Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Sonntag, 6. Dezember 2015

Blutige Hatz auf Erntedankgeflügel

Turkey Shoot (Insel der Verdammten)
AUS 1982
R.: Brian Trenchard-Smith

Worum geht's?: Australien in der nahen Zukunft.
Andersdenkende Feinde der Regierung werden in Umerziehungslager gebracht, wo sie dem brutalen Personal hilflos ausgeliefert sind.
Während die meisten dieser Einrichtungen schnell an den Rand ihrer möglichen Kapazität kommen, hält der ausgebuffte Lagerleiter Thatcher (Michael Craig) die Zahl seiner Gefangenen durch ein perfides Spiel übersichtlich; er lässt ausgewählte Insassen mit dem Versprechen auf Freiheit in einem blutrünstigen Rennen gegen sich und drei weitere Jäger aus der elitären Schicht, wie dem schleimigen Staatssekretär Mallory (Noel Ferrier) und die ebenso attraktive wie gefährliche Societydame Jennifer (Carmen Duncan), antreten.
Zu den unglücklichen Auserwählten zählen diesmal der unbeugsame Dissident Paul (Steve Railsback), dem bereits die Flucht aus anderen Lagern gelang, die scheue Schönheit Chris (Olivia Hussey), der kriecherische Brillenträger Dodge (John Lay) sowie die der Prostitution verdächtigte Rita (Lynda Stoner).
Unbewaffnet rennen sie um ihr Leben, stets verfolgt von den gut ausgerüsteten Jägern und dem sadistischen Wächter Ritter (Roger Ward), für die Fair Play ein nie gehörtes Fremdwort ist.

***

Wie fand ich's?: Das Thema der gemeinschaftlichen Menschenjagd ist schon zahlreiche Male von Filmemachern aufgegriffen worden, man denke nur an den markanten Klassiker The Most Dangerous Game (USA 1932 R.: Irving Pichel und Ernest B. Shoedsack dt.: Graf Zaroff - Genie des Bösen), in dem Fay Wray diesmal nicht versuchte den Nachstellungen eines Riesenaffens zu entgehen, sondern den Todesfallen eines ebenso sadistischen, wie distinguierten Leslie Banks. Später folgten neben direkten Remakes der Literaturverfilmung (Richard Connell, veröffentlicht 1924) auch noch andere thematisch sehr ähnliche Filme, wie z. B. Peter Collinsons Open Season (E/CH/GB/USA/ARG dt.: Jagdzeit) von 1974, oder John Woos Hard Target (USA 1993 dt.: Harte Ziele) sowie der beinah zeitgleich entstandene Surving the Game (USA 1994 R. Ernest R. Dickerson dt.: Tötet ihn!). Erweitert man die Thematik nur unwesentlich, kann man auch noch weitere Klassiker des modernen Actionfilms wie Ted Kotcheffs First Blood (USA 1982 dt.: Rambo) im selben Atemzug nennen.
Doch kommen wir zum hier besprochenen Turkey Shoot (der Originaltitel bezeichnet im amerikanischen Sprachraum ländliche Schützenfeste bei denen auf und um Truthähne geschossen wird sowie im militärischen Sprachgebrauch das bloße Abschlachten des Feindes durch eine vollkommen überlegene Truppe).
Regisseur Brian Trenchard-Smith liefert seit den frühen 70er-Jahren feinstes Exploitationkino aus Down Under und ist dem Kenner durch kleine, aber feine Kultstreifen wie The Man from Hong Kong (HK/AUS 1975 dt.: Der Mann von [sic] Hong Kong) oder den ein Jahr nach Turkey Shoot entstandenen BMX Bandits (AUS 1983 dt.: Die BMX-Bande), der einer der ersten Kinofilme Nicole Kidmans werden sollte.
In Blood Camp Thatcher (so der britische Alternativtitel) holte der gute Brian ("Setz dich. Nimm dir 'n Keks [...]) den alten Aristokraten Zaroff aus dem staubigen Schrank und kreuzte diesen mit den sogenannten Women in Prison Filmen, die zunächst zartbesaitete Heldinnen in dreckigen Knästen noch dreckigeren Aufsehern (oder auch gern lesbischen Aufseherinnen) dem sensationslüsternen Blick des Publikums ausliefern. Als repräsentative Beispiele seien zu diesem recht umfangreichen Subgenre hier nur Jess Francos scharf gewürzter Europudding Der heiße Tod (FL/E/I/BRD/UK 1969 eng.: 99 Women), Tom DeSimones gelungener 8oer-Knaller Reform School Girls (USA 1986 dt.: Pridemoore) oder der klassische Film noir Caged (USA 1950 dt.: Frauengefängnis) kurz genannt.
Dazu kommen einige zusätzlich eingestreute Science-Fiction-Elemente, die neben dem dystopischen Tyrannenstaat ihren Höhepunkt in der Figur des animalischen Zirkusfreaks Alph (s. h. Foto oben) finden. Dieser einem Werwolf nicht unähnlichen Gestalt möchte man nicht im Traum begegnen und hier zeigt sich, neben dem Willen zu immer größer angelegten, harten Actionszenen, auch am stärksten Trenchard-Smiths Hang zum filmischen Exzess und zu einem ungehemmten Umgang mit allen ihm und den Drehbuchautoren eingefallenen fixen Ideen.
Man meint als Zuschauer beinah das Lachen der Drehbuchautoren und den fröhlichen Ausruf "Fuck the critics!" vonseiten der Produktion zu vernehmen.
Weniger nach Lachen war wohl den Darstellerinnen am Set zumute. Olivia Hussey, Slasherfans durch ihre Hauptrolle in Bob Clarks famosen Black Christmas (CAN 1974 dt.: Jessy - Die Treppe in den Tod) ein Begriff, soll Probleme mit Australiens recht sonderbarer Fauna gehabt haben (hochgiftige Spinnen, Skorpione, Kraken, Quallen und Stechrochen sind eben nicht jedermanns Sache), während Linda Stoner, ganz die bekennende Tieraktivistin, sich weigerte einen toten Fisch auszunehmen und erst nach langen Debatten mit Trenchard-Smith bereit war, ihr Hinterteil zu entblößen.
Alles in allem ist Turkey Shoot ein großes Fest des schlechten Geschmacks, mit dem man auch durchaus zu später Stunde am Heiligen Abend neben dem Lametta bewehrten Weihnachtsbaum seinen Spaß haben kann.

Fazit: Finest Ozploitation! Ein vollkommen entfesseltes Actionfeuerwerk aus dem australischen Busch mit allem Pi, Pa und (nackten) Po. Lass krachen, Brian!






Punktewertung: 7,5 von 10 Punkten

Montag, 2. November 2015

Von Dampfplauderern und Modeopfern

My Cousin Vinny (Mein Vetter Winnie)
USA 1992
R.: Jonathan Lynn



Worum geht's?: Die New Yorker Großstadt-Buddys Billy (Ralph Macchio) und Stan (Mitchell Whitfield) machen auf der Durchfahrt kurz Stopp im kleinen Nest Beechum, einem unscheinbaren Dörfchen im ländlichen Alabama.
Doch statt mit den schnell an der Tanke getätigten Einkäufen wieder weiterzureisen, werden die beiden des Mordes am Kassierer jener Lokalität bezichtigt.
Mit der Aussicht auf zwei Plätze in der örtlichen Todeszelle entsinnt sich Billy seines entfernten Vetters (Joe Pesci), der doch unlängst noch an der juristischen Fakultät des Big Apples eingeschrieben war.
Tatsächlich eilt dieser auch umgehend mit seiner feschen Verlobten Mona Lisa (Marisa Tomei) dem Verwandten zur Hilfe, doch muss er zum Schrecken der beiden Jungs schon früh gestehen, dass er erst gerade im sechsten Anlauf seine Anwaltszulassung ergattern konnte und bis auf einige Schmerzensgeldklagen keinerlei Erfahrungen aufweisen kann.
Doch was ein echter New Yorker nicht im Kopf hat, macht er durch Attitüde wett und auch das attraktive Fashion Victim Mona Lisa hat im Gerichtssaal vor den Augen des gestrengen Richters Haller (Fred Gwynne) mehr zu bieten, als nur ein hübsches Äußeres...

***

Wie fand ich's?: Es gab eine Zeit, da war Marisa Tomei eine der schönsten Frauen der Welt. Und es gab eine Zeit, da war Ralph Macchio der Schwarm aller Teenie-Girls. Woran sich aber wohl die wenigsten erinnern, ist die Zeit, als Joe Pesci nicht der härteste Gartenzwerg auf dem Rasen Hollywoods war.
Pesci war durch Auftritte in Filmen der Herren Scorsese, Leone und Stone zu einem dieser ewigen Nebendarsteller geworden, die trotz ihrer eher untergeordneten Rolle im Drehbuch die Massen begeisterten und in die Lichtspielhäuser lockten. Auch beruflich wie im Privatleben als der Choleriker bekannt, den er so oft vor der Kamera gespielt hatte, soll er nicht nur Meisterregisseur Martin Scorsese den Riechkolben gebrochen, sondern auch Robert De Niro am Set von Scorseses Casino (USA 1995) vermöbelt haben.
Drei Jahre zuvor sollte er jedoch in der kleinen, feinen Gerichtsaalkomödie My Cousin Vinny nicht nur dem Image als harter Unsympath entfliehen können, sondern auch nach langer Zeit die Titelrolle spielen.
Dabei verlässt sich das Drehbuch weniger darauf die vermeintlichen Hinterwäldler des sogenannten Bible Belt vorzuführen, man denke nur an die ein Jahr später erschienene Remake The Beverly Hillbillies (USA 1993 dt.: Die Beverly Hillbillies sind los) von Penelope Spheeris, als vielmehr den Blick auf die ebenso überheblichen wie oberflächlichen, wenn auch hier stets sympathischen Großstädter zu fokussieren - besonders die extraordinären Outfits Frau Tomeis fallen sofort ins Auge und wirken heute wieder ebenso befremdlich auf den Zuschauer, wie zu Anfang der 90er Jahre auf einen Einwohner eines einsiedlerischen Südstaatenkaffs.
Fred Gwynne, heute wohl am meisten für seine ikonografische Rolle als Familienvorstand Herman Munster in der kultigen TV-Serie The Munsters (USA 1964-1966) bekannt, bildet das ebenso strenge, wie ruhig besonnene Gegenstück zum stets nervösen Pesci und es wirkt damit umso betrüblicher, dass dies Gwynnes letzter Kinofilm sein sollte. Der 1,96 Meter große Mann mit dem Charakterkopf verstarb im Alter von 67 Jahren an einer Bauchspeicheldrüsenkrebserkrankung.

***

Fazit: Ein extrem kurzweiliger Mix aus klassischer Comedy of Errors und Gerichtssaalthriller - schön besetzt und gut gespielt - das macht auch ein Vierteljahrhundert später (ja, so lang ist das schon wieder her...) noch Laune!







Punktewertung: 7,75 von 8 Punkten

Freitag, 23. Oktober 2015

Die Rückkehr der Klassiker #5: Wie kommt denn das Arsen in den Wein, Tantchen?

