Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Sonntag, 29. Juni 2014

Eddie lässt die Bombe platzen

SOS Pacific (Dicke Luft und heiße Liebe / Eddie schafft alle)
GB 1959
R.: Guy Green


Worum geht's?: Auf einem kleinen Pazifikeiland wird der raubeinige aber sympathische Schmuggler Mark (Eddie Constantine) vom Cop Petersen (Clifford Evans) wegen eines Schusswechsels mit der Hafenpolizei auf seinem Boot verhaftet.
In Handschellen an Petersen gefesselt boarden sie ein Wasserflugzeug, damit Mark auf dem Festland der Prozess gemacht werden kann.
Mit an Bord sind die schöne Stewardess Teresa (Pier Angeli), der deutsche Physiker Krauss (Gunnar Möller), die kesse Animierdame Maria (Eva Bartok) und die konservative, alte Jungfer Miss Shaw (Jean Anderson). Geflogen wird die Propellermaschine von dem trinkenden Piloten Bennett (John Gregson), der sich in ständigem Streit mit seinem Funker Willy (Cec Lindner) befindet und wie dieser offenbar seit geraumer Zeit ein Auge auf die schöne Saftschubse geworfen hat.
Vor Mark und seinem unter Flugkrankheit leidenden Wachhund Petersen hat zudem dessen Informant Whitey (Richard Attenborough) platz genommen; eine schmierige Type, die auf dem Festland als Zeuge gegen Mark zum Preis von 500 Silberlingen vor Gericht aussagen soll.
Kaum in der Luft fällt das Funkgerät der alten Mühle aus, Sturmwolken ziehen am Horizont auf und ein schmorendes Kabel setzt den Sicherungskasten der Pilotenkanzel in Brand.
Mutig stürmt Mark ins Cockpit, doch führt ein falsch gefüllter Feuerlöscher zum tragischen, vorzeitigen Ende des Funkers und auch mit vereinten Kräften kann der Flieger nicht mehr lange in der Luft gehalten werden.
Da taucht im letzten Moment eine Insel vor der im Sinkflug befindlichen Maschine auf, doch müssen die Überlebenden des Absturzes zu ihrer Bestürzung schnell feststellen, dass sie lediglich von einer misslichen Situation direkt in die nächste gefallen sind und es natürlich Mark obliegt, den Tag zu retten.



