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Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Samstag, 23. August 2014

Märtyrer der Gewalt

Tian zhu ding bzw. 天注定 (A Touch of Sin) 
CHN/J/F 2013
R.: Jia Zhangke


Worum geht's?: Vier Episoden aus dem zeitgenössischen China:
Der gestandene Arbeiter Dahai (Wu Jiang) nimmt Rache an den Leuten, die sein Dorf und seine Arbeitsstätte ausbluten.
Ein Wanderarbeiter (Baoqiang Wang) verheimlicht seiner Familie die wahre, schreckliche Herkunft des Geldes, das er nach Hause bringt.
Eine Saunaangestellte (Tao Zhao) erwehrt sich den Nachstellungen reicher Kunden.
Ein junger Mann (Lanshan Luo) verzweifelt am Versuch sich und seine Mutter zu ernähren.


Wie fand ich's?: Schon der Beginn verheißt nichts Angenehmes. Ein Motorradfahrer wird auf staubiger Landstraße von drei bewaffneten Gestalten angehalten. Doch anstelle, dass ihm von den Straßenräubern sein Geld abgenommen wird, schießt er routiniert und gezielt alle drei nieder und nimmt ungerührt seine Reise weiter auf.
Das in diesem Film anhand von vier Geschichten abgebildete China ist vielleicht tatsächlich die hierzulande so oft beschriene dominante Wirtschaftsmacht von morgen, doch in erster Linie ein Hort von Gewalt, Dekadenz und sozialer Ungerechtigkeit und jede, der auf einer wahren Begebenheit basierenden Episoden, zeigt eine Person, die durch die neuen Strukturen des Haifischkapitalismus über den Rand der Vernunft gedrückt wird.
Bezieht sich der Titel des Films direkt auf King Hus Meisterwerk Xia nü (TWN 1971 dt.: Ein Hauch von Zen) sind es hier nicht die glorreichen (Märchen-)Helden des Wuxia, die den Film bestimmen, sondern realistische, tragische Gestalten, die nur durch eine zynische, abgeklärte Weltsicht ritterlich erscheinen dürften. All diese Figuren kämpfen auf ihre ganz eigene, moralisch falsche bzw. wie der Titel andeutet sündhafte Weise gegen das inhumane System, dessen einziger Gott der schnöde Mammon ist.
Die Wirkung des Films auf ein europäisches Publikum mag sich schon allein aufgrund der Tatsache unterscheiden, dass dieses, anders als ein asiatisches, kaum von den hier aufgezeigten wahren Begebenheiten weiß. So schlugen sowohl die sogenannten Foxconn-Selbstmorde (eine auffällige Zahl von Angestellten eines Elektrokonzerns nahmen sich 2010 das Leben) oder die Festnahme der mancherorts zur Nationalheldin erkorenen Deng Yujiao, auf deren Taten die dritte Episode beruht, hierzulande kaum mit solcher Wucht in den Medien ein, wie dies in Asien auch die blutigen Raubmorde des Zhou Kehua taten.
Jia Zhangkes (Haus-)Kameramann Nelson Yu Lik-wai, der mit dem Regisseur auch an dessen großen Erfolgen Shijie (CHN/J/F 2004) und Sanxia haoren (CHN/HK 2006 dt.: Still Life) mitgearbeitet hatte, kleidet diesen Reigen der Gewalt in teilweise äußerst beeindruckende Bilder, die dem inhaltlichen Realismus der Erzählungen eine zusätzliche kunstvolle, visuelle Ebene verleihen. 
Leider gibt es aber auch einige Kleinigkeiten an diesem eindrucksvollen Werk zu bemängeln, wobei besonders die Laufzeit bzw. die Reihenfolge der einzelnen Episoden mir etwas negativ auffiel. So ist die letzte, zu diesem Zeitpunkt vielleicht bereits langatmig erscheinende Geschichte m. E. nach am falschen Platz im Film untergebracht, da dieses menschliche Schicksal mehr Konzentration vom Zuschauer verlangt, als es z. B. die zweite Episode tut. Somit wäre dieses ganze Segment besser zu einem früheren Zeitpunkt im Film aufgehoben gewesen.
Die deutsche DVD-Veröffentlichung vom Kölner Rapid Eye Movies Label kommt in gewohnt hochwertiger (Bild-)Qualität daher, wenngleich man aber bis auf einen Trailer und einem (nur der Erstauflage beiliegenden) Booklet leider jegliche weiteren Extras missen muss.


Fazit: Ein wichtiger Kommentar zur Lage seiner Nation, eine finstere Lektion in Sachen Armut und der von ihr erzeugten Gegengewalt.



Punktbewertung: 8,25 von 10 Punkten