Arsenic And Old Lace (Arsen und Spitzenhäubchen)
USA 1944
R.: Frank Capra

Worum geht's?: Mortimer Brewster (Cary Grant), ein erfolgreicher Theaterkritiker und Schriftsteller von Büchern, die den Schrecken der Ehe thematisieren, befindet sich zu Anfang dieses Films eben dort, wo der Schrecken oft seinen Anfang nimmt: in der Warteschlange eines Standesamts. Und tatsächlich heiratet der Autor der Junggesellenbibel „Die Ehe: ein Betrug und eine Falle“ seine Freundin Elaine Harper (Priscilla Lane) unter den wachsamen Augen der anwesenden Skandalpresse.
Nun bleibt Mortimer noch ein Abschiedsbesuch bei seinen lieben Tantchen Abby und Martha (Josephine Hull und Jean Adair), welche zusammen mit seinem geistigverwirrten Vetter Teddy (John Alexander), welcher sich für Theodor Roosevelt hält, in einem idyllischen Haus in Brooklyn leben.
Das Idyll täuscht jedoch, denn die beiden alten Damen „erlösen“ mit vergifteten Hollunderbeerwein allein stehende, ältere Herren, welche auf der Suche nach einem Zimmer auf ein Schild im Fenster der netten Damen hereinfallen. Als Mortimer im Haus seiner Tanten auf eine Männerleiche in der Fenstertruhe stößt, fällt sein Verdacht zunächst auf Teddy, welcher gern mal ins Horn stößt und die Treppe erstürmt, ganz im Gedächtnis an Roosevelts Sturm auf den Hügel von San Juan, oder im Keller „Schleusen für den Panamakanal“ gräbt. Zu seinem Schrecken muss Mortimer von seinen geständigen Tanten erfahren, dass sie hinter der Leiche stecken.
Mortimers Probleme verdichten sich, als sein zweiter Vetter Jonathan (Raymond Massey) zusammen mit dem versoffenen und sonderbar paranoiden Dr. Einstein (Peter Lorre) Zuflucht im Hause der Tanten sucht. Jonathan, ein flüchtiger Gewaltverbrecher, weist nach einiger, von Dr. Einstein ausgeführter, plastischer Chirurgie verblüffende Ähnlichkeit mit Frankensteins Monster auf; ein Umstand, den auch Mortimer ebenso zur Kenntnis nehmen muss, wie den, dass er nun noch mindestens ein weiteres Problem zu lösen hat...

***

Wie fand ich's?: Screwball-Comedy trifft auf den klassischen Gruselthriller. So lässt sich Frank Capras Meisterwerk in kurzen Worten fast exakt beschreiben. 
Die übermütige Screwball-Komödie feierte in den 30er Jahren große Erfolge mit heutigen Klassikern wie My Man Godfrey (USA 1936 R.: Gregory La Cava dt.: Mein Mann Godfrey) oder Bringing Up Baby (USA 1938 R.: Howard Hawks dt.: Leoparden küsst man nicht) und bot sich somit zeitnah zur Verschmelzung mit anderen Genres geradezu an.
Meisterregisseur Capra, der zwei Jahre später mit It´s A Wonderful Life (USA 1946 dt.: Ist das Leben nicht schön?) den ultimativen Weihnachtsfilm schaffen sollte, gelang mit Arsenic and Old Lace eine wunderbare Umsetzung des gleichnamigen Theaterstücks von Joseph Kesselring, in dem bereits Boris Karloff die Rolle des Jonathan übernommen hatte. So kommen die mehrfachen Anspielungen auf Raymond Masseys „monströses“ Aussehen nicht von Ungefähr und sorgen nebenbei für einen netten Insidergag.
Sicherlich merkt man dem für heutige Verhältnisse recht statisch inszenierten Film das zugrundeliegende Theaterstück an; so spielen große Teile des Films im gleichen Raum, welcher nur sehr selten zur Straßenkulisse verlassen wird. Doch macht das übermütige Spiel aller Akteure, besonders das des hibbeligen, hypernervösen Cary Grants, dieses verzeihliche Manko schnell wett. Capra soll sich sehr eng an die Vorlage gehalten haben und nur hier und da Szenen oder Text gegenüber des zugrundeliegenden Theaterstücks abgeändert haben. Dabei bot sich diesmal kaum Platz für Capras sonst obligatorischen sozial-kritischen Inhalt, wie er z. B. in Mr. Deeds Goes To Town (USA 1936 dt.: Mr. Deeds geht in die Stadt) oder in Meet John Doe (USA 1941 dt.: Hier ist John Doe) vorhanden ist.
Was heute bleibt, ist eine liebenswürdige, witzige und wunderschön altmodische Gruselkomödie, deren Anteil an Horror in Zeiten von Harry Potter, Hunger Games durchaus als kindertauglich anzusehen ist.
Greift man zur schönen deutschen DVD von Warner, so fallen einem zunächst die drei enthaltenen, unterschiedlichen Filmfassungen auf. Da wäre die, dem Capra-Fan aus dem Fernsehen wohlbekannte, TV-Fassung von 1962, welche eine von der Berliner Synchron GmbH vollkommen neugestaltete Titelsequenz aufweist, in der ein animierter Totenkopf die einzelnen Credits pantomimisch kommentiert. Daneben findet man jedoch auch die etwa drei Minuten längere Originalfassung, wahlweise im Originalton oder mit der deutschen Kinosynchro von 1957, welche interessanterweise den Film direkt von Anfang an dem Halloweenfest zuordnet, in dem dessen Titelsequenz mehrere Karten mit gezeichneten Hexen, Kürbissen, Katzen und Fledermäusen zeigt. Aufmerksamen Betrachtern mag jedoch, auch in der alten deutschen Fernsehfassung, vermutlich nicht die Szene entgangen sein, in der Mortimers Tanten einigen verkleideten Kindern aus der Nachbarschaft Süssigkeiten durchs Küchenfenster schenken. Das macht Arsenic And Old Lace für mich nur umso mehr zum ultimativen Halloweenfilm, Puristen dürfen natürlich trotzdem weiterhin einen Tag zuvor den Klassiker von Carpenter anschauen.
In diesem Sinne: A Happy Halloween!

Fazit: Nicht nur zu Halloween ein Filmfest für die ganze Familie - vielleicht nicht Capras bester aber einer seiner liebenswertesten Filme.

Punktewertung: 10 von 10 - Ein wahrer Klassiker!

Freitag, 16. Oktober 2015

Die Rückkehr der Klassiker #4: Die Untoten des Krieges

Dead of Night aka. Deathdream
CAN/GB 1972
R.: Bob Clark
 
Worum geht's?: Vietnam zu Beginn der 70er Jahre.
Im chaotischen Dschungelkrieg lässt der junge Soldat Andy Brooks (Richard Backus) sein Leben. Doch ein verzweifelter Ruf seiner Mutter (Lynn Carlin) in der Heimat holt den Toten wieder ins irdische Dasein zurück. Schon auf der letzten Etappe seiner Heimreise zeigt Andy jedoch ein neues Gesicht; er tötet den Lastwagenfahrer, der ihn auf seiner Route mitnimmt – der Krieg hat Andy im wahrsten Sinne zu einem aggressiven Zombie gemacht.
So kehrt er trotz einer bereits zugestellten Beileidsbekundung der US-Regierung heim und die Freude seiner Mutter und Schwester (Anya Ormsby) ist groß, nur sein Vater (John Marley) scheint über seinen apathischen Sohn und dessen plötzliche Heimkehr verwundert zu sein.
Bei einem Besuch der Kinder der Nachbarschaft entlädt sich der Hass des Kriegsheimkehrers erneut in grausamer Weise, er stranguliert den Familienhund vor den Augen der bestürzten Kinder. Als auch Dr. Allman (Henderson Forsythe), der Hausarzt der Brooks, misstrauisch gegenüber Andys Zustand und dem Tod des Lastwagenfahrers wird, nimmt sich Andy des besorgten Mediziners auf seine Weise an. „Ich bin für Sie gestorben, nun können Sie auch das für mich tun!“, ist sein zynischer Kommentar, bevor er den Doktor in dessen Praxis mit einer Spritze ersticht und dann dessen Blut zu seiner eigenen Regeneration benutzt.
Andy kämpft nämlich bereits mit dem langsamen Verfall seines Körpers und benötigt den Lebenssaft anderer, um der Fäulnis vorübergehend zu entgehen. Derweil ertränkt sein Vater seine Zweifel im Alkohol und hadert mit dem Schicksal, während seine Frau Andys Taten mit der krankhaften Liebe einer besorgten Mutter gegenübersteht. 


Wie fand ich's?: Leid und Tod, die verkümmerten Seelen der Kriegsheimkehrer, eine innerlich zerstörte Familie: kein anderer Horrorfilm zeigt die Folgen des Vietnamkriegs anhand einer amerikanischen Durchschnittsfamilie auf solch eindringliche, klare Weise, wie es Bob Clarks zweiter Genrebeitrag Deathdream tut. 1990 lieferte Adrian Lyne mit Jacob´s Ladder ein ähnlich schockierendes Psychogramm eines Vietnamveteranen ab, doch ist Clarks Film mit seinen einfachen Metaphern wesentlich zugänglicher als Lynes grandioses Spiel mit Realität und Wahn. 
Clark griff für Deathdream auf ein Drehbuch seines Schulfreundes und Weggefährten Alan Ormsby zurück, welcher bereits an Clarks erstem Horrorfilm Children Should´nt Play With Dead Things (USA 1972) maßgeblich beteiligt war und dort auch die Hauptrolle des exzentrischen Laientheaterregisseurs Alan übernommen hatte. Ormsbys damalige Ehefrau Anya ist in Deathdream in der Rolle von Andys Schwester zu sehen, er selbst und sein kleiner Sohn sind in Cameos zu begutachten. 
Für die Special-FX waren einerseits Alan Ormsby wie auch (erstmals in den Credits namentlich erwähnt) der junge Vietnamkriegsheimkehrer Tom Savini zuständig, letzterer gilt heute als lebende Legende und einer der besten Schöpfer unglaublicher Splatter-Effekte und hat u. a. an George A. Romeros Dawn Of The Dead (USA/I 1978 dt.: Zombie) und William Lustigs Maniac (USA 1981) mitgearbeitet.
Jedoch hat Bob Clark mit Deathdream keineswegs einen bluttriefenden Gorestreifen gedreht, sondern einen kritischen Kommentar auf die Nachwirkungen des Vietnamkriegs abgeliefert, der seine Kraft vor allem aus dem durchwegs brillanten Spiel seiner Darsteller schöpft. 
John Marley ist vor besonders durch seine Rolle in Francis Ford Coppolas The Godfather (USA 1971 dt.: Der Pate) bekannt geworden, wo er in einer berühmten Szene neben einem abgeschnittenen Pferdekopf erwacht. In Deathdream verkörperte er nun einen zwischen Vaterliebe und Rechtschaffenheit hin und hergerissenen Familienvater, der schliesslich an der eigenen Entscheidungslosigkeit gänzlich zerbricht.
Richard Backus Filmdebüt als Andy ist geprägt von einem sehr ruhigen und zurückhaltenden Spiel, welches Andys brutale Wutausbrüche noch stärker zur Geltung kommen lässt.
Inhaltlich bedient sich der Film bei der 1902 veröffentlichten Kurzgeschichte The Monkey's Paw (dt.: Die Affenpfote) des Briten William Wymark Jacobs. Deren düstere Prämisse hat von Heinz Erhardt bis Joss Whedeon eine ganze Menge kreativer Köpfe inspiriert und wurde von Drehbuchautor Ormsy nur geringfügig abgeändert und um die Antikriegsaussage erweitert.
Regisseur Bob Clark schuf bemerkenswerte Beiträge zu zahlreichen (Sub-)Genres; so auch den großartigen Protoslasher Black Christmas (CAN 1972 dt.: Jessy - Die Treppe in den Tod), das Oscar-nominierte Drama Tribute (CAN 1980 dt.: Ein Sommer in Manhattan) mit Jack Lemmon und die warmherzige, nostalgische Weihnachtskomödie A Christmas Story (USA/CAN 1983 dt.: Fröhliche Weihnachten), welche, mir unbegreiflicherweise, ebenfalls immer noch keine deutsche Veröffentlichung auf VHS, DVD oder gar Blu Ray erleben durfte. Daneben wurde er jedoch auch für die Musikkomödie Rhinestone (USA 1984 dt.: Der Senkrechtstarter) mit Dolly Parton und ausgerechnet Sylvester Stallone, sowie für Superbabies: Baby Geniuses 2 (USA/GB/BRD 2004) zweimal für die Goldene Himbeere als "schlechtester Regisseur" nominiert.
Bob Clark, der am Ende von Deathdream ein Cameo als scharf schießender Polizist hat, verstarb an der Seite seines erst 22-jährigen Sohns bei einer Frontalkollision mit einem, von einem Betrunkenen gefahrenen Fahrzeug, am 04. April 2007 im Alter von 67 Jahren. 



