Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Donnerstag, 23. Januar 2014

Man boxt sich so durch...

淫種 bzw. Mo (int.: The Boxer's Omen)
HK 1983
R.: Kuei Chih-Hung


Worum geht's?: Kurz nachdem sein Bruder im Boxring durch einen Fiesling (Bolo Yeung Sze) plattgemacht wurde, beginnt der Gangster Chan Hung (Phillip Ko Fei) seltsame Omen und Erscheinungen zu sehen.
Nichtsdestotrotz begibt er sich umgehend ins Land der Thais, um dort sein nun im Rollstuhl sitzendes Bruderherz schleunigst in einem Revanchekampf zu rächen.
Eine erneute Vision führt ihn jedoch zuvor in einen Tempel, wo er zu seiner Verblüffung feststellen muss, dass er für noch viel schwerwiegendere Aufgaben auserkoren wurde.
Chan Hung ist nämlich in einem früheren Leben der Zwillingsbruder des kurz vor der Erlangung der Unsterblichkeit stehenden Abts (Elvis Tsui Kam-Kong) des Klosters gewesen. Dieser hatte sich erst vor Kurzem mit einem besonders bösen Schwarzmagier (Johnny Wang Lung-Wei) angelegt, der dem guten Abt des Nachts zwei Spinnen ins Bett gelegt hatte, welche mit ihren stählernen Stacheln die Augen des Mönchs durchbohrten und sein Blut vergifteten. Seitdem hockt die Mumie des Klostervorstands mit dem Äußerem einer luftgetrockneten Salami in einer geräumigen Urne und wartet auf den einstigen Bruder aus einem längst vergangenen Leben, um an seiner statt den Schwarzmagier möglichst schnell dingfest zu machen, denn die Zeit läuft und wenn der Körper des Abts verfällt, stirbt mit ihm auch Chan Hung.
Tja, so was gibt's und unser Held beugt sich seinem Schicksal. Nach einem Crashkurs in Buddhismus und Zauberei stellt sich dieser dem Dämonenbeschwörer in einer dunklen Dimension und erringt einen ersten, vorläufigen Sieg.
Doch auch Nekromanten haben hilfsbereite Kumpels und dieser Kampf wird auch noch lange nicht der letzte sein.


Wie fand ich's?: Die legendäre Filmschmiede der Shaw Brothers produzierte weit über 1000 Filme, dieser ist einer der wildesten.
Die hier gebotene Mischung aus Horror, Kickboxen, Buddhismus sowie Fantasy- und Abenteuerfilmelementen ist schon was Besonderes, doch sind es zusätzlich noch zahlreiche weitere Details, die diesen Streifen aus der Masse hervorragen lassen.
Da sind zum einen die Special-FX, welche auf einer imaginären Skala ständig zwischen den Werten gut und günstig bzw. peinlich und schäbig anzusiedeln sind. Da gibt es z. B. die schlechtest in Szene gesetzten Gummi-Vogelspinnen seit Fulcis ...E tu vivrai nel Terrore! L'aldilà (I 1981 dt.: Über dem Jenseits), welche ein grünlich Gift erst durch strohalmähnliche Rüssel aufsaugen müssen, bevor sie mit ihren Metallstacheln töten.
Dazu kommen krasse Kostümeinfälle, wie die in Frischhaltefolie eingewickelten Mumien dreier Schwarzmagier oder befremdliche Szenen, wie die, in der ein Fledermausskellett humpelnd zu Fuß (oder heißt es: zu Kralle?) aus einem Kloster zu fliehen versucht, schön in Stop-Motion animiert, versteht sich!
Auch vor saftigem Splatter und feuchtfröhlichem Sleaze machte man nicht Halt, wobei man bezüglich der Gore-Effekte natürlich wieder das übersichtliche Budget einer Shaw Brothers Produktion berücksichtigen muss. Die rasante Inszenierung lässt aber dem Zuschauer gottseidank kaum Zeit über das soeben Gesehene lange nachzusinnen und die groteske Story wird in einem so atemlosen Tempo erzählt, dass Langeweile erst gar nicht aufkommen kann.
Regisseur Kuei Chih-Hung (*1937; †1999) drehte bis zu seinem Ausstieg aus der Filmbranche im Jahre 1984 mehr als 35 Filme für die Filmschmiede der Shaw Brothers (deren jüngster Bruder Run Run Shaw am 07. Januar dieses Jahres im Alter von gesegneten 106 Jahren verstorben ist), darunter solch unterschiedliche Streifen wie den zusammen mit Shaw-Starregisseur Chang Cheh zusammeninszenierten Gangsterklopper Fen nu qing nian (HK 1973 dt.: Shen Chang und die Karatebande), den an Clouzots Le diaboliques (F 1955 dt.: Die Teuflischen) angelehnten Horrorthriller Xie bzw. Hex (HK 1980), den Woman-in-Prison-Beitrag Nu ji zhong jing (HK 1973 dt.: Das Bambuscamp der gequälten Frauen), die von Wolf C. Hartwigs deutscher Rapid Film koproduzierte Sexploitationposse Yang Chi bzw. Karate, Küsse, blonde Katzen (HK/BRD 1974 R.: Kuei Chih-Hung und Ernst Hofbauer) oder den atmosphärischen Nekrophiliekrimi Si yiu (HK 1981), der unter seinem englischen Titel Corpse Mania bekannter sein dürfte und mit einem unerwartet giallodesken Plottwist aufwartet. So verschieden und bunt diese Titel sind, eins haben sie alle gemein: sie sind nie langweilig - eine Eigenschaft, welche für einen guten Unterhaltungsfilm unabdingbar ist.


