Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Samstag, 21. Dezember 2013

Erotische Verwirrspiele im Schloß

The Lickerish Quartet (Das lüsterne Quartett)
USA 1970
R.: Radley Metzger

 
Worum geht's?: Ein vom Leben ebenso wie von ihrer Beziehung gelangweiltes Ehepaar (Frank Wolff und Erika Remberg) schaut sich im großen Salon ihres Schlosses einen in schmutzigem Schwarz-Weiß gedrehten Amateurporno an.
Ebenfalls anwesend ist ihr erwachsener Sohn (Paolo Turco), dessen starkes Unbehagen über die auf Zelluloid gebannten Handlungen schließlich dazu führt, dass man bald Action und Unterhaltung anderer Art auf dem Rummelplatz im nahegelegenen Städtchen sucht.
Gemeinsam verfolgt man zunächst die tollkühnen Fahrkünste einer Motorradstunttruppe in der gefährlichen Steilwand, doch der wahre Höhepunkt kommt für das Trio, als diese glauben in der attraktiven Fahrerin im weißen Lederdress (Silvana Venturelli) eine der beiden Hauptdarstellerinnen aus dem schlüpfrigen Film von zuvor zu erkennen, wenn auch mit veränderter Haarfarbe.
Seiner Entdeckung sicher, beschließt der Familienvorstand die junge Frau mit nach Hause zu locken, um sich dann dort bei der Vorführung des Streifens über die vermeintliche Peinlichkeit der Darstellerin zu ergötzen.
Gesagt, getan - doch stellt man zurück im heimischen Schloss zur allgemeinen Verblüffung der offensichtlich dysfunktionalen und zerstrittenen Familie fest, dass bei der erneuten Vorführung des Films plötzlich ständig das Gesicht der Hauptdarstellerin verdeckt ist, sei es durch ihre eigenen blonden Haare oder Gegenständen im Raum. Nach eifrigem Zurückspulen muss man sogar feststellen, dass man nun zwar plötzlich das Antlitz der Blondine zu sehen bekommt, es sich aber nun um eine vollkommen andere Person handelt.
Den bösen Plan durch höchst sonderbare Vorkommnisse jäh vereitelt, lädt man das ehemals designierte Opfer ein, die Nacht vor Ort zu verbringen.
Allein im Schlafgemach legt die Schönheit lachend ihre brünette Perücke ab, und bereitet sich schmunzelnd darauf vor, das Leben ihrer Gastgeber in Kürze vollkommen auf den Kopf zu stellen. Schnell wird aus dem scheinbar ahnungslosen Opfer eine umso vergnügtere Täterin und die zuvor noch so angeödeten Schlossbewohner erliegen nur allzu schnell den Verführungskünsten ihres Gastes...



Wie fand ich's?: Der unlängst verstorbene Filmkritiker Roger Ebert hasste diesen Film ebenso sehr wie sein Vorgängerwerk Camille 2000 (USA 1969 dt.: Kameliendame 2000), der es sogar auf Eberts gefürchtete Most Hated Liste schaffte.
Während Camille 2000 für Ebert scheinbar nur eine langweilige Zurschaustellung der größtenteils nackten Hauptdarstellerin Danièle Gaubert war, bemängelte er an The Lickerish Quartet, dass dieser pretentiöser Mist sei, wenn auch schön fotografiert, und bekam von Ebert letztendlich immerhin einen halben Punkt mehr spendiert als Camille 2000.
Dabei vergleicht Ebert in seiner Filmbesprechung The Lickerish Quartet immerhin mit Alain Resnais Meisterwerk L'année dernière à Marienbad (F/I 1961), der es immerhin bei ihm (gerechtfertigterweise) zur Höchstnote **** brachte, ein Vergleich, der in meinen Augen auch überhaupt nicht so weit hergeholt ist, wenngleich ich Metzgers Film eher mit den Werken Allain Robbe-Grillets (vgl. http://dieseltsamefilme.blogspot.de/2013/07/das-paradies-der-langeweile.html) nebeneinander stellen würde, der aber ja wiederum das Drehbuch zu Resnais Glanzstück verfasst hatte.
Sind Marienbad und die Filme Robbe-Grillets wunderbar inszenierte und fotografierte Kunststücke, welche aber nur schwer und manchmal gar nicht zu entziffern sind, ist Metzgers lüsterndes Quartett ein weit weniger undurchsichtiges Ehe- bzw. Familiendrama, welches sich zum Ende des Films auch immer mehr im Stile eines Thrillers selbst entschlüsselt, über dass man einen Anstrich des Übernatürlichen, Märchenhaften gelegt hat, was dem Film in meinen Augen auch die nötige zusätzliche Spannung schenkt, um ihn ohne große Längen über die Laufzeit von 90 Minuten zu bringen.
Dazu tragen natürlich auch die wundervollen Sets bei, welche von Metzgers Kameramann, dem Österreicher Hans Jura, kongenial eingefangen wurden. Das in den Abruzzen gelegene Schloss von Balsorano hatte u. a. auch schon als prächtige Kulisse für Massimo Pupillos wunderbaren Heuler Il boia scarlatto (I/USA 1965 dt.: Scarletto - Schloß des Blutes) mit Mickey Hargitay in der Titelrolle des scharlochroten Henkers hergehalten und beheimatete Jayne Mansfields muskelbepackten Ex-Gatten erneut fast eine Dekade später für die Dreharbeiten zu Riti, magie nere e segrete orge nel trecento... (I 1973 R.: Renato Polselli aka.: Black Magic Rites), einem ebenso schrägen Machwerk italienischer Filmkunst.
Hauptdarstellerin Silvana Venturelli hatte ein Jahr zuvor mit Metzger schon in der bereits oben genannten, frivolen Alexandre Dumas Adaption Camille 2000 gespielt und war auch schon fast am Ende ihrer kurzen Karriere angekommen, was leider auch für den Amerikaner Frank Wolff galt, der mit allen Größen des Spaghettiwesterns gearbeitet hatte, sich aber ein Jahr nach den Dreharbeiten zu The Lickerish Quartet in der Vorweihnachtszeit das Leben nahm. Wolff wurde nur 43 Jahre alt.