Fazit: Nicht nur George A. Romero verband gekonnt lebende Tote mit beissender Gesellschaftskritik!


Punktwertung: 8,5 von 10 Punkten 

Freitag, 9. Oktober 2015

Die Rückkehr der Klassiker #3: Vorsicht an den Türen!

Death Line aka. Raw Meat (Tunnel der lebenden Leichen)
GB 1972
R.: Gary Sherman
 

Worum geht's?: London in den frühen 70er Jahren.
Ein junges Pärchen findet des Nachts in einer menschenleeren U-Bahn-Station einen bewusstlosen Herrn. Obwohl der Amerikaner Allen (David Ladd) seine Freundin Patricia (Sharon Gurney) davon überzeugen will, dass es sich bei der gut gekleideten Person lediglich um eine Schnapsleiche handelt, gelingt es dieser jedoch Allen dazu zu überreden Hilfe zu holen.
Als man jedoch in Begleitung eines Polizeibeamten an den Fundort zurückkehrt, ist der Körper von den Treppenstufen des U-Bahnhofes verschwunden. Als einziger Anhaltspunkt über die Identität des Vermissten dient eine von Allen aus dessen Brieftasche genommene Karte, welche die Person als den Staatsbeamten James Manfred (James Cossins) ausweist.
Dem misanthropen Inspektor Calhoun (Donald Pleasence) gefällt die Affäre gar nicht, gab es doch an gleicher Stelle bereits mehrere sonderbare Vermisstenfälle, die man jedoch als Aktenleichen bisher unbeachtet gelassen hatte. Aufgrund des gesellschaftlichen Standes des letzten Opfers sieht Calhoun sich nun erst mal zur Handlung gezwungen und macht bei einer Untersuchung der Privaträume des Staatsdieners auch gleich Bekanntschaft mit einem grimmigen Geheimdienstler (Christopher Lee in einem Kurzauftritt), der dem Inspektor von weiteren Ermittlungen über den im Rotlichtmilieu sehr umtriebigen Manfred auf seine Weise dringend abrät.
Calhoun bohrt weiter, und erfährt von einem tragischen Unglück bei Bauarbeiten an den U-Bahn-Schächten im Jahre 1892.
Doch wie kann ein so lang zurückliegendes Drama noch achtzig Jahre später Opfer fordern?


Wie fand ich's?: Dem damals 27-jährigen Amerikaner Gary Sherman gelang mit seinem Spielfilmdebüt Death Line in Großbritannien etwas, wovon viele seiner Kollegen nur träumen konnten.
Während sich z. B. die im Genre etablierten Hammer-Studios bereits seit Jahren mehr oder weniger im Kreis drehten, schuf Sherman einen funktionierenden Mix aus Horrorfilm und Gesellschaftskritik, angereichert mit nie in Richtung Kitsch abdriftendes Pathos und viel Gefühl für seine Figuren.
Death Line (der in den USA unter dem Alternativtitel Raw Meat veröffentlicht wurde) zeigt das London der 70er Jahre als ein tristes Umfeld für Menschen, welche eigentlich kaum noch miteinander kommunizieren und ihre Werte scheinbar fast gänzlich verloren haben. So ist der Student Allen sofort bereit eine offenbar hilfsbedürftige Person sich selbst zu überlassen, seine Angst vor Verantwortung führt fast zu einem Zerwürfnis mit seiner Freundin, welche als Einzige noch so was wie Mitgefühl besitzt. Auch der teesüchtige Inspektor legt Arbeit zunächst lieber erst mal zur Seite, hat er doch seinen Glauben an so etwas wie Gerechtigkeit lange verloren.
Im Kontrast zu diesen „Helden“ steht bei Sherman nun das „Monster“, ein durch seine Lebensumstände zur Existenz als Kannibale gezwungener Nachfahre der zu „Wegwerfutensilien“ ernannten Opfer der Industriellenrevolution. Diese Person kümmert sich rührend um seine sterbende Liebe und bringt auch die Ermordung seines letzten Opfers nicht übers Herz. Immer wieder stammelt er seine einzigen artikulierten Worte „Vorsicht an den Türen!“, und dem Zuschauer wird klar, dass die junge Studentin von ihm vielleicht weniger als Nahrung, sondern eher zur neuen Lebensgefährtin auserkoren worden ist.
Dem gegenüber steht die „Freizeitgestaltung“ des biederen Staatsbeamten Manfred, den man zu Beginn des Films in der Umgebung von Stripklubs und Peepshows sieht, bis er in der U-Bahn eine Prostituierte anspricht. In einem Kurzauftritt als MI5-Agent tritt Christopher Lee auf, eine Rolle, welche wohl nur zu einem werbewirksamen Zweck eingebaut wurde und der man ansieht, das Pleasence und Lee wohl nicht tatsächlich zur gleichen Zeit im Studio waren.
Donald Pleasence gibt den grummeligen Polizisten mit merklicher Spielfreude, sechs Jahre später sollte auch er sich als Dr. Loomis in John Carpenters Halloween allgemeiner Bekanntheit bei Fans des Horrorgenres erfreuen.
Für Regisseur Gary Sherman sollten hingegen ganze neun Jahre ins Land gehen, bis er mit dem ebenfalls bemerkenswerten Zombiefilm Dead & Buried (USA 1981 dt.: Tot & Begraben) zu den lebenden Leichen zurückkehren sollte. Danach folgten vermehrt Arbeiten fürs TV und die Regie beim misslungenen dritten Teil der Poltergeist-Reihe: Poltergeist III (USA 1988 dt.: Poltergeist III – Die dunkle Seite des Bösen), der sich leider weit größerer Popularität als Shermans wesentlich gelungeneres Frühwerk erfreut.



Fazit: Diese kleine Perle des Horrorfilms ist hierzulande immer noch nur als Bootleg erhältlich und auch im Ausland ist keine feine Blu Ray in Sicht... *seufz*


Punktwertung: 8 von 10 Punkten

Freitag, 18. September 2015

Fragmente von der Wutstraße

Mad Max: Fury Road
AUS/USA 2015
R.: George Miller


Worum geht's?: Reboot. Max Rockatansky (Tom Hardy) flieht vor seinen Dämonen durch eine postapokalyptische Wüstenlandschaft und wird von den unheimlichen Anhängern des größenwahnsinnigen Tyrannen Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) in dessen Zitadelle verschleppt, wo er als Frischblutspender für dessen bleiche Krieger dienen soll.
Als seine Gefolgsfrau Imperator Furiosa (Charlize Theron) mit seinem kostbarsten Besitz das Weite sucht, bricht der Despot mit Wasserdepot zu einer wilden Jagd auf, an der auch Max unfreiwillig teilnehmen darf.


Wie fand ich's?: Aufblende - It's Miller Time - Sand, Sonne, Schweiß - Tom Hardy statt Mad Gibson - Exposition unnötig - Story ist bekannt - Hauptfigur: Ikone des Schweißfilms - Geschwindigkeit frisst Plot - pures Adrenalin - Testosteron im Sprit - Blut auf Chrom - Wahnsinn und Wut - Charlene Theron statt Tina Turner - weniger Pop - mehr Metal - pedal to the metal - Riffs peitschen Wahnsinnige vor - Mutation und Atemnot - Krebs und Geschwür - Verfall und Schwangerschaft - Hochzeitskleider und Keuschheitsgürtel - Kaiserschnitt und Roadkill - ständiges Eigenplagiat - das Road Warrior-Finale im Director's Cut - rauschhafte Bilder - roter Sandsturm - blaue Nacht - Krähenmenschen im Sumpf - das Auto das Paris auffraß - weise Frauen - verrückte Männer - Wasser statt Öl - Muttermilch literweise - unendlicher Sand - woanders immer grüner - Messias und Erlösermythos - die Donnerkuppel lässt grüßen - Toecutter kehrt maskiert zurück - Mix aus Baron Harkonnen und Bane - Hardy besser als bei Nolan - Miller älter, aber kaum leiser - in Cannes ohne Konkurrenz - Soundtrack vom Junkie XL - Australien zu nass - Namibia schön trocken - Nicholas Hoult ausgemergelt erwachsen - schneller - weiter - goldene Nase und Nippelklemme - entfesselter Rost - auf Höchstgeschwindigkeit gebracht - Turbolader und Kompressor - survival of the fastest - sprachlose Raserei - style over substance - Rasanz über Inhalt - schneller und schneller - kann - nicht - anhalten!


Fazit: Boah...


Punktewertung: Bereits ein moderner Klassiker, der nur die Höchstnote verdient - 10/10.