Wie fand ich's?: Es gibt Schauspieler, die ihre ganze Karriere über nur einen Charakter spielen. Schauspieler, die so tief in der redensartlichen Schublade stecken, dass Flucht praktisch unmöglich ist.
1953 erschien mit La môme vert de gris (F 1953 R.: Bernard Borderie dt.: Im Banne des blonden Satans) der erste Film, in dem Eddie Constantine den toughen FBI-Mann Lemmy Caution verkörperte; noch im selben Jahr sollte auf Grund des großen Erfolgs mit Cet homme est dangereux (F 1953 R.: Jean Sacha dt.: Dieser Mann ist gefährlich) eine Fortsetzung folgen. Eine Dekade später erschien À toi de faire... mignonne (F/I 1963 R.: Bernard Borderie dt.: Zum Nachtisch: Blaue Bohnen), der Film, der die auf den Kriminalromanen des Briten Peter Cheney basierende Serie, nach insgesamt sechs vorangehenden Teilen abschließen sollte, da am Horizont bereits in der Figur des James Bond ein übermächtiger Gegner an den Kinokassen erschienen war.
Doch bereits zwei Jahre später holte Jean-Luc Godard, das Enfant terrible der Nouvelle Vague, die Figur des Lemmy Caution für seine lakonische Sci-Fi-Satire Alphaville, une étrange aventure de Lemmy Caution (F/I 1965 dt.: Lemmy Caution gegen Alpha 60) zurück. Abgeklärt, depressiv und gelangweilt stapft Lemmy Caution durch diesen Abgesang auf seine Person, doch ließ sich Constantine auch noch in folgenden Jahrzehnten überreden, in Filmen wie Udo Lindenbergs chaotischer Komödie Panische Zeiten (BRD 1980 R.: Lindenberg/Peter Fratzscher) die Figur in einer Gastrolle erneut auferstehen zu lassen.
Doch kommen wir nun endlich zu SOS Pacific, welcher auf dem Höhepunkt der Popularität Constantines bzw. Lemmy Cautions gedreht wurde, und dies nicht von einem Franzosen, sondern vom Briten Guy Green (*1913; †2005), der sich vor seiner Karriere als Regisseur als Kameramann betätigt hatte und dies immerhin für Größen wie David Lean und Carol Reed. 1948 gewann er sogar einen Oscar für seine Kameraführung bei Leans Dickensverfilmung Great Expectations (GB 1946 dt.: Geheimnisvolle Erbschaft).
Sein handwerkliches Können zeigt sich auch bei SOS Pacific, der für einen reinen Abenteuerfilm dieser Ära äußerst solide inszeniert wurde und sich an jeder Stelle sehen lassen kann.
Noch interessanter als die Darstellung sind aber vermutlich die Darsteller. Da haben wir neben dem bereits genug in den Vordergrund gerückten Eddie Constantine auf dem Zenit seiner Laufbahn, einen jungen Richard Attenborough (*1923) mitten in seinen Dreißigern. Attenborough (mittlerweile nach mehrfacher Adelung in den Rang eines britischen Lords erhoben) sollte im selben Jahr auch für Green im Kriegsfilm Sea of Sand (GB 1958 dt.: Die schwarzen Teufel von El Alamein) vor der Kamera stehen und hatte sich im Filmgeschäft bereits seit Jahren einen Ruf und Namen gemacht.
Daneben kann man die viel zu früh verstorbene Pier Angeli in der Rolle der süßen Stewardess Teresa bewundern (Angeli starb bereits 1971 im Alter von 39 Jahren an einer Überdosis Schlafmittel) und Eva Bartok als kesse Hure mit Herz bestaunen. Bartok (*1927; †1998) war von 1955 bis 1956 in bereits vierter Ehe mit dem normannischen Kleiderschrank Curd Jürgens verheiratet und lebte bereits Anfang der 50er Jahre ein skandalumwittertes Jetsetleben. Ihr letzter großer Erfolg war 1964 Mario Bavas stilbildender Giallo Sei donne per l'assassino (I/F/MCO 1964 dt.: Blutige Seide), bevor sie sich Mitte der 60er in einen frühen Ruhestand begab und in den nachfolgenden Jahrzehnten immer mehr in Vergessenheit geriet.
Doch die aufsehenerregende Besetzung wäre nichts, würde die vor Klischeefiguren (das sympathische Raubein, der reumütige, trinkende Pilot, die Hure mit einem Herz aus Gold, der feige Denunziant, der nützliche, deutsche Eierkopf...) nur so strotzende Geschichte von Green nicht so rasant und atemlos erzählt werden, sodass Hänger oder Längen gar nicht erst entstehen können.
SOS Pacific ist also Abenteuerkino, wie man es sich immer wieder ansehen kann - praktisch ein fast zeitlos schöner Trivialfilm für die Ewigkeit.
Die deutsche DVD vom Label Filmjuwelen kommt leider (wie bei diesem Label üblich) ohne die Originaltonspur daher, bietet aber ein ansehnliches Bild und die gelungene, deutsche Synchro. Die britische DVD ist im Netz tatsächlich noch preiswerter zu bekommen, bietet allerdings keine Extras.



Fazit: Eddie langt zu unser aller Unterhaltung vor schönen Kulissen mal wieder so richtig zu. So sah feine Action in den Fünfzigern aus.



Punktewertung: 7,75 von 10 Punkten

Sonntag, 22. Juni 2014

Im Regen brannten unsere Geister lichterloh

Gadkie lebedi bzw. Гадкие лебеди (dt.: Die Hässlichen Schwäne; eng.: The Ugly Swans)
R/F 2006
R.: Konstantin Lopushanskiy

