Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Freitag, 18. Oktober 2013

Schimpansen, Krieg und Blasmusik

Underground (TV-Fassung: Bila jednom jedna zemlja)
YU/F/BRD/BG/CZ/H 1995
R.: Emir Kusturica


Worum geht's?: 6. April 1941. Deutsche Fliegerbomben zerstören den Belgrader Zoo und legen die Stadt in Schutt und Asche.
Kurz zuvor hatten die beiden Lebenskünstler Marko (Predrag Manojlovic) und Blacky (Lazar Ristovski) noch die Nacht zum Tag gemacht, nun liegt Blacky zu Hause im Bett neben seiner eifersüchtigen Gattin und Marko in den Armen einer drallen Dirne.
Als die ersten Bomben einschlagen und deutsche Truppen die Stadt besetzen, schließen sich die beiden Freunde als wahre Patrioten schon bald dem aktiven Untergrund an.
Blackys enormer Hass auf die Faschisten wird noch zusätzlich von seiner Eifersucht auf einen Nazi-Offizier (Ernst Stötzner) befeuert, der seiner Liebschaft, der hübschen Theatermimin Natalija (Mirjana Jokovic), seit Neustem den Hof macht.
Nach einem fehlgeschlagenen Attentat auf eben jenen Offizier fällt Blacky in die Hände der Besatzer und wird daraufhin in einer städtischen Irrenanstalt von den Nazis gefoltert und gefangengehalten. Marko gelingt es zwar ihn zu befreien, doch verletzt sich Blacky bei der unglücklichen Handhabung einer Handgranate schwer.

1961. Josip Broz Tito regiert nun über die Volksrepublik Jugoslawien. An seiner Seite: Marko, der nun an Blackys Stelle mit Natalija liiert ist und fröhlich Waffen am Regime vorbei in aller Herren Länder und auch nach Deutschland schiebt.
Jene Waffen werden seit Jahren im Keller seines Hauses hergestellt, wo eine Gruppe von Partisanen unter der Leitung des wiedergenesenen Blacky von Marko mit wüsten Schreckgeschichten und gefälschten Radioberichten im Glauben gehalten werden, der Krieg dauere immer noch an.
Zwar hat man sich über die Jahre in den Kellern häuslich eingerichtet, doch juckt es dem verbissenen Blacky in den Fingern, mit den von ihm hergestellten Waffen Rache an den für ihn immer noch existenten Nazis zu nehmen.
Als ein Schimpanse auf der Hochzeitsfeier von Blackys im Keller geborenen Sohns Jovan (Srdjan Todorovic) mit einer Panzergranate für Chaos und Zerstörung sorgt, gelingt Vater und Sohn die Flucht an die Oberfläche, wo die beiden in den für sie immer noch andauernden Krieg gegen die Deutschen eingreifen wollen.
Hat der mittlerweile zwanzigjährige Jovan zuvor noch nie das Licht der Sonne gesehen, so findet sich Blacky schon bald erneut im Kampf mit Männern in Nazi-Uniformen wieder, denn ein Filmteam verfilmt gerade in authentischen Kostümen das aufregende Leben des seit Langem für tot erklärten Petar Poparas, eines der größten Helden der Stadt zu Zeiten des letzten Weltkriegs. Freunde kannten diesen jedoch zumeist unter seinem Spitznamen: Blacky...