Sonntag, 6. September 2015

Die Rückkehr der Klassiker #2: Frisch aus dem Kokon

Spider Baby, or the Maddest Story Ever Told 
USA 1964 
R.: Jack Hill



Worum geht's?: Das Merrye-Syndrom ist eine seltene, vererbbare Krankheit, welche bislang lediglich bei Nachfahren der Merryefamilie nachgewiesen worden ist. Die Krankheit führt zu einem stetigen Verfall des Hirns und verursacht auf diese Weise einen Rückfall zu tierischen Verhaltensformen, inklusive fortschreitendem Schwachsinn und sogar auftretenden Kannibalismus. Die letzten direkten Nachkommen des Familienvaters Merrye leben in einem verfallenen Haus irgendwo in Amerika wo der ebenso gütige wie nachsichtige Familienchauffeur Bruno (Lon Chaney, jr.) sich rührend um die Geschwister Virginia (Jill Banner), Elisabeth (Beverly Washburn) und Ralph (Sid Haig) kümmert, welche ihm von deren Vater anvertraut worden sind.
Während die zarte Virginia die Angewohnheit hat eine Spinne zu imitieren und zufällig vorbeikommende Besucher mit Messern zu töten, nachdem sie die Unglücklichen mit einem Netz bewegungslos gemacht hat – sehr zum Verdruss ihrer leicht paranoiden Schwester Elisabeth – ist Ralph ein scheinbar komplett zurückgebliebener junger Mann, der in seinen Bewegungen eher einem Tier ähnelt und nicht mal fähig zu sprechen ist.
Als sich zwei entfernt verwandte Familienmitglieder in Form von Onkel Peter (Quinn Redeker) und Tante Emily (Carol Ohmart) ankündigen und mit dem zwielichtigen Rechtsanwalt Schlocker (Karl Schanzer) und dessen Sekretärin Ann (Mary Mitchel) in den Lebensraum dieser Sonderlinge eindringen, um sich des Grundbesitzes zu bemächtigen, sieht sich das fürsorgliche Faktotum Bruno gezwungen in jeder Form Schadensbegrenzung zu betreiben.
Doch als der nachts herumschleichende Anwalt auf einen geheimen Kellerraum stößt, in dem einige Familienangehörige hausen, welche besser nicht der Außenwelt bekannt gemacht werden sollten, und die Geschwister die Neuankömmlinge nach und nach ins Jenseits befördern wollen, greift Bruno zum scheinbar letzten Wundermittel: Dynamit! Aber ist dies tatsächlich ein probates Mittel um eine seltene Erbkrankheit auszuradieren?


Wie fand ich's?: Jack Hill ist ein sicherlich leicht zu übersehener Regisseur, bestand doch ein Großteil seines filmischen Werkes darin, Szenen für im Ausland gedrehte B-Movies beizusteuern, wie zum Beispiel bei den vier mexikanischen Low-Budget-Produktionen der Parasolstudios Ende der 60er Jahre mit dem in die Jahre gekommenen Boris Karloff namens La Muerte Vivente (MEX 1968 dt.: Todeskult), La Invasión Sinestra (MEX 1968 R.: Juan Ibanez dt.: Invasion der Aliens), Serenata Macabra (MEX 1968 R.: Juan Ibanez dt.: Todestanz im Schreckensschloss) und La Cámara Del Terror (MEX 1968 R.: Juan Ibanez dt.: Folter). Hill drehte in Hollywood die spärlichen Szenen mit dem bereits schwer krankem Karloff, während Ibanez den gesamten Rest der Handlung preiswert in Mexiko herunterkurbelte und an Karloffs Stelle einfach ein Lichtdouble einsetzte.
Seine späteren Filme sind u. a. die beiden bekannteren Blaxploitation-Krimis Coffy (USA 1973) und Foxy Brown (USA 1974) mit der Filmikone Pam Grier, welche durch Quentin Tarantinos Jackie Brown (USA 1997) wieder ins Gedächtnis ihres Publikums zurückgelangt ist, was Hill wohl auf diesem Weg auch einen kleineren Popularitätsschub gab. 
So ist es auch nicht sehr verwunderlich das Hills außergewöhnliches Horrordebüt Spider Baby (der ursprünglich Cannibal Orgy, or he maddest story ever known betitelt war) nie ein größeres Publikum fand und lange Zeit in Deutschland fast gänzlich unbekannt war. Nichtsdestotrotz hat der Film in den USA mittlerweile längst Kultstatus erlangt, den er gar durch seine kuriose Mixtur von schwarzer Komödie und Haunted-House-Sujet auch voll und ganz verdient hat. 
Der Film ist inhaltlich und in seiner Wirkung mit Arsenic And Old Lace trifft auf The Texas Chainsaw Massacre ebenso kurz wie prägnant zu beschreiben. TV-Veteran Quinn Redeker gibt hier den sympathischen aber leicht dümmlichen Helden á la Cary Grant, der sich bald in den Fängen seiner ebenso mörderischen wie eigentlich sonderbar putzigen Verwandten wiederfindet. Sid Haig brilliert allein durch seine physische Präsenz und ist eine Idealbesetzung als debiler Bestandteil einer jeden Familie von degenerierten Underdogs.
Eine seiner letzten Darbietungen seines Könnens gibt hier Lon Chaney, jr. - Sohn des großen Stummfilmdarstellers Lon Chaney, der mit Filmen wie The Phantom Of The Opera (USA 1925 R.: Julian/Chaney/Laemmle/Sedgwick dt.: Das Phantom der Oper) und The Unknown (USA 1927 R.: Tod Browning dt.: The Unknown - Der Unbekannte) das Werk seines Sohns stets überschattete. Tatsächlich gibt Hill an, bereits während der Dreharbeiten ein Drehbuch für ein Sequel zu Spider Baby namens Vampire Orgy geschrieben zu haben, das er mit Chaney und den weiblichen Darstellerinnen realisieren wollte, welches jedoch leider nie aus dem Kokon schlüpfen durfte. Schade.


Fazit: Wie eine Fahrt mit der monochromen Hillbillygeisterbahn - schrill, trocken und zunehmend derangiert!

Punktewertung: Klassiker! (Eine genaue Wertung entfällt in diesem Fall!)

 

Sonntag, 30. August 2015

Die Rückkehr der Klassiker #1: Dunkles Haus in stürmischer Nacht

The Cat And The Canary (Spuk im Schloß) 
USA 1927
R.: Paul Leni


Worum geht's?: Exakt um Mitternacht will der ältliche Notar Roger Crosby (Tully Marshall) im alten Herrenhaus der Familie West das Testament des genau vor zwanzig Jahren verstorbenen Patriarchen Cyrus West verlesen, wozu sich nach und nach die geldgierige Verwandtschaft in dem unheimlichen Gemäuer in merklicher Vorfreude einfindet. Diese hatte für den alten Exzentriker Cyrus zeit seines Lebens größtenteils nur Spott über und hielt den Mann offensichtlich für verrückt, allerdings würden sie nach dessen Ableben nun doch nur allzu gern in den Besitz seines Vermögens und der legendären Westdiamanten gelangen, welche Teil des beträchtlichen Vermächtnis sein sollen.
Überraschenderweise vererbt Cyrus alles der jungen Annabelle (Laura La Plante), welche als Letzte zu der illustren Runde gestoßen war und wohl kaum mit dem plötzlichen Segen gerechnet hatte, ganz im Gegensatz zu den anderen enttäuschten Möchtegernerben. Allerdings verlangt der Wille des alten Herrn, dass die Erbin durch einen sachverständigen Doktor im Nachhinein als zurechnungsfähig eingestuft wird; sollte dies nicht der Fall sein, fällt das gesamte Erbe doch noch einer zweiten Person zu, welche in einem separat versiegelten Umschlag genannt wird, den der Notar erst bei Eintritt des Ausnahmefalls öffnen darf.
Nun sitzt die junge Annabelle wie ein Vogel im goldenen Käfig - misstrauisch beäugt von den geldgierigen Anverwandten, die sie wie gefräßige Katzen umzingeln. 
Tatsächlich überschlagen sich schon bald die Ereignisse. Ein Irrenhauswärter auf der Suche nach einem mörderischen Verrückten, der sich für eine Katze halten soll, betritt die Szenerie und versetzt die Gemeinschaft vor dem geplanten Zubettgehen in Angst und Schrecken. Direkt darauf wird Rechtsanwalt Crosby von einer Person mit einer Raubtierklaue anstelle der Hand hinter dem Rücken Annabelles in einen Geheimgang gezogen, just in dem Moment, als der Notar der jungen Dame unter vier Augen die Identität der Person nennen wollte, an welche das Erbe fällt, sollte Annabelle bei Eintreffen des Arztes als verrückt erklärt werden.
Eine kurze Suche bleibt ergebnislos und man zieht sich auf sein zugeteiltes Zimmer zurück, wo Annabelle aufgrund eines Briefes von Cyrus West in einem versteckten Fach ein kostbares Halsband mit den sagenhaften Westdiamanten findet, welches allerdings eine aus der Wand kommende Krallenhand vom Hals der Schlafenden reißt. Natürlich glaubt man das Geschehene der nun panischen Annabelle nicht so recht, doch findet die Erbgemeinschaft schließlich den hinter einer falschen Wandtäfelung versteckten Leichnam des Notars.
Ein erster Versuch die Polizei zu informieren scheitert an gekappten Telefondrähten, Tante Susan (Flora Finch) besteigt einen vorbeikommenden Pferdekarren, um mit einem Milchmann Hilfe zu holen, Dr. Ira Lazar (Lucien Littlefield) trifft ein, um die nervöse Annabelle zu untersuchen, und der liebenswerte Tollpatsch Paul Jones (Creighton Hale) begegnet im Keller dem katzenähnlichen Bösewicht, den er zusammen mit der nun endlich eintreffenden Polizei zur Strecke bringt, und so eine teuflische Verschwörung aufdeckt.


