisch, modern, trivial und künstlerisch. Meister Franju verfrachtet genial ein obsoletes Medium in die 60er Jahre.

Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten