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Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Dienstag, 1. Oktober 2013

Die letzte Flucht

Alice ou la dernière fugue (dt.: Alice; int.: Alice or the Last Escapade)
F 1977
R.: Claude Chabrol


Worum geht's?: Eines regnerischen Tages ist die schöne Alice (Sylvia Kristel) ihren Ehemann leid und flüchtet mit dem Renault in die nasse Nacht.
Doch urplötzlich splittert die Windschutzscheibe und der Wagen kommt vor den Toren eines einsam im Wald gelegenen Herrenhauses zum Stehen.
Ein livrierter Hausdiener (Jean Carmet) hält der jungen Frau höflich die Pforte auf und bittet sie herein, wo sie von einem jovialen, älteren Herrn namens Vergennes (Charles Vanel) sogleich nicht nur ein Omelette, sondern auch ein Bett für die Nacht angedient bekommt.
Des Nachts schallen seltsame Geräusche durch das gespenstische Haus und vormals stehen gebliebene Uhren beginnen wieder zu ticken.
Am nächsten Morgen findet Alice den Landsitz zu ihrer Überraschung menschenleer vor und muss zu ihrer weiteren Verblüffung erkennen, dass praktisch alle, das Haus umgebenden, Waldwege sie lediglich zurück zum verwitterten Anwesen führen.
Scheinbar zufällig trifft sie beim Versuch eine hohe Mauer im Garten zu überklettern auf einen jungen Herrn in Weiß, der ihr die Zwecklosigkeit ihres Unterfangens nahe bringt, sich jedoch partout weigert, ihr jegliche Frage zu beantworten.
Doch ist Alice tatsächlich eine Gefangene? Gibt es einen Ausweg? Und was befindet sich hinter der geheimnisvollen Tür zum Keller?



Wie fand ich's?: Ich habe in diesem Blog ja bereits mehrfach Filme besprochen, welche direkt oder indirekt Bezug auf die Werke Lewis Carrolls nehmen (s. h.: Auch Hasen schlagen Haken und Skandal im Sperrbezirk). In diesem Falle jedoch (Titel und Name der Hauptprotagonistin, Alice Carrol, weisen eindeutig auf eine gewollte Verbindung zu den surrealen Kinderbüchern Carrolls hin), führt dies den Zuschauer letztendlich wohl eher in die falsche Richtung. Wer eine verrückte Teeparty erwartet, bekommt stattdessen ein verstörendes Mitternachtsmahl serviert, und wer mit einem weißen Hasen rechnet, kriegt einen ebenso wortkargen wie geheimnisvollen jungen Herrn in blütenweißer Freizeitkleidung zu sehen.
Der ja eher für seine Vorlieben für Hitchcock und die kleinen und großen Verbrechen des Bürgertums seiner französischen Heimat bekannte Claude Chabrol (vgl.: Leicht perlend, stark im Abgang) liefert hier seinen vielleicht ungewöhnlichsten Film ab, den er zudem im Vorspann dem Gedenken an Fritz Lang widmet. Dessen offensichtlicher Einfluss auf diesen Film ist aber ebenso gering, wie der Lewis Carrolls und der überraschende Schlusstwist rückt den Film noch mehr in die Richtung Drama.
Zwar ist diese Endauflösung nicht neu, doch gewinnt der Film dadurch tatsächlich an Tiefe und dient nicht nur als plumper Schockeffekt. Betrachtet man den Film im Wissen um diese Auflösung erneut, so werden die Begegnungen und Gespräche in ein neues Licht gerückt und besonders der Dialog mit dem Hausdiener Colas am Ende des Films gibt der Geschichte eine zusätzlich tragische Wendung.
Dieses menschliche Schicksal rückt den Film dann doch wieder etwas näher an das Gesamtwerk Chabrols, aus dem dieser etwas vergessene Mysterythriller herausfällt.
Ob Sylvia Kristel (*1952; †2012) die Hauptrolle allein aufgrund ihrer ernormen Popularität als Emmanuelle aus Just Jaeckins Erfolgsfilm von 1974 bekam, sei mal dahinzustellen, durch eine kurze, etwas unmotivierte Nacktszene der leider im letzten Jahr verstorbenen Erotikikone, wird dieser Eindruck allerdings untermauert. Zwar ist die darstellerische Leistung der attraktiven Belgierin nicht wirklich schlecht, doch es ist schon interessant sich zu fragen, wie der Film mit einer erfahrenere Schauspielerin in ihrer Rolle ausgesehen hätte.



Fazit: Ein leichter Fall von Etikettenschwindel und ein ungewöhnlicher Stoff für den Regisseur - aber ein ebenso charmanter, wie veritabler Geheimtipp im Genre des Psychohorrors.

Punkterwertung: 8 von 10 Punkten