Wie fand ich's?: Der deutsche Paul Leni wurde von Universal-Chef Carl Laemmle Mitte der 20er Jahre in die USA geholt, nachdem Leni bereits zuvor in Deutschland erfolgreich als Filmausstatter, -architekt, Regisseur und Kunstmaler tätig war. 
Dem deutschen Filmexpressionismus stark zugeneigt, hatte der Jude Leni im Weimarer Kino bereits mit den beiden Wiener Produzenten und Filmemachern Richard Oswald (eigentlich: Richard W. Ornstein) und Joe May (eigtl. Julius Otto Mandl, bzw. Joseph Otto Mandl, bzw. Joseph Mandl - da sind sich die Quellen heute leider nicht mehr einig...) zusammengearbeitet, bevor er sich in Hollywood neuen Filmen zuwandte. Der 1924 noch in Deutschland realisierte Episodenfilm Das Wachsfigurenkabinett, welcher drei Horrorgeschichten in einer auf einem Rummelplatz spielenden Rahmenhandlung um einen jungen Schriftsteller einfasste, war Universal Beweis genug, dass Leni das geeignete Rüstzeug für eine erfolgreiche Filmadaption des zur gleichen Zeit entstandenen Theaterstücks The Cat and The Canary von John Willard mitbrachte. Und wenn man sich nun bald 80 Jahre nach seiner Entstehung Lenis Film ansieht, so stellt man fest, dass The Cat And The Canary weit weniger angestaubt wirkt als ähnliche zeitgenössische Werke.
Ein Faktor seiner Qualität ist unverkennbar Lenis künstlerisches Können in fast allen filmischen Disziplinen. Von den fantastisch in Szene gesetzten, spinnwebverhangenen Kulissen Charles D. Halls, über innovative Kameratricks wie die assoziative Überblendung am Anfang des Films, in der das Herrenhaus in dem der alte Cyrus West sitzt, erst einer Ansammlung von hochaufragenden Medizinflaschen und dann mehreren fauchenden schwarzen Katzen weicht, hin zu animierten Zwischentexten, welche eine zusätzlich unterstrichene Darstellung von panischen Ausrufen oder ängstlichem Flüstern auch in einem Stummfilm möglich machten. 
Der weitere Faktor, der den Film so frisch erscheinen lässt, ist die temporeiche Inszenierung Lenis, der in die relativ kurze Laufzeit von ca. 80 Minuten (dies betrifft die restaurierte Fassung von 2004, eine mir ebenfalls vorliegende US-DVD läuft zähere 110 Minuten) alles hineinpackte, was heute mithin zum Allgemeingut des Haunted-House-Thrillers gehört: lange düstere Korridore, knarrende Geheimtüren, versteckte Schätze, mörderische Psychopathen. Aber auch der Humor kommt in Lenis Film nicht zu kurz. So erinnert die von Paul Jones verkörperte Figur des trotteligen Creighton Hale, der im Laufe des Films vom Tolpatsch zum Helden mutiert, nicht nur auf optischer Ebene an Harold Lloyd, welcher in seinen Komödien auch oft eben jene Wandlung „from zero to hero“ vollzieht.
Leni verstarb bereits 1929 im Alter von 44 Jahren an den Folgen einer Blutvergiftung. Es bleibt leider nur zu vermuten welche großen weiteren Klassiker dieses Allround-Genie der (Film-)Welt geschenkt hätte. Sein Hollywooddebüt hinterließ jedenfalls solch großen Eindruck, dass bis zum heutigen Tag eine ansehnliche Anzahl von Remakes und Rip-Offs über die Leinwände der Lichtspielhäuser hereinbrach. Da wäre zunächst The Cat Creeps (USA 1930 R.: Rupert Julian und John Willard) zu nennen, eine Tonfilmvariante des gleichen Theaterstücks von der es auch (wie auch im Falle von Tod Brownings Dracula) eine spanisch-sprachige Version namens La Volundat Del Muerto gab, leider gelten jedoch beide Filme als verschollen (so check your attic!)
1939 konnte man The Cat And The Canary erneut als Bob-Hope-Vehikel zu bewundern (USA 1939 R.: Elliot Nugent dt.: Erbschaft um Mitternacht), 1974 nahm sich Vielfilmer Jess Franco des Stoffes an und schuf mit La Noche De Los Asesinos (E 1974 R.: Jess Franco dt.: Im Schatten des Mörders) einen eher unbedeutenderen Eintrag innerhalb seiner über 100 Machwerke nennenden Filmographie. Im Jahre 1979 kam man erneut auf den Originaltitel zurück: The Cat And The Canary (GB 1979 R.: Radley Metzger dt.: Die Katze und der Kanarienvogel) wartete nun mit Honor Blackman in der Hauptrolle auf, welche dem deutschen Filmpublikum besser als Pussy Galore aus Goldfinger (GB 1964 R.: Guy Hamilton) bekannt ist.


Fazit: Der Stoff wurde unzählige Male adaptiert, doch Lenis stummes Meisterwerk von 1927 bleibt bislang unerreicht - ein perfekter Einstand in zur Rückkehr der Klassiker in diesem Blog!


Punktewertung: Klassiker! (Eine Wertung entfällt in diesem Fall.)

Freitag, 21. August 2015

Der Weg war das Ziel

Bis ans Ende der Welt
BRD 1991
R.: Wim Wenders


Worum geht's?: 1999. Ein indischer, nukleargetriebener Satellit droht auf die Erde zu stürzen.
Währenddessen lässt sich die attraktive Französin Claire (Solveig Dommartin) durch ein selbstmörderisches Leben voller substanzloser Partys und illegaler Substanzen treiben.
Auf einer Landstraße führt ein bizarrer Unfall ihren Weg mit dem zweier Bankräuber zusammen, welche ihr kurzer Hand ihre mit einem Sender versehene Beute zum Weitertransport nach Paris anvertrauen.
Mit neuer Motivation und der Aussicht auf 30 % der nicht unerheblichen Beute, lernt sie wenig später auch noch einen seltsamen Herrn (William Hurt) kennen, welcher sich ihr als Trevor McPhee vorstellt, und offenbar von einem anderen, bewaffneten Afroamerikaner (Ernie Dingo) verfolgt wird.
Claire verliebt sich praktisch sofort in den Neugier erweckenden Mann, den sie in ihrem Auto in die Seine-Metropole mitnimmt, und der während der Fahrt einer Aufnahme von Pygmäengesängen lauscht.
Bei ihrem Ex Eugene (Sam Neill), einem sympathischen Schriftsteller, der Claire immer noch sehr liebt, angekommen, sehnt sich die junge Frau, nun Besitzerin einer stolzen, wenngleich gestohlenen, Geldsumme, nach der interessanten Reisebekanntschaft und setzt nach etwas hin und her den Berliner Detektiv und Kopfgeldjäger Winter (Rüdiger Vogler) auf Trevor McPhee an.
In Moskau finden Claire, Winter und der ebenfalls anwesende Eugene heraus, dass die Person, der sie folgen, gar nicht der von einer Opalmine gesuchte Trevor McPhee ist, sondern es sich bei dem Herrn, um Sam Farber, Sohn des genialen Henry Faber (Max von Sydow), handelt, dem bereits ebenfalls die CIA in Form des schwarzen Beschatters auf der Spur ist.
Claire nimmt keine Kosten und Mühen auf sich ihrer Liebe durch fast alle Kontinente bis nach Australien zu folgen, wo ein elektromagnetischer Impuls das Flugzeug in dem sie und Sam sitzt zum Absturz bringt - und dies ist erst die Hälfte der Geschichte!


Wie fand ich's?: Das größte Roadmovie aller Zeiten sollte es wohl werden. Einmal rund um die Welt, durch alle Kontinente und zuletzt ins Reich der Träume. Wenn Deine Produktionsfirma Road Movies Filmproduktion heißt und Du Deine größten Erfolge hauptsächlich in eben diesem Genre feiertest - wer wenn nicht Du ist berufen den ultimativen Film-Trip auf Zelluloid zu bannen?
Ähnliches muss sich Wim Wenders gedacht haben, als er mit seiner damaligen Muse Solveig Dommartin (* 1961; † 2007) die Story zu Bis ans Ende der Welt ersann, der der australische Autor Peter Carey und Drehbuchautor und Regiekollege Michael Almereyda zusätzlichen Schliff geben sollten. So kamen zum Grundaufbau eines klassischen Roadmovies noch Elemente des Science-Fiction- und Spionagefilms, des Familiendramas und des Katastrophenfilms dazu, eine Szene in einem japanischen Sarghotel erinnert gar an eine Slapstick- oder Screwballkomödie. Angereichert wird der epische Plot dazu ständig durch Szenen in den musiziert wird, was Wenders Werk ebenfalls in die Nähe des Musikfilms rückt, ein Genre, welches Wenders ebenfalls zahlreich bediente (vgl. Buena Vista Social Club von 1999 oder Pina - ein Tanzfilm in 3D von 2011). So viel auch der Soundtrack zu Bis ans Ende der Welt mehr als opulent aus und sollte u. a. mit U2, R.E.M., Peter Gabriel und Depeche Mode Songs zahlreicher Größen des gehobenen Mainstreams enthalten, welche den Film atmosphärisch auch stringent weiter aufwerten und die bis auf den Track der mit Wenders befreundeten U2 eigens für den Film komponiert wurden.
Bis ans Ende der Welt wurde zunächst in einer 158 minütigen Schnittfassung veröffentlicht und floppte kläglich an den Kassen der Filmtheater, wohingegen sich der Soundtrack weit besser verkaufte. 2001 stellte Wenders einen knapp 280 Minuten laufenden, finalen Director's Cut her, der den Film in drei Teile von jeweils etwas mehr als 90 Minuten Länge bricht (was allerdings nicht für die TV-Ausstrahlungen gilt, welche den Film praktisch am Stück darbieten).
Doch ist das Scheitern an den Kinokassen auch nach Ansicht der vom Regisseur abgesegneten Fassung noch zu verstehen oder ist sein Vorhaben von epischer Größe tatsächlich am Ende noch aufgegangen?
Leider lautet die Antwort auf diese Frage meiner Meinung nach: nein. Wenders Film ähnelt einem schlaffen Händedruck - man erkennt vielleicht die gute Absicht, doch bleibt das Erlebnis im Ergebnis unbefriedigend.
Der Film schickt sein Publikum zunächst recht gekonnt durch zahlreiche Szenerien, baut hier und da interessante Sci-Fi-Elemente ein und die Darsteller geben durch die Bank eine solide Leistung ab. Rüdiger Vogler kehrt als Stammschauspieler Wenders in der Rolle eines Privatdetektivs unter seinem wiederkehrenden Charakternamen Winter zurück, Solveig Dommartin ist hübsch anzuschauen und Sam Neill und William Hurt geben dem Film fast ein Hollywoodambiente. Doch je länger der Film läuft, je mehr stößt man auf Szenen, welche stark aufgesetzt oder sehr schwülstig wirken, als Beispiel sei nur die oben bereits erwähnte Slapstickszene in Tokio, welche in diesem Kontext einfach fehl wirkt, zumal daraufhin ein eher ruhiger, emotionaler Moment bei einem japanischen Heiler folgt, deren übermäßiger Pathos durch diesen Kontrapunkt noch mehr hervorgehoben wird. Dagegen wundert es, dass ausgerechnet eine Szene mit, der mir lediglich als Bondgirl aus dem ebenfalls eher mäßigen Moonraker (GB/F 1979 R.: Lewis Gilbert) bekannten, Lois Chiles als absoluter, emotionaler Höhepunkt heraussticht, trägt Chiles diese doch ganz allein.
Kann man der ersten Hälfte des Films noch eine luftige, abwechslungsreiche Erzählweise bescheinigen, so kommen die Charaktere doch leider irgendwann am Ziel ihrer Reise in Australien an. Dort warten zwar die beiden Filmlegenden Max von Sydow und Jeanne Moreau, doch nimmt dieser letzte Akt einen viel zu großen Teil des Gesamtwerks ein und man hat das Gefühl als wären die ersten zwei Stunden nur ein infantiles, überlanges Vorspiel für die eigentlich zu erzählen beabsichtigte Hauptstory gewesen.
Nun, mutmaßlich am Ende der Welt sowohl räumlich wie zeitlich angekommen, bekommt man ein etwas plumpes Familien- bzw. Vater/Sohn-Drama geliefert. Hier wartet doch tatsächlich ein Mad-Scientist auf die Protagonisten und Zuschauer, der zwar zunächst hehre Absichten (Eye-, no, Mindsight to the Blind!) hat, aber nicht nur ein grober Unsympath ist, sondern auch Grenzen überschreitet, die man besser in Ruhe lassen sollte.
Grenzen kannte man bei der Produktion dieses Filmes leider anscheinend nur bedingt und man würde sich wünschen, man hätte direkt aus dem im Mittelteil auseinanderbrechenden Film zwei eigenständige Werke geschaffen. So wäre der Ton beider Erzählungen besser zu wahren gewesen und die erste Hälfte würde gegenüber der mit Drama und (familiäre) Düsternis beschwerten zweiten nicht so arg langsam und überfrachtet wirken.
So ist Bis ans Ende der Welt wohl weniger im Ergebnis als rein aufgrund seines epischen Konzepts filmhistorisch interessant.