Fazit: Bildgewordener Irrsinn zwischen wirrem Spiritualismus, buntem LSD-Trip, grotesker Gewaltfantasie und aufgekratztem Karneval.

Punktewertung: 7,25 von 10 Punkten

Sonntag, 5. Januar 2014

Ein Schiff wird kommen

E la nave va (Fellinis Schiff der Träume; engl.: And the Ship Sails On)
I/F 1983
R.: Federico Fellini



Worum geht's?: Im Juli 1914 läuft die Gloria N. aus dem Hafen Neapels aus. An Bord des monströsen Ozeandampfers befindet sich eine illustre Trauergemeinschaft, welche das Schiff gechartert hat, um die Asche der verstorbenen Operndiva Edmea Tetua (Janet Suzman) vor der (fiktiven) Insel Erimo ins Meer zu streuen.
Mit von der Partie ist der gutmütige Journalist Orlando (Freddie Jones), welcher sich unter die bunte Schar aus Künstlern und Intellektuellen mischt und auf die Story seines Lebens hofft.
Zu diesem Zweck bemüht er sich auch um ein Interview mit dem noch jugendlichen Großherzog von Österreich/Ungarn (Fiorenzo Serra), der sich mit seiner blinden Schwester (Pina Bausch) und seinem intriganten Hofstaat den Trauernden angeschlossen hat und die momentane Lage in Europa kurz aber treffend mit dem Sitzen auf einem Vulkan vergleicht.
Verbringt man die Reisezeit zunächst in einer Mischung aus pompösem Luxus und dekadentem Selbstmitleid, so ändert sich das Befinden an Bord schnell, als des Nachts serbische Flüchtlinge aus dem Meer gerettet werden und auf dem geräumigen Oberdeck untergebracht werden.
Hat man sich gerade noch einem eitlen Sängerwettstreit im Kesselraum gewidmet oder hat das Dahinsiechen eines Nashorns unter Deck begafft, so werden die Reisenden nun mit der ungeschminkten Realität konfrontiert.
Die Lage spitzt sich zu, als am Horizont ein Kriegsschiff der K.u.k Kriegsmarine auftaucht und die sofortige Herausgabe der Flüchtlinge fordert.
Hatte gerade noch die Kraft der Musik und des Tanzes die Schichten auf dem Deck des Ozeanriesen geeint, heißt es nun Kampf oder Aufgabe, Leben oder tot, Sinken oder Schwimmen.
Dunkle Wolken ziehen auf und läuten das Ende einer Ära ein.



Wie fand ich's?: Ein sterbendes Nashorn als Sinnbild für das Vergehen des europäischen Adels, eine pompöse Trauerfeier für eine Operngöttin als Beerdigungsritus für ein ganzes Zeitalter - das sind die Metaphern dieses Films, der recht episodenhaft mit erinnerungswürdigen Vignetten beginnt, um erst im letzten Drittel eine geschlossenere Geschichte erzählen zu wollen, bevor er die Kamera vollends zurückfährt und seine von Dante Ferretti geschaffene hydraulische Kulisse vor einem Plastikozean enthüllt und somit die Vierte Wand durchbricht.
Ferretti, der als Szenenbildner auch für Passollini, Annaud, Gilliam und Tim Burton arbeitete, sollte auch an Fellinis letztem Film La voce della luna (I/F 1990 dt.: Die Stimme des Mondes) beteiligt sein und schuf für E la nave va opulente Sets, in denen sich die längst vom eigenen Dasein gelangweilte Bourgeoisie wortwörtlich dahintreiben lässt, um im letzten Akt auf ihr eigenes Ende in Form des Ersten Weltkriegs zu treffen. Das gigantische Kriegsschiff mit seinen riesigen Kanonenrohren, welches am Horizont als Zeichen einer Zeitenwende auftaucht, wird hier zum Eisberg für ganze Gesellschaftsschichten.
Dabei bringt Fellini durchaus auch Verständnis und Liebe für seine exzentrischen Figuren auf, z. B. wenn er den übergewichtigen Großherzog, der kaum der Adoleszenz entwachsen ist und schwer an Amt und Leibesfülle zu tragen hat, in vertrauter Eintracht mit seiner blinden Schwester zeigt, oder er zwei spleenige Alte in der Schiffsküche Wassergläsern wunderbare Musik entlocken lässt.
Musik ist es auch, die den Dünkel an Bord des Kreuzers letztendlich durchbricht und das Bürgertum mit den Flüchtlingen in Freude und Tanz vereint, eine Szene, welche vielleicht nicht von ungefähr an den Marx Brothers Klassiker A Night at the Opera (USA 1935 R.: Sam Wood dt.: Skandal in der Oper) erinnert.
So ist dieser Film auch ein Zeugnis von Fellinis Hassliebe zum Großbürgertum, dessen Pomp und Grandezza er mitunter gerne teilt, dessen Dünkel und Faschismus er aber verabscheut.
Der britische Charakterkopf Freddie Jones führt in der Rolle des neugierigen und tratschversessenen, aber gutherzigen Journalisten als ständiger Kommentator durch den Film und ist einfach großartig und in seiner Spielfreude schön anzusehen.
Die 2009 verstorbene Tänzerin und Choreografin Pina Bausch kann hier zudem als blinde Prinzessin in einer ihrer wenigen Schauspielrollen betrachtet werden.



Fazit: Eine im Gesamtwerk des Maestros gern übersehene Perle. Ein beeindruckendes Märchen zwischen Tragik, Vergänglichkeit und Lebensfreude voller wunderbarer Bilder.

Punktewertung: 9,5 von 10 Punkten