Worum geht's?: Eurasien in der nahen Zukunft. 
Der Schriftsteller Victor Banev (Gregory Hlady) ist Mitglied einer UN-Kommission, welche die sonderbaren und höchst beunruhigenden Vorgänge in Taschlinsk aufklären sollen.
Dort hat eine kleine Gruppe von sogenannten "Aquattern" die in ständigem Regen liegende Stadt mit einer Energiebarriere umgeben und sich mit einer Schar Kinder in eine Schule für Hochbegabte zurückgezogen. Niemand kennt die Herkunft der neuen Herren der Stadt, welche ihre Gesichter hinter Masken verstecken und nur Menschen nach vorheriger Kontrolle in einer Zone vor der Stadt den Zugang zu dieser gewähren.
Umstände, welche das Militär in höchste Alarmbereitschaft versetzen und Stimmen nach einer völligen Evakuierung der Stadt und totalen Auslöschung der "Aquatter" durch Chemiewaffen laut werden lassen.
Unter dieser Bedrohung sucht Banev in Taschlinsk die Schule auf, wo sich auch seine Tochter Ira (Rimma Sarkisyan) unter den Schülern aufhält.
Dort muss der Poet feststellen, dass die Kinder unter der Anleitung der sonderbaren Wesen bereits eine höhere Stufe der Intelligenz erreicht haben und sogar zur Levitation fähig sind.
Im Gespräch mit Ira erfährt er zudem, dass die Kinder nicht gewillt sind Taschlink selbst unter höchster Gefahr zu verlassen.
Da ertönen plötzlich Sirenen in der Stadt und Soldaten durchkämmen die Straßen...



Wie fand ich's?: Der Druck auf einen Kunstschaffenden wächst proportional mit der Größe seines Mentors. So die Theorie.
Wenn man Produktionsassistent am Set des Sci-Fi-Meisterwerks Stalker (SU 1979) von Regielegende Andrei Tarkowsky war, hinterlässt dies Spuren. Im Werk des Konstantin Lopushanskiy finden sich zahlreiche Verweise auf den großen sowjetischen Filmemacher Andrei Arsenjewitsch Tarkowsky und besonders auf dessen legendären Stalker, der auch in meiner eigenen Top Ten der besten Sci-Fi-Werke ganz vorne steht.
Bekannter als der hier besprochene Gadkie lebedi sind Lopushanskiys frühere Werke Pisma myortvogo cheloveka (SU 1986 dt.: Briefe eines Toten) und Posetitel muzeya (SU/BRD/CH 1989 dt.: Der Museumsbesucher), welche beide den Helden in einer post-apokalyptischen Szenerie zeigen, nicht unähnlich der Welt im Regen, die Gadkie lebedi dem Zuschauer präsentiert und wie Tarkowsky in Stalker bedient sich Lopushanskiy hier der Geräusche und der Bilder fallender Wassertropfen. 
Eine weitere direkte Verbindung stellen die Brüder Strugatskiy dar, welche sowohl die literarischen Vorlagen für Gadkie lebedi und Stalker lieferten. Beide Filme verwenden diese jedoch nur im Ansatz und tatsächlich zeigt Lopushanskiy in seinem Film eine Endszene, welche so nicht im Buch auftaucht und erneut direkt Bezug auf die Schlussszene aus Stalker nimmt. 
Dabei ist Gadkie lebedi allerdings wesentlich zugänglicher als Tarkowskys Kultfilm, erzählt er seine Geschichte doch in einem gewohnten Tempo, statt langsam und beinah meditativ, und auch die Moral des Films liegt nach dem Ende praktisch offen auf der Hand.
Hier mag für mich aber auch die größte Schwäche des Films liegen, bietet Lopushanskiy doch letztendlich "nur" ein recht eindeutiges Plädoyer für Toleranz und Verständnis gegenüber Andersdenkenden und liefert darüber hinaus nur wenig Ansatz zur weiteren Reflexion. Zwar halte ich jeden Aufruf zu Toleranz für nötig und angebracht, doch hätte ich mir zusätzlich etwas mehr Substanz und Inhalt gewünscht.
Nichtsdestotrotz bieten Die hässlichen Schwäne doch entgegen des Titels so einiges fürs Auge. Da sind die in tiefe Gelb- und Rottöne getauchten Bilder voller Melancholie und Verfall, da ist ein überschwemmtes Café im Neonlicht, da ist Victor, der zuckend auf dem Rücken liegt und in Zungen redet.
Mehr als inhaltlich überzeugte mich dieser Film somit auf der visuellen Ebene. Diese ist natürlich meilenweit entfernt vom trivialen Popcornkino eines Michael Bay mit all seinen üppigen CGI-Effekten, es ist aber leider eh fraglich, ob sich ein Fan aktueller Blockbuster je in dieses Kleinod verlaufen würde. Was dann auch wieder irgendwie schade ist und eine Toleranzdebatte eröffnet...