Fazit: Mehr Economy als Business Class - leider insgesamt mehr Pauschalreise statt eines großen Abenteuertrips.


Punktewertung: 5,5 von 10 Punkten

Freitag, 31. Juli 2015

All that Jess... oder: die Franco-Variationen

Vampyros Lesbos
BRD/E 1971
R.: Jesús Franco


Worum geht's?: Istanbul zu Beginn der siebziger Jahre.
Bereits bei ihrem reinen Anblick in einer frivolen Show auf der Bühne eines schummerigen Klubs verfällt die sensible Rechtsanwältin Linda (Ewa Strömberg) einer jungen Schönheit (Soledad Miranda).
Anscheinend kein völliger Zufall, trifft Linda doch die zarte Dame schon wenig später als Klientin in deren Landhaus wieder, wo sich diese als Gräfin Carody vorstellt, Erbin des Vermögens keines Geringeren, als des Grafen Dracula (von dem freilich die etwas naive Linda nie etwas gehört hat).
Immer tiefer gerät die Juristin in den Sog der unheimlichen Adeligen, deren stummer Diener Morpho (José Martinez Blanco), der einzige Mann ist, den die tödliche Venus in ihrer Nähe duldet und der Ausschau hält nach Störenfrieden, wie sie zum Beispiel in den Gestalten von Lindas Liebsten (Andrea Montchal) oder des sonderbaren Leiters mit einem Faible für Vampirismus eines benachbarten Sanatoriums namens Dr. Seward (Dennis Price) nahen.
Oder ist Linda am Ende doch nur eine sexuell frustrierte Frau, wie es Lindas quacksalbernder Analytiker Dr. Steiner (Paul Muller) behauptet, der während der gemeinsamen Therapiestunden gelangweilt Strichmännchen auf seinen Block kritzelt?


Wie fand ich's?: In einer amerikanischen Rezension zum ebenfalls sehr schönen Franco-Werk Paroxismus (UK/BRD/I 1969) habe ich unlängst einen wunderbaren Vergleich gelesen, den ich hier kurzerhand klauen und um eigene Gedanken erweitern möchte. So meint Scott Ashlin aka. El Santo auf seiner Webseite 1000 Misspent Hours and Counting, dass sich Francos Liebe zum Jazz auch auf seine Art des Filmemachens niederschlug. Franco variierte Ashlins Meinung nach größtenteils immer nur die gleichen Themen und Standards, die mitunter längst Traditionals waren (man denke an Dracula, Frankenstein, Mabuse oder Fu Manchu) und warf seine immer gleichen Figuren namens Linda, Lorna, Irina oder Morpho mit in den Mix. Nicht nur finde ich persönlich dieses Bild mit Blick auf Francos riesiges Gesamtwerk ungemein passend, er lässt sich auch wunderbar auf den hier besprochenen Vampyros Lesbos anwenden, der nicht nur mit einer Linda und einem Morpho, sondern auch mit einem großartigen Score aufwartet.
Schon in dem oben bereits erwähnten Paroxismus spielte Franco uns das Lied von dem, einer anderen, unheimlichen und todbringenden Person verfallenen Liebhaber, der durch ein traumartiges Istanbul (und dort auch Rio) wandelt und am Ende an seinem eigenen Dasein und seiner Realität zweifeln muss.
In Vampyros Lesbos erweiterte Franco das Grundmotiv um den bekanntesten Horrorfilmstandard überhaupt: Bram Stokers Figur des Grafen Draculas oder noch genauer dessen (bislang doch eher unbekannten) lesbischer Erbin.
Diese wird von Francos damaliger Muse Soledad Miranda (hier unter ihrem Pseudonym Susann Korda firmierend) mit vollem Körpereinsatz gegeben, welche nicht nur mit Franco im gleichen Jahr 1970 noch mehrere weitere Filme fertigstellte, sondern auch nach einem tragischen Autounfall im selben Jahr nur siebenundzwanzigjährig verstarb.
Neben ihr spielt die Schwedin Ewa Strömberg, die nach einigen Filmauftritten in ihrer Heimat in drei späten Edgar-Wallace-Reissern der Rialto Film unter der Leitung von Alfred Vohrer (vgl. Perrak) hierzulande Fuß fasste, bevor sie ab Der Teufel kam aus Akasava (BRD/E 1971) für fünf Filme zum Ensemble Jess Francos gehörte, die dieser maßgeblich für Artur "Atze" Brauners CCC-Film oder die ebenfalls deutsche Tele-Cine Film und Fernsehproduktion drehte. Die letzte dieser fünf praktisch im selben Jahr entstandenen deutsch/spanischen Coproduktionen in der die Strömberg mitwirkte war der unglaubliche Dr. M schlägt zu (BRD/E 1972), ein Film, den man schon allein wegen seiner offenbar noch vom letzten Kinderkarneval übrig gebliebenen Kostüme sehen sollte.
Insgesamt ist Vampyros Lesbos einer der deutlich besten Filme dieser (mittleren) Phase im Gesamtwerk Francos - wenn man so will, fügen sich alle Elemente recht harmonisch zu einer gelungenen, verträumt erotischen Gesamtmelodie zusammen. Dass Franco handwerklich Besseres gemacht hat, wurde in diesem Blog bereits bezeugt (s.h. Rififí en la Ciudad), er gern bloßes Mittelmaß ablieferte auch (s.h. Rote Lippen, Sadisterotica) dass er jedoch gern auch mal daneben griff allerdings ebenfalls (vgl. Die sieben Männer der Sumuru).


Fazit: Schwül, verträumter Erotikhorror für heiße Sommerabende. Auf ins Istanbul der 70er, wo die Vampire sexy und alle Hoteldiener gefährliche Psychopathen waren.


Punktewertung: 7,75 von 10 Punkten

Samstag, 18. Juli 2015

Lustig war's!

Vigilante (Streetfighters)
USA 1983
R.: William Lustig


Worum geht's?: New York City in den frühen Achtzigern. Die Stadt ist ein Sumpf aus Verbrechen, Brutalität und Korruption. Auch die Familie des zurückhaltenden Malochers Eddie Marino (Robert Foster) wird am helllichten Tag Opfer eines kaltblütigen Gewaltverbrechens.
Eine Bande verfolgt die junge Frau Eddies (Rutanya Alda) und ihr kleines Kind bis zu deren Wohnung und überfällt die beiden wehrlosen Personen wenig später mit grausamen Folgen - das Kind stirbt durch einen Schuss aus einer Schrotflinte, die Mutter ringt mit schwersten Stichverletzungen in einem Krankenhaus mit dem Tode.
Am Tage der Gerichtsverhandlung wird Eddie zudem Opfer eines schmierigen Winkeladvokaten (Joe Spinell) und eines korrupten Richters (Vincent Beck), der, nachdem er den angeklagten Anführer der sadistischen Mörderbande (Willie Colón) zu nur zwei Jahren auf Bewährung verurteilt hat, vom nun vollends aufgebrachten Eddie mit dem Leben bedroht wird, sodass dieser anstelle des Kriminellen postwendend hinter schwedischen Gardinen landet.
Dort drohen dem Unschuldigen nicht weniger monströse Gefahren als auf den Straßen des Big Apples, auf denen Eddies wuterfüllter Arbeitskollege Nick (Fred Williamson) mit seiner selbst geschaffenen Bürgermiliz auf eigene Faust unbarmherzig nach den Urhebern der Verbrechen sucht.


Wie fand ich's?: Mit denen seines deutschen Namenvetters Peter haben die Werke des amerikanischen Filmschaffenden William Lustig wahrlich nichts gemein. Stapfen bei dem einen fröhliche Latzhosenträger über Wiesen voller Löwenzahn, so regiert beim anderen Gewalt und Düsternis. Filme wie Maniac (USA 1980), Relentless (USA 1989 dt.: Der Sunset Killer), Maniac Cop (USA 1988) und dessen erstes Sequel Maniac Cop 2 (USA 1990) gehören heute zu Recht zu den Kultklassikern des US-Exploitationkinos und zeugen vom kurzen Lauf, den der 1955 in der Bronx geborene Lustig vom Beginn bis zum Ende der 80er Jahre als Regisseur hatte.
Zuvor hatte er unter dem Pseudonym Billy Bagg Ende der 70er zwei Hardcorefilme (The Violation of Claudia von 1977 und Hot Honey von 1978) mit der New Yorker Pornolegende Jamie Gillis (* 1943; † 2010) gedreht, heute ist er der Kopf des Medienlabels Blue Underground, das nicht nur seine eigenen Filme wiederveröffentlicht, sondern sich auch ständig weiterer Klassiker des internationalen Genrekinos respektvoll annimmt.
Mit Vigilante begab sich Lustig 1983 in das Reich des urbanen Rachethrillers, dessen übermächtiger, wenngleich umstrittener, Genreprimus Death Wish (USA 1974 R.: Michael Winner dt.: Ein Mann sieht rot) fast eine Dekade, dessen Sequel Death Wish II (USA 1982 R.: Michael Winner dt.: Der Mann ohne Gnade - Death Wish 2) jedoch gerade mal ein Jahr zuvor kräftig an den Kinokassen abgeräumt hatte.
Wie Death Wish zeichnet auch Lustigs Vigilante einen von Bandenkriminalität zerfressenen Big Apple, in dem Zivilisten beginnen Jagd auf Straftäter zu machen. Ist Bronson in seinem Kampf noch allein, so spricht Vigilante bereits in der allerersten Szene noch vor dem Titel von einer kleinen Bürgermiliz, welche gemeinschaftlich trainiert und zuschlägt. Anders als in Death Wish lehnt es Eddie Marino, die Hauptfigur aus Vigilante, aus moralischen Gründen kategorisch ab, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen und wird erst zum Ende des Films doch noch gegen seine eigene Überzeugung zum brutalen Rächer. Hier ist Vigilante tatsächlich subtiler als Death Wish, dessen von Brian Garfield 1972 verfasste Romanvorlage seine Zentralfigur als immer soziopathischer werdenden Charakter darstellt, dessen Verhalten fast einem Serienmörder gleicht. Demgegenüber stellt Winners Filmadaption Kersey als heldenhaften Rächer der Geschändeten und Bedrohten dar, dessen Handeln zu bewundern sein soll.
Wenn in Lustigs Film hingegen die Bürgermiliz (deren Boss kein Geringerer als Fred Williamson - der "Hammer" persönlich - ist) einen schmächtigen Kleindealer gnadenlos über ein Abrissgelände hetzt, fragt man sich als Zuschauer, ob dieses Handeln tatsächlich nötig oder gar in irgendeiner Art und Weise gerechtfertigt ist. Zudem müsste man schon eine sehr zynische Weltanschauung besitzen, um zum Schluss von Vigilante so etwas wie ein Happy End erkennen zu können. Stattdessen zeigt der Film eine sich ständig weiterwindende Gewaltspirale, in der es keine Gewinner geben kann und in der Gewalt stets Gegengewalt erzeugen wird.