Fazit: Eine kunstfertige Mixtur aus Arthouse- und Erotikfilm, abgeschmeckt mit einer ordentlichen Prise Psychedelika. 


Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten

Samstag, 14. Dezember 2013

Von Blutsaugern und der französischen Filmkunst

Irma Vep
F 1996
R.: Olivier Assayas


Worum geht's?: René Vidal (Jean-Pierre Léaud) hat schon bessere Zeiten erlebt. Der Regisseur französischer Filmkunst wirkt kreativlos und leer, sein nächstes Projekt ist ausgerechnet ein Remake des berühmten Stummfilmserials Les Vampires von 1915, eines eigentlich als unantastbar geltenden Werkes.
Für die Hauptrolle der Irma Vep hat der fahrig wirkende Vidal bereits die schöne Chinesin Maggie Cheung (eben jene) besetzt, da ihm deren Präsenz im Actionstreifen Heroic Trio ins Auge gefallen war und er sich offenkundig bereits zuvor in die zarte Asiatin verguckt hatte.
Jene hat am Pariser Set zwar schwer mit der ständig vorhandenen Sprachbarriere zu kämpfen, doch findet sie in der lesbischen Kostümbildnerin Zoé (Nathalie Richard) schnell eine Freundin, welche allerdings, im Gegenteil zu Vidal, aus ihrem Interesse an der am Set stets in schwarzes Latex gekleidete Amazone zunächst noch selbst einen Hehl macht, allerdings bei einer Party von einer Bekannten etwas unsensibel geoutet wird.
Dann erleidet Vidal plötzlich in seiner Wohnung nach einem Streit mit seiner Ehefrau einen Zusammenbruch und es ist ungewiss, ob die Dreharbeiten je abgeschlossen werden.
Während Maggie tapfer versucht sich den Nachstellungen und Intrigen am Set zu erwehren und in Interviews zu kämpfen hat, schwelt versteckt der Plan, Vidal den Film gänzlich zu entziehen und das Projekt von dessen Kollegen José (Lou Castel) beenden zu lassen. Dieser hat nicht nur starke Bedenken, was das bereits von Vidal abgedrehte Material angeht - auch die Hauptdarstellerin ist ihm ein Dorn im Auge.


Wie fand ich's?: Fiktionale Werke über das Filmemachen sind ja in der Filmgeschichte nicht allzu selten, man denke nur an Fellinis autobiografischen Seelenstriptease 8½ (I 1963 dt.: Achteinhalb) oder den eine Dekade später entstandenen La nuit américane (F 1973 dt.: Die amerikanische Nacht) von François Truffaut.
Gleiches trifft auf Filme über Sprachbarrieren zu, Dances with Wolves (USA/GB 1990 R.: Kevin Costner dt.: Der mit dem Wolf tanzt) oder Sofia Coppolas Lost in Translation (USA/J 2003) kommen einem in den Sinn.
Irma Vep verbindet diese beide Inhalte und fügt noch weitere hinzu. Da ist der Filmstar in der Fremde, der daraus resultierende Kulturclash, die deshalb zum Scheitern ebenso verurteilte, lesbische Romanze mit der sensiblen Kostümbildnerin, wie das (scheinbar) zum selbigen verurteilte Remake eines Klassikers aufgrund der Labilität des Inszenators.
Anders als in Woody Allens Stardust Memories (USA 1980) oder dessen direktem Vorbild 8½ verlegt Assayans aber die Protagonistenrolle vom (an Selbstzweifeln leidenden) Regisseur zur Hauptdarstellerin und die Perspektive von innen nach außen. Dadurch verhindert Assayans den direkten Vergleich mit diesen Werken und schafft Raum für zusätzliche Themen und Personen.
So reflektiert Regisseur und Drehbuchautor Assayans nebenher noch über die Stellung des intellektuellen, französischen Arthouse- bzw. Autorenfilms zur Mitte der 90er Jahre, in dem er in einer grotesken Szene dieses ausgerechnet von der Chinesin Cheung gegenüber einem französischen Journalisten und John Woo Fan verteidigen lässt.
Einen zusätzlich melancholischen Ton bekommt der Film durch die zarte Liebesgeschichte zwischen Maggie und Zoe, eine Liebe, die allerdings von Ersterer nicht erwidert wird und in einer wunderbaren Szene vor einer Pariser Disco kulminiert.
Tatsächlich heiratete Oliver Assayas seine Hauptdarstellerin zwei Jahre nach den Dreharbeiten zu Irma Vep im Jahr 1998, man ließ sich allerdings bereits 2001 wieder scheiden, nur um erneut drei Jahre später mit dem mehrfach preisgekrönten Junkiedrama Clean (F/CAN/GB 2004) seine Exfrau wieder als gefeierten Star nicht nur in Cannes auf die Leinwände zu bringen.


Fazit: Eine wundervoll unaufgeregte, lakonische Tragikkomödie über eine Künstlerin in der Fremde und ein ziellos dahinvegetierendes Filmgenre. Das schaff(t)en nur Fellini, Allen oder eben Assayans.

Punktewertung: 8,5 von 10 Punkten