Fazit: Erreicht nicht die Größe seines Vorbilds, stellt aber einen durchaus gelungenen, empfehlenswerten Beitrag zum zeitgenössischen Science-Fiction-Kino dar.



Punktewertung: 8,25 von 10 Punkten

Montag, 16. Juni 2014

Ein erstes Zucken des Sleazemuskels

L'amante del vampiro (dt.: Die Geliebte des Vampirs; USA: The Vampire and the Ballerina)
I 1960
R.: Renato Polselli


Worum geht's?: In einem kleinen Dorf residiert unter der Obhut des väterlichen, alten "Professors" (Pier Ugo Gragnani) eine größtenteils aus jungen Mädchen bestehende Tanzgruppe.
Immer wieder wird eine der jungen Grazien Opfer eines des Nachts herumschleichenden Vampirs (Walter Brandi), doch außer die Mädchen ständig um Vorsicht zu ermahnen, wird sonst nichts gegen den umgehenden Blutsauger getan.
Da verirren sich in einem aufkommenden Unwetter die beiden Tänzerinnen Luisa (Hélène Rémy) und Francesca (Tina Gloriani) zusammen mit dem ihnen zugetanen Dörfler Luca (Isarco Ravaioli) in ein ebenso einsam gelegenes wie vermeintlich leeres Schloss.
Nur einen trockenen Unterstand erwartend, trifft man dort jedoch auf die ebenso attraktive, wie sonderbar joviale Comtessa (María Luisa Rolando) und deren wortkargen Helfer Herman.
Wo nun jeder Erstklässler schlussfolgern würde, dass man sich hier im Schlupfwinkel des gefürchteten Vampirs befindet; da sind unsere Helden leider etwas schwerer von Begriff.
Erst als sich gebleckte Fänge unter Geifern in Richtung der wohlgeschwungenen Hälse bewegen, greift Angst um sich und selbst die Flucht ins heimische Dorfdomizil hält die untoten Schrecken der Nacht nicht auf, sich neue Opfer zu suchen.