Fazit: Ein fieser Abstieg in die Niederungen der Selbstjustiz - schnell, zielstrebig, gnadenlos unterhaltsam und mit einem hoffentlich abschreckenden Ende.



Punktewertung: 8 von 10 Punkten

Sonntag, 5. Juli 2015

Das aufmerksame Auge des Betrachters

Eyewitness (USA: Sudden Terror)
UK 1970
R.: John Hough


Worum geht's?: Malta bei strahlendem Sonnenschein. Zusammen mit seiner Schwester Pippa (Susan George) sieht sich der ebenso aufgeweckte wie phantasiebegabte Knirps Ziggy (Mark Lester) in einer pulsierenden Menschenmenge einen Staatsempfang an. Um einen besseren Blick zu haben, begibt sich der Kleine in ein anliegendes Haus, nur um dort einem Attentäter in Polizeiuniform zu begegnen, der soeben dem Staatsgast eine Kugel ins Hirn gejagt hat und nun mit einem Helfershelfer die Jagd auf den Knirps eröffnet.
Von seiner Schwester getrennt, flüchtet Ziggy durch die Straßen, die beiden Verfolger stets auf den Fersen. Mithilfe des sympathischen Tom (Tony Bonner) gelingt es Pippa den Jungen auf einer Landstraße aufzugreifen und zurück zu seinem Großvater (Lionel Jeffries) in den heimischen Leuchtturm zu bringen.
Doch die Verfolger in Uniform geben nicht auf und schrecken auch nicht vor weiteren Morden zurück...


Wie fand ich's?: Augen, immer wieder Augen. In John Houghs vergessenem Langfilmdebüt Eyewitness wird man nicht nur zum titelgebenden Augenzeugen des Augenblicks eines Verbrechens, sondern auch zum Zeugen einer Vielzahl von in die Kamera blickenden Augen. Manche blicken in Furcht, anderen sieht man in der Nahaufnahme die Zwietracht an, die sich auf der Retina abzuzeichnen scheint.
Dabei beginnt alles so hell im gleißenden Sonnenlicht auf der schönen Insel Malta, wenngleich der Name der Insel im Film selbst nie genannt wird.
Ein Attentat findet am helllichten Tag statt, ein Kind allein kann den Täter in Polizeiuniform identifizieren und nur der feste Zusammenhalt seiner Familie kann zum Schluss die Übeltäter stoppen. Das erinnert irgendwo an Elemente aus Hitchcocks The Man Who Knew Too Much (USA 1956), ist aber in erster Linie eine weitere Adaption der klassischen Kurzgeschichte The Boy Cried Murder (später unter dem Titel Fire Escape wiederveröffentlicht), welche bereits 1949 von Ted Tetzlaff als The Window (USA 1949 dt.: Das unheimliche Fenster) und später von George P. Breakston unter dem ursprünglichen Titel der Short Story, The Boy Cried Murder (UK/BRD/YU 1966 dt.: Ein Junge schrie Mord), verfilmt worden war.
Weitere Parallelen gibt es zu Peter Weirs Witness (USA 1985 dt.: Der einzige Zeuge), in welchem ebenfalls ein Kind, hier Mitglied einer Gemeinde von Amischen, Zeuge eines Mordes durch Ordnungshüter wird.
Kommt Weirs Film fünfzehn Jahre nach Eyewitness ohne jegliches Comic relief daher, so lockerte Hough seine Handlung mit der Figur des exzentrischen Großvaters, brillant verkörpert von Lionel Jeffries, auf und schafft so einen interessanten Kontrast zum ansonsten todernsten Plot. Jeffries (* 1926; † 2010) war mir persönlich besonders durch seine Rolle als Kapitän in George Pollocks putzigem, letzten Teil seiner Miss-Marple-Trilogie Murder Ahoy (UK 1964 dt.: Mörder Ahoi!) im Kopf geblieben und er ist es, der mit seinem Schauspiel die meisten Szenen in Eyewitness deutlich dominiert. So spielt er als heimlicher Star des Films selbst die kumpelhaft-jugendlich wirkende Susan George locker an die Wand, während Tony Bonner mich irgendwie ständig an einen jungen Ray Lovelock erinnerte.
Zu der interessanten Besetzung gesellen sich tolle Regieeinfälle und ein superber Score, wobei ich auch das (atmosphärisch etwas unpassende) Titellied der legendären, britischen Progrockband Van der Graaf Generator hier nicht unerwähnt lassen möchte.
Alles in allem also ein feiner, sommerlicher Thriller für lauschige Fernsehabende am offenen Fenster - oder so.


Fazit: Ein hierzulande total untergegangener, wenig gesehener Thriller, welcher es verdient hätte, endlich wieder an die Sonne geholt zu werden.


Punktewertung: 8 von 10 Punkten

Freitag, 19. Juni 2015

Es riecht nach Katze im Staate Dänemark

Sette scialli di seta gialla (eng.: The Crimes of the Black Cat)
I 1972
R.: Sergio Pastore


Worum geht's?: Kopenhagen. Von seiner Freundin (Isabelle Marchall) gerade verlassen und im Restaurant frisch versetzt worden, muss der blinde Filmkomponist Peter (Anthony Steffen) ein sonderbares und beunruhuigendes Gespräch am Tisch hinter ihm mit anhören. Da er aufgrund lauter Musik und zahlreicher Nebengeräusche leider nur Bruchstücke aufschnappen kann, glaubt er zwar von einem verabredeten Verbrechen erfahren zu haben, kann aber weder genau auf die beteiligten Personen noch auf sonstige hilfreiche Details schließen.
Als er am nächsten Tag vom ungewöhnlichen Tod seiner Liebschaft erfährt, macht sich der selbst ernannte Mörderschreck mit seinem loyalen Faktotum Burton (Umberto Raho) auf die Suche nach dem Täter, der auch weiterhin seinen pausbackigen, rothaarigen Todesengel im weißen Cape (Giovanna Lenzi - die Ehefrau des Regisseurs) ausgeschickt, um ein Opfer nach dem anderen in der Modewelt der dänischen Hauptstadt zu fordern.


Wie fand ich's?: Als Genrefan besitzt man so etwas wie einen ganz eigenen Fahrplan, den man bei den anstehenden Sichtungen in seinem Lieblingsunterhaltungsfach anwendet. So hat man meist eine ideelle Liste, welche man - mehr oder weniger - Punkt für Punkt vom ersten Platz an abarbeiten möchte.
Der hier besprochene Sette scialli di seta gialla (dt.: Sieben Schals aus gelber Seide) stand auf meiner solchen, persönlichen Liste jahrelang weit unten, wird er doch häufig eher als Marginalie im Genre besprochen und wurde zudem hierzulande bislang nicht veröffentlicht.
Nach Ansicht des Films muss ich beide letztgenannten Punkte als äußerst ungerecht tadeln, da es sich bei Sergio Pastores Werk zwar um einen dreisten, aber für genreerfahrene Zuschauer recht unterhaltsamen Best-Of-Mix des Italo-Thrillers der vorangegangenen Jahre handelt.
So nimmt Pastore den blinden Helden aus Dario Argentos gerade in den Kinos gelaufenen Il gato a nove code (I/F/BRD 1971 dt.: Die neunschwänzige Katze) und wirft diesen ins Milieu der Mode und Mannequins, wie man es schon in Bavas stilbildenden Sei donne per l'assassino (I/F/MCO 1964 dt.: Blutige Seide) begutachten durfte. Hinzu kommen Morde durch ein seltsames Gift - s.h. den ebenfalls ein Jahr zuvor erschienenen La tarantola dal ventre nero (I/F 1971 R.: Paolo Cavara dt.: Der schwarze Leib der Tarantel), einen mit unheimlicher, flüsternder Stimme drohenden Killer der an Argentos meisterhaftes Debüt L'uccello dalle piume di cristallo (I 1970 dt.: Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe) erinnert und eine Meuchelei unter der Dusche, welche gar Hitchcocks legendärem Urvater des Slashers und des Giallo, Psycho (USA 1960), bluttriefend Hommage erweist.
Diese äußerst explizite Szene bildet den gorigen Höhepunkt des Streifens, welcher sich insgesamt sehr langsam in seiner Gewaltdarstellung steigert, um sich in den letzten zehn Minuten praktisch blutig in Richtung der Zuschauer zu erbrechen.
Diese Explosion der Härte trifft einen noch unvermittelter, setzt man zuvor inhaltlich eher auf eine amüsante Mörderhatz durch die Straßen Kopenhagens und auf ein ganzes Ensemble aus exzentrischen Individuen. Da ist der blinde Hobbyschnüffler mit treuem Diener, der windige Geschäftsmann (Giacomo Rossi-Stuart - der schon 1966 in Bavas Operazione Paura dabei war und zahlreiche Genrebeiträge mit seiner Anwesenheit beglückte), dessen Gattin (Sylva Koscina - war im selben Jahr noch in Di Leos La mala ordina und eins später in Bavas Lisa e il diavolo zu begutachten) und besagte, rothaarige Dame mit dem tödlichen Katzenkorb.
Dass man die Handlung im kühlen Dänemark angesiedelt hat, gibt dem Film in meinen Augen noch zusätzlichen Reiz, kann man doch den üblichen Schauplätzen in bella Italia oder dem Nebel von London (oder Italien, dass sich dreist als Groß-Britannien ausgibt) irgendwann mal überdrüssig werden.
Insgesamt reicht Pastores Destillat allerdings nicht an die absoluten Klassiker des Genres heran, doch gilt auch hier, dass gut geklaut manchmal besser als schlecht selbst erfunden ist.
Meines Erachtens nach wird es also Zeit, dass dieser Film ein ordentliches Release an den heimischen Gestaden erfährt - dies geht jetzt an Euch: Camera Obscura und FilmArt!


Fazit: Ein eher unterschätzter Giallo aus dessen früher Hochzeit oder vielmehr ein bunt zusammengeklautes Pasticcio aus allen lieb gewonnenen Klischees des Genres.