Wie fand ich's?: Als ebenso fröhliche wie grimmige Farce tischt uns hier der Serbe Emir Kusturica (*1954) drei bedeutende Abschnitte der Historie seiner Heimat auf.
Beginnend mit dem 2. Weltkrieg, über das Titoregime und die Zeit des Kalten Krieges, bis hin zum Bruderkrieg der Jahre 1991-1995, führt uns Kusturica durch sturmumtoste Zeiten voller Freud und Leid. Die stets erdfarbenen Bilder sind dabei bevölkert von Kusturicas gleichermaßen findigen wie originellen Helden, welche es verstehen aus jeder Not eine Tugend zu machen. Kusturicas Protagonisten sind mal lebenslustige Patrioten, mal umtriebige Kriegsgewinnler oder eben auch nur ganz normale Leute, deren Leben durch Krieg und Politik in immer abstrusere Situationen gebracht wird, bis sich der Kreis zu Letzt wieder schließt und der Krieg erneut sein widerliches, brutales Gesicht zeigt.
"Der Kommunismus war wie ein Keller", sagt der Deutsche Hark Bohm als jovialer Psychiater in einer Szene gegen Ende des monumentalen Werkes und bringt damit wohl Kusturicas relativ offensichtliche Allegorie ebenso schlicht wie treffend auf den Punkt - allerdings scheint sich dieser Vergleich primär auf die langjährige Diktatur Titos zu beziehen, da es nun mal jener Zeitraum ist, in dem die Handlung hauptsächlich in Markos unterirdischer Waffenfabrik spielt.
Veröffentlicht wurde Underground in zwei verschiedenlangen Schnittfassungen, einer gekürzten Kinoversion für den internationalen Markt mit etwa 163-minütiger Laufzeit sowie einer über 300 Minuten langen TV-Version, welche auch unter dem Titel Bila jednom jedna zemlja firmiert und wohl Kusturicas ursprünglicher Vision am nächsten kommt. Dieser Titel der sechsteiligen Fernsehserie lässt sich als "Es war einmal ein Land" ins Deutsche übersetzen und kündet sowohl vom beabsichtigten epischen Maßstab der Erzählung wie der inhaltlichen Annäherung an Volksmärchen.
Ein Märchen sahen viele Kritiker in Kusturicas Magnum Opus trotz des Gewinns der goldenen Palme in Cannes 1995 und zahlreicher weiteren Trophäen allerdings dann doch nicht. Vielmehr wurden international schnell Stimmen laut, die Kusturica der pro-serbischen Propaganda bezichtigten und mitunter bereits in der Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und dem Serbischen Rundfunk ein Indiz für eine allzu einseitige Betrachtungsweise der historischen Wahrheiten sahen. Kusturica bestreitet diese Vorwürfe seither und bezeichnet sich selbst, der er doch sowohl einen serbischen wie französischen Pass besitzt, schlicht als Jugoslawe.
Andere Kritiker stießen sich zudem noch an den für sie allzu hedonistischen Figuren, welche dem Ausland lediglich saufende und herumhurende Balkanbewohner vorführen würden. Ich frage mich an dieser Stelle, ob sich die Stadt Baltimore wohl je bei John Waters beschwert hat...
Einerlei, ich für meinen Teil konnte weder einen merklichen anti-bosnischen Ton erkennen, noch stieß ich mich an allzu vieler Blasmusik oder konsumierten Wodka. Vielmehr bot sich mir ein, wenn auch zugegeben teilweise schon recht naiv gezeichneter, Bilderbogen voller großer Gefühle und fantastischen Tableaus.
Für mich jedenfalls ist und bleibt Kusturica so was wie der Fellini des Balkans, dessen Filme oft von einer unbändigen Lebensfreude der Bevölkerung dieser Region sprechen und vor kreativen Einfällen regelrecht sprühen.


Fazit: Kusturicas Meisterwerk bietet (fast) alles: Liebe und Tod, Witz und Tragödie, Chaos und Blasmusik - was will man da noch mehr?

Punktewertung: 9 von 10 Punkten

Dienstag, 1. Oktober 2013

Die letzte Flucht

Alice ou la dernière fugue (dt.: Alice; int.: Alice or the Last Escapade)
F 1977
R.: Claude Chabrol