Wie fand ich's?: Renato Polselli (*1922; †2006) war nicht für seine feinfühligen Arthousefilme oder seine sozialpolitischen Allegorien innerhalb des italienischen Neorealismus bekannt. Wo andere sich um nützliche Substanz und fein abgeschmeckte Inhalte bemühten, da legte Polselli einfach ein, zwei Schüppen Sleaze nach und ab ging die Luzie.
Dass ihm dies des Öfteren Probleme mit Kritikern und Zensoren einbrachte, sah er wohl eher sportlich - Hauptsache, die Bahnhofskinokassen klingelten.
Wir erinnern uns: Nach dem 2. Weltkrieg bedurfte es einiger Zeit, bis Riccardo Freda und Maria Bava mit I vampiri das unter dem Duce verpönte Horrorgenre stilvoll nach mehreren Dekaden im Jahr 1954 wiederbelebten. Auch feierten nun die Universal-Klassiker der 30er und 40er-Jahre in Italien Erfolge und Dracula und Frankenstein waren endlich auch auf italienischen Leinwänden zu Hause.
Da liegt es auf der Hand, dass auch andere, weniger begabte Filmemacher, gern ein Stück vom großen Kuchen abhaben wollten und sich nach Möglichkeiten umschauten, den Zuschauern zusätzliche Schauwerte anzubieten.
So kamen mit Beginn der 60er Jahre einige Filme in die italienischen Kinos, welche das international beliebte (und bis heute reichlich überstrapazierte) Vampirfilmgenre mit den freizügigen Reizen junger Mädchen anreicherten, wobei die feschen Damen in der Regel (wenig) brave Tänzerinnen zu geben hatten, welche ihre Schwanenhälse den begierlichen Blicken adliger Blutsauger ausgesetzt sahen.
Polsellis L'amante del vampiro machte mit Piero Regnolis L'ultima preda del vampiro (I 1960 dt.: Das Ungeheuer auf Schloß Bantry) 1960 den Anfang, Roberto Mauris 1962 nachgeschobener La strage dei vampiri (I 1962 dt.: Die Rache des Vampirs) bildet dann den Abschluss einer imaginären Trilogie.
Spricht der amerikanische Verleihtitel von L'amante del vampiro von dem Vampir und der Ballerina (The Vampire and the Ballerina) so zeigt sich Polselli auch hier zeitbewusster, als der Titel einen vermuten ließe. Tatsächlich inszeniert Polselli recht zentral zwei ausgedehntere Tanzszenen, doch verfallen die Damen schnell in Bewegungen, welche auch zu meiner seligen Realschulzeit in den 80ern noch unter der Bezeichnung Jazz Dance firmierten.
Diese Szenen befähigen die Macher, ausgiebig junge Mädchen in schwarzen Netzstrümpfen mit Naht die wohlgeformten Beine schwingen zu lassen und wirken in dem ansonsten klar am Gothic-Horror von I vampiri orientierten Setting mit seinen Wäldern, Kutschen und Schlössern etwas deplatziert.
An dieser Stelle sollte ich anmerken, dass die Qualitäten von L'amante del vampiro klar in den atmosphärischen Schwarz-Weiß-Bildern zu finden sind, welche zwar sicherlich nie Bavas Meisterschaft erreichen, aber stringent hübsch anzusehen sind.
Neben den für die frühen 60er vielleicht frivolen Tanzszenen, streut Polselli noch einige interessante, kleine Plottwists ein, welche das Publikum zusätzlich bei der Stange halten und es die doch etwas ungelenk gefertigten Gummimasken der Blutsauger vergessen lässt.
Weitaus ansehnlicher als die dicken Latexgesichter ist María Luisa Rolando in der Rolle der verführerischen Komtess, welche immerhin zuvor eine winzige Rolle in Federico Fellinis Meisterwerk Le notti di Cabiria (I 1957 dt.: Die Nächte der Cabiria) bestritten hatte und in L'amante del vampiro starke Ähnlichkeit mit der Goddess of Italian Gothic Horror Barbara Steele aufweist, welche im selben Jahr mit Bavas La maschera del demonio (I 1960 dt.: Die Stunde wenn Drakula kommt) ihren Sprung in den Olymp tat.
Dieser blieb Polselli und seinen Mitwirkenden auch in den Folgejahren versagt, wurden doch Polsellis Werke immer grotesker und expliziter, was jedoch zumindest Darsteller Isarco Ravaioli nicht davon abhielt Polselli die nächsten zwanzig Jahre durch dick und dünn zu folgen.
Dieser nahm nach einigen anderen Filmen in Il mostro dell'opera (I 1964) erneut das Grundgerüst von L'amante del vampiro her, drehte 1965 mit Lo sceriffo che non spara (I 1965) seinen unvermeidbaren Beitrag zum Spaghettiwestern, stattete 1972 in La verità secondo satana (I 1972) einem Lusthaus teuflischer Begierden einen Besuch ab und schuf schließlich ebenfalls 1972 mit Delirio Caldo (I 1972 dt.: Das Grauen kommt Nachts; USA: Crime) sein wohl bekanntestes Werk, welches in Fankreisen (nicht nur hierzulande, aufgrund seiner berüchtigten Synchronisation) einen beinah legendären Ruf besitzt. Doch dies ist dann schon wieder eine ganz neue Geschichte...



Fazit: Freunde des italienischen Gothic-Horrors dürfen hier durchaus einen Blick riskieren. Solide Low-Budget-Kost mit Charme und Bein.



Punktewertung: 6,5 von 10 Punkten

Samstag, 7. Juni 2014

Sommer, Sonne, Kopfschuss...

Macchie solari aka. Autopsy aka. Sun Spots (Autopsie - Hospital der lebenden Leichen)
I 1975
R.: Armando Crispino



Worum geht's?: Italien im Hochsommer.
Die Hitze steigt in der Metropole am Tiber und es kommt zu einer bizarren Serie von Selbstmorden.
Die junge Ärztin Simona (Mimsy Farmer) hat nicht nur beim Job in der Pathologie mit zunehmenden Halluzinationen zu kämpfen, und zweifelt so bereits an ihrer Auffassungsgabe, als eine neue Geliebte ihres Vaters plötzlich mit einer furchtbaren Schusswunde im Kopf vor ihr auf dem Seziertisch liegt.
Als dann noch der energische Bruder der Toten (Barry Primus), ein zum Priestertum konvertierter Ex-Rennfahrer, bei Simona auftaucht und nicht an einen Selbstmord seiner Schwester glaubt, beginnt Simona immer mehr um ihren Verstand zu kämpfen.
Doch auch ihr lebenslustiger Freund Edgar (Ray Lovelock) kann der labilen Frau nicht helfen, die bald schon um ihr Leben bangen muss, denn der Killer sucht weitere Opfer...