Punktewertung: 7,75 von 10 Punkten

Donnerstag, 4. Juni 2015

Auf der dunklen Seite des Monds verscharrt

Nothing Lasts Forever (Alles ist vergänglich)
USA 1984
R.: Tom Schiller


Worum geht's?: Vom verzweifelten Wunsch ein Künstler zu werden getrieben, kehrt der junge Adam Beckett (Zach Galligan) von einem Europa-Aufenthalt in den Big Apple zurück, nur um erschreckt feststellen zu müssen, dass nach einer Katastrophe nun die Hafenbehörde über die Stadt herrscht und strenge, bizarre Einreiseverordnungen erlassen hat.
So muss Adam einen mehrere Sekunden langen Test im Schnellzeichnen mit einem kecken Aktmodel absolvieren, bei dem er prompt scheitert und daraufhin sein weiteres Berufsleben als uniformierte Verkehrsaufsicht in einem kleinen Häuschen am Eingang des Holland Tunnels unter der Aufsicht eines pedantischen Chefs (Dan Aykroyd) verbringen.
Zu seiner Verblüffung findet Adam in den folgenden Tagen nicht nur heraus, dass das fesche Aktmodel Mara (Appolonia van Ravenstein) vom Eignungstest eine seiner Kolleginnen ist, sondern dass Obdachlose weltweit die Geschicke der Menschen leiten und man wahre Liebe nur auf dem Mond findet...


Wie fand ich's?: Mitte der 80er Jahre sah es finanziell recht unsicher aus im Hause Metro-Goldwyn-Mayer. Die epochale Pleite von Michael Ciminos unverstandenen Meisterwerks Heaven's Gate (USA 1980) hatte Geldnot und Angst im Herzen des Unternehmens hinterlassen. So verwundert es wenig, dass Nothing Lasts Forever nach einigen desolaten Testscreenings erst mal ins Regal gestellt wurde - und dort bis heute beinah in Vergessenheit geriet.
Da Regisseur Tom Schiller zudem immer wieder seine warmherzige, sozialkritische Komödie mit zahlreichem, historischen Stock Footage anreicherte, steht weiterhin die starke Vermutung im Raum, dass Rechtsquerelen aufgrund von ungeklärten Urheberrechtsansprüchen, die Auswertung des Films verhindern.
Woran es auch immer liegen mag, Warner Bros. (bei welchen heute die Rechte liegen), weigert sich auch im Jahr 2015 weiterhin beharrlich Nothing Lasts Forever außerhalb einiger seltener internationaler TV-Ausstrahlungen (laut OFDb 2001 auf VOX, dann 2007 im Pay-TV bei Turner Classic Movies, in letzter Zeit in den USA wiederholt bei TCM Underground) auch auf DVD oder gar Blu Ray verfügbar zu machen.
Dabei wartet Schillers bislang einziger Kinofilm neben einer, für ein Mainstreampublikum vermutlich tatsächlich zu bizarren, ungewöhnlichen Story, auch mit namhaften Darstellern und einer famosen Optik auf.
Zach Galligan (*1964) war 1984 durch Joe Dantes Megaerfolg Gremlins (USA 1984) zu kurzem, aber wie sich heute zeigt auch schnell vergänglichen, Starruhm gelangt. Daneben unterschrieben auch Bill Murray und Dan Aykroyd für weitere Rollen in Schillers Film, was die Besetzung zusätzlich aufwertet und für einige gut gefüllte Kinosäle gesorgt hätte.
Schiller hatte jahrelang für die legendäre, amerikanische Comedyshow Saturday Night Live gearbeitet, wo er zahlreiche kurzfilmhafte Sketche schuf, welche heute bei Fans Kultcharakter besitzen und die in einem Segment der Show namens Schiller's Reel ausgestrahlt wurden. So verwundert es nicht, dass auch John Belushi, ebenfalls durch SNL zu erster Berühmtheit erlangt, eine Rolle in Nothing Lasts Forever bekommen sollte, Belushi aber an den Folgen seines Drogenkonsums 1982 bereits im Alter von 33 Jahren tragischerweise verstarb.
Nothing Lasts Forever bedient sich einer an Filme der zwanziger, dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre erinnernde Optik, welche zum einen durch die bis auf zwei Szenen konsequente Gestaltung in Schwarz-Weiß, auch durch die Kostüme und das Setdesign zum Ausdruck gebracht wird. Dies erinnert an die Filme eines Guy Maddin, wie Tales from the Gimli Hospital (CAN 1988) oder an Lars von Triers Europa (D/DK/F/S/CH 1991), die auch Schillers Hang zum Absurden teilen.
Nothing Lasts Forever führt den Zuschauer durch eine nostalgische Alternativwelt: Von der brummenden Großstadt zu einer unerwarteten und im wahrsten Sinne des Wortes bunten Unterwelt, schließlich direkt zur Shoppingfalle auf dem Mond. Die Fahrt dorthin findet in einem großen Reisebus statt, dessen Geräumigkeit beinah an ein Kreuzfahrtschiff oder die TARDIS eines Doctor Who erinnert.
Dass Schillers Film gen Ende auch noch eine romantische Gesangsszene auffährt, kann leider allerdings nicht über den Fakt hinwegtäuschen, dass Nothing Lasts Forever insgesamt etwas unausgewogen wirkt und besonders das Finale geradezu überstürzt und kurz angebunden daher kommt.
Trotzdem kann mein Plädoyer schlussendlich natürlich nur das endgültige Release dieses Werkes fordern, natürlich als formvollendete Blu Ray mit Audiokommentar des Regisseurs, einer räumlichen, scharfen Bildauflösung, Featurette über die Entstehungsgeschichte und Interviews mit Galligan, Murray und Aykroyd.
Man wird ja wohl noch träumen dürfen...


Fazit: Eine groteske, romantische Großstadtkomödie für Mondsüchtige.


Punktewertung: 8 von 10 Punkten

Donnerstag, 28. Mai 2015

Ein ängstliches Rascheln im Unterholz

Welp (Camp Evil)
B 2014
R.: Jonas Govaerts


Worum geht's?: Eine Gruppe junger, belgischer Pfadfinder begibt sich in ein Waldgebiet, um dort ein Feriencamp zu errichten. Angeleitet werden die Jungs von zwei Gruppenführern (Stef Aerts und Titus De Voodgt), die um die Gunst der jungen Köchin Jasmijn (Evelien Bosmans) wetteifern.
"Unterhalten" werden sollen die Knaben von einer frei erfundenen Legende über einen im Buschwerk lauernden Werwolfjungen, was dem stets etwas eigenbrötlerisch wirkenden Sam (Maurice Luijten) zusätzlich den Anstrich eines wirren Außenseiters gibt, als dieser behauptet, eben jenem Wesen im Gehölz begegnet zu sein und dessen Unterschlupf in einer Baumkrone gefunden zu haben.
Von den anderen Wölflingen (so nennt man Pfadfinder im Alter von 6 - 11 Jahren) verspottet und von den Heranwachsenden misstrauisch beäugt, weiß Sam zunächst nur allein von dem animalisch wirkenden Knaben mit der seltsamen Gesichtsmaske, der jede Bewegung im Pfadfinderlager überwacht.
Dabei sind Sams Warnungen erste Indizien für eine beinah unsichtbare Gefahr im idyllischen Wald, die schon bald ein Opfer nach dem anderen fordert und auch vor Minderjährigen nicht haltmacht.


Wie fand ich's?: Finanziell unterstützt durch das mittlerweile schwer in Mode gekommene Phänomen Crowdfunding, beweist Jonas Govaerts, dass eine gute Idee schnell reihenweise Unterstützer finden kann und ein neuer Kopf frischen Wind in ein etwas ausgelutschtes Genre bringen kann.
Begnügte sich die Gattung des Slasher-Films in den den letzten Jahren (wenn nicht gar Jahrzehnten) größtenteils damit, erfolgreiche Serien totzutreten, zu rebooten oder zu remaken, so bestätigten nur wenige kreative Ausnahmen die Regel und erschufen wiederum in Folge neue, mithin langlebige Franchises.
Ob auch Govaerts sehenswertes Regiedebüt diesen Weg einschlagen wird, bleibt abzuwarten, das Potenzial für weitere Trips in den dunklen Wald ist in jedem Fall gegeben, mit der Gefahr natürlich, dass die unheimlichen Bedrohungen des belgischen Forst mehr und mehr durchleuchtet und damit leider wohl auch gänzlich entmystifiziert würden.
Inhaltlich lässt sich der Film allein durch sein Setting in der Nähe des (meist in den Vereinigten Staaten lokalisiertem) Backwood Slasher Genres verorten, manche sehen Bezüge zum Friday the 13th Franchise, woran wohl auch der (wieder einmal äußerst dümmliche) deutsche Titel gemahnen möchte.
Vollkommen neu ist das was Welp dem Zuschauer bietet wahrlich nicht, selbst das zentrale Element des minderjährigen Jungen im Griff grausamer Bestien findet man ebenfalls in Filmen wie Bereavement (USA 2010 R.: Stevan Mena) wieder.
Was Govaerts Film jedoch von ähnlichen Genrebeiträgen deutlich abhebt, ist das hohe Gefühl für Atmosphäre, das Schaffen eindrucksvoller Bilder und die faszinierende, neue Figur des tierhaften Jungen mit der unheimlichen Baumrindenmaske. Die sich kontinuierlich anziehende Spannungsschraube steigert den eher langsam beginnenden Film außerdem immerweiter zu einem deutlichen Sympathisanten mit dem klassischen Terrorkino, wie es Tobe Hooper und Wes Craven in ihren Anfangszeiten geschaffen haben. Ein hinzukommender, zunächst seltener, dafür umso effektiverer, Einsatz von Splattereffekten steht dem Film ebenso gut zu Gesicht, wie seine Darsteller, die ihre Sache ebenfalls überaus gut machen und sich fast alle, ebenso wie der Regisseur, noch am Anfang ihrer Karriere befinden.
Es bleibt abzuwarten, ob Govaerts mit seinem nächsten Projekt seinen bemerkenswerten Einstand noch übertreffen kann, oder er schon sein ganzes Pulver in Welp verschossen hat. Ich bleibe Optimist und hoffe auf Ersteres.


Fazit: Ein eindrucksvolles Langfilmdebüt, das Großartiges für die Zukunft verspricht und zugleich einer der besten Slasher der letzten Jahre.


Punktewertung: 7,5 von 10 Punkten

Freitag, 15. Mai 2015

Alle Güte wird chirurgisch entfernt

Borgman
NL/B/DK 2013
R.: Alex van Warmerdam


Worum geht's?: Drei Männer werden von einem bewaffneten Lynchmob aus ihren unterirdischen Verstecken in einem Wald vertrieben. Ihr Anführer (Jan Bivoet) taucht wenig später an der Haustür einer augenscheinlich gut situierten Familie auf und bittet um ein Bad. Vom eifersüchtigen Familienvater (Jeroen Perceval) zuvor noch zusammengeschlagen worden, lässt ihn dessen Gattin (Hadewych Minis) nun reumütig als geheimen Gast ins Haus. Sie ahnt nicht, welche Ausgeburt der Hölle sie da in ihre luxuriöse Behausung holt...


Wie fand ich's?: Das Motiv des Unheil bringenden Landstreichers ist kein neues - man denke nur an Alice Coopers Cameo in John Carpenters Prince of Darkness (USA 1987 dt.: Die Fürsten der