Worum geht's?: Eines regnerischen Tages ist die schöne Alice (Sylvia Kristel) ihren Ehemann leid und flüchtet mit dem Renault in die nasse Nacht.
Doch urplötzlich splittert die Windschutzscheibe und der Wagen kommt vor den Toren eines einsam im Wald gelegenen Herrenhauses zum Stehen.
Ein livrierter Hausdiener (Jean Carmet) hält der jungen Frau höflich die Pforte auf und bittet sie herein, wo sie von einem jovialen, älteren Herrn namens Vergennes (Charles Vanel) sogleich nicht nur ein Omelette, sondern auch ein Bett für die Nacht angedient bekommt.
Des Nachts schallen seltsame Geräusche durch das gespenstische Haus und vormals stehen gebliebene Uhren beginnen wieder zu ticken.
Am nächsten Morgen findet Alice den Landsitz zu ihrer Überraschung menschenleer vor und muss zu ihrer weiteren Verblüffung erkennen, dass praktisch alle, das Haus umgebenden, Waldwege sie lediglich zurück zum verwitterten Anwesen führen.
Scheinbar zufällig trifft sie beim Versuch eine hohe Mauer im Garten zu überklettern auf einen jungen Herrn in Weiß, der ihr die Zwecklosigkeit ihres Unterfangens nahe bringt, sich jedoch partout weigert, ihr jegliche Frage zu beantworten.
Doch ist Alice tatsächlich eine Gefangene? Gibt es einen Ausweg? Und was befindet sich hinter der geheimnisvollen Tür zum Keller?



Wie fand ich's?: Ich habe in diesem Blog ja bereits mehrfach Filme besprochen, welche direkt oder indirekt Bezug auf die Werke Lewis Carrolls nehmen (s. h.: Auch Hasen schlagen Haken und Skandal im Sperrbezirk). In diesem Falle jedoch (Titel und Name der Hauptprotagonistin, Alice Carrol, weisen eindeutig auf eine gewollte Verbindung zu den surrealen Kinderbüchern Carrolls hin), führt dies den Zuschauer letztendlich wohl eher in die falsche Richtung. Wer eine verrückte Teeparty erwartet, bekommt stattdessen ein verstörendes Mitternachtsmahl serviert, und wer mit einem weißen Hasen rechnet, kriegt einen ebenso wortkargen wie geheimnisvollen jungen Herrn in blütenweißer Freizeitkleidung zu sehen.
Der ja eher für seine Vorlieben für Hitchcock und die kleinen und großen Verbrechen des Bürgertums seiner französischen Heimat bekannte Claude Chabrol (vgl.: Leicht perlend, stark im Abgang) liefert hier seinen vielleicht ungewöhnlichsten Film ab, den er zudem im Vorspann dem Gedenken an Fritz Lang widmet. Dessen offensichtlicher Einfluss auf diesen Film ist aber ebenso gering, wie der Lewis Carrolls und der überraschende Schlusstwist rückt den Film noch mehr in die Richtung Drama.
Zwar ist diese Endauflösung nicht neu, doch gewinnt der Film dadurch tatsächlich an Tiefe und dient nicht nur als plumper Schockeffekt. Betrachtet man den Film im Wissen um diese Auflösung erneut, so werden die Begegnungen und Gespräche in ein neues Licht gerückt und besonders der Dialog mit dem Hausdiener Colas am Ende des Films gibt der Geschichte eine zusätzlich tragische Wendung.
Dieses menschliche Schicksal rückt den Film dann doch wieder etwas näher an das Gesamtwerk Chabrols, aus dem dieser etwas vergessene Mysterythriller herausfällt.
Ob Sylvia Kristel (*1952; †2012) die Hauptrolle allein aufgrund ihrer ernormen Popularität als Emmanuelle aus Just Jaeckins Erfolgsfilm von 1974 bekam, sei mal dahinzustellen, durch eine kurze, etwas unmotivierte Nacktszene der leider im letzten Jahr verstorbenen Erotikikone, wird dieser Eindruck allerdings untermauert. Zwar ist die darstellerische Leistung der attraktiven Belgierin nicht wirklich schlecht, doch es ist schon interessant sich zu fragen, wie der Film mit einer erfahrenere Schauspielerin in ihrer Rolle ausgesehen hätte.



Fazit: Ein leichter Fall von Etikettenschwindel und ein ungewöhnlicher Stoff für den Regisseur - aber ein ebenso charmanter, wie veritabler Geheimtipp im Genre des Psychohorrors.

Punkterwertung: 8 von 10 Punkten