Wie fand ich's?: Dieser Film verfährt einmal mehr nach dem schönen Motto: Erst antäuschen, dann hoffentlich unversehens mitten ins Schwarze treffen. Was hier wie ein Science-Fiction- oder Mystery-Thriller beginnt, wandelt sich erst im letzten Drittel zu einem einigermaßen gängigen Giallo, der auch gleich einige der klassischen Mängel des Genres mitbringt. So ist die Auflösung des Ganzen nicht übermäßig logisch (ich habe allerdings auch schon wesentlich Schlimmeres in dieser Hinsicht gesehen...), kommt aber zumindest angenehm überraschend daher.
Tatsächlich schafft es Regisseur Armando Crispino, der zuvor bereits den wesentlich langweiligeren Giallo L'etrusco uccide ancora (I/BRD/YU 1972 dt.: Das Geheimnis des gelben Grabes) abfertigte, dem Zuschauer die flimmernde Hitze der Stadt spürbar zu machen und eine stetig dräuende Atmosphäre des Wahns und des Schreckens zu vermitteln.
Dazu trägt auch wieder einmal der schöne Score Ennio Morricones bei, der mal attonale Rückkopplungen, mal seufzende Damen und mal feine Melodeien auf die Tonspur zaubert.
Die seit Argentos 4 mosche di velluto grigio (I/F 1971 dt.: Vier Fliegen auf grauem Samt) zur Genreikone erklärte Mimsy Farmer ist wie immer eine Bank und in der Tat erinnert Macchie Solari (was aus dem Italienischen übersetzt Sonnenflecken bedeutet) in Ton und Wirkung an Francesco Barillis Meisterwerk Il profumo della signora in nero (I 1974 eng.: The Perfume of the Lady in Black) in dem die als Merle Farmer 1945 in Chicago geborene Amerikanerin schon ein Jahr zuvor fabelhaft die Hauptrolle bestritten hatte.
Der deutsche Titel Autopsie - Hospital der lebenden Leichen scheint auf die Teilnahme Ray Lovelocks hinweisen zu wollen, der 1974 in Jorge Graus unterschätztem Non si deve profanare il sonno dei morti (I 1974 dt.: Das Leichenhaus der lebenden Leichen) zu sehen war, und an dessen Erfolg man hierzulande durch den Titel wohl direkt noch mit aufspringen wollte. Zwar wird Crispinos Film so fälschlicherweise mit in die Zombieschublade gesteckt, doch hat der Zuschauer ja tatsächlich zumindest in der ersten Hälfte des Films das Gefühl, sich in eben einem solchen befinden zu können. Dazu tragen auch die gelungen Gore-Effekte bei, die teilweise an Crispinos Kollegen Lucio Fulci erinnern.
Insgesamt ist Crisprino mit Macchie solari zum Abschluss seiner Regielaufbahn noch so etwas wie sein persönliches Meisterwerk gelungen (er drehte im selben Jahr noch die bizarre Horrorkomödie Frankenstein all'italia [I 1975 dt.: Casanova Frankenstein], deren deutscher Titel bereits keine weiteren Fragen offen lässt...); ein Film, der allein auf eine geschlossene, düstere Atmosphäre und eine misanthrope Weltsicht setzt. Dies zeigt sich auch bei der Auflösung des Ganzen, wo ausgerechnet - VORSICHT SPOILER!:

Wenn dass dann auch nicht nur konsequent ist...


Fazit: Die perfekte, fiese Unterhaltung für heiße Sommernächte - ein flirrender, fieberhafter Alptraum vor schwüler Kullisse.



Punktewertung: 7,25 von 10 Punkten

Sonntag, 1. Juni 2014

Nummer 125: Revolution der Marsmenschen

Aelita bzw. Аэлита (Aelita - Der Flug zum Mars)
SU 1924
R.: Yakov Protazanov


Worum geht's?: Moskau in den zwanziger Jahren, während des Bürgerkriegs.
Armut greift um sich und Ingenieur Los (Nikolai Tsereteli) scheint seine geliebte Gattin Natasha (Valentina Kuindzhi) an einen reichen Dieb (Pavel Pol) zu verlieren, der heimlich ebenso dekadente, wie illegale Partys feiert.
Los ist ein brillanter Erfinder und melancholischer Tagträumer, dessen Fantasie ihn zum fernen Mars führt, wo das Volk vom Tyrannen Tuskub (Konstantin Eggert) geknechtet wird. Nur Aelita (Yuliya Solntseva), die Königin des roten Planeten, begehrt gegen Tuskub auf, und beobachtet ihrerseits Los auf der Erde durch ein Teleskop, sehr zum Unwillen des Tyrannen, der seine Arbeiter stets nach getaner Plackerei maschinell einfriert.
Als Los in einem Anfall von Eifersucht glaubt Natasha erschossen zu haben, nimmt er die Identität eines Freundes an und stellt ihre bereits im Bau befindliche Weltraumrakete fertig. Dabei ist ihm stets der ebenso eifrige wie trottelige Detektiv Kravtsov (Igor Ilyinsky) auf der Spur, der Los auch schließlich trotz Maske in seiner Fertigungshalle stellt.
Unversehens kommt es zum Start der Rakete und zusammen mit dem von seiner "Arbeitslosigkeit" frustrierten Exrevoluzzer Gusev (Nikolai Batalov) fliegen Los und dessen Jäger Kravtsov gen Mars.
Dort scheinen sich die Tagträume des Herrn Ingenieurs tatsächlich zu bewahrheiten und nicht nur Gusev erkennt, dass auch auf dem roten Planeten längst die Zeit reif ist, die herrschende Schicht zu stürzen.
Als Führerin der Revolutionäre bietet sich mit Aelita ausgerechnet die in Los verliebte und von Tuskub klein gehaltene Königin an. Doch nicht nur Gusev weiß: ein Tyrann wird oft schnell einfach nur durch den nächsten ersetzt...



Wie fand ich's?: Wenn man diesen Film flapsig in einem Satz zusammenfassen wollte, könnte man schreiben: Aufgebrachte Proleten rasen in scheppernden Raketen zum roten Planeten, um dem Tyrannen in den Allerwertesten zu treten.
Da mir solche Art von Poesie aber fern liegt und man diesem oft übersehenen Werk aus der gerade entstandenen Sowjetunion damit nicht gerecht wird, möchte ich dem doch noch etwas Text hinzufügen.
Tatsächlich bietet Aelita nämlich neben seiner Propagandaabsicht noch einiges Bemerkenswertes, wie zum Beispiel die aufwendigen Sets der Marshandlung, welche stark vom deutschen Expressionismus beeinflusst sind und die Einwirkung der Werke Wienes, Wegeners, Murnaus und Langs auf den internationalen Film beweisen.
Apropos Lang. Dieser könnte wiederum seine im Gleichschritt marschierenden Arbeitermassen aus dem drei Jahre später entstandenen Metropolis (D 1927) direkt bei Protazanov abgekupfert, ähm, entliehen haben... 
Aelita bietet für seine Entstehungszeit aufwendiges Kino, doch war seine Botschaft schon einige Jahre später manchen Herren ein Dorn im Auge. Dass nämlich die Titelheldin genauso schnell wie dreist ihre Führungsmacht nach dem Umsturz des Tyrannen missbraucht, sah man in den Zeiten des Stalinismus gar nicht gern, sollte doch niemand auf die Idee kommen, den neuen Führer Josef Wissarionowitsch Stalin mit der zumindest äußerlich attraktiveren Königin des Mars zu vergleichen.
So wurde Protazanovs Film, der auf einer Novelle Alexei Nikolajewitsch Tolstois gleichen Titels basiert, unter dem Terror Stalins zunächst zensiert, dann ganz aus dem Verkehr gezogen. So fiel das Werk des Filmpioniers Protazanov (erste Regiearbeit immerhin bereits im Jahr 1909) Jahrzehnte lang dem Vergessen anheim und wurde erst zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts wiederentdeckt.
Seit 1981 wird zudem der Aelita-Preis verliehen, ein Preis für Science-Fiction-Literatur der von dem Verband russischer Schriftsteller und einer Zeitschrift gestiftet wird und dessen Name sich auf Tolstois Novelle bezieht.



Fazit: Ein interessantes Stück Propagandakino aus der Zeit bevor die Bilder sprechen lernten. Mèliés schickte eine Rakete zum Mond, hier gehts gleich durch bis zum Mars.




Punktewertung: 8,5 von 10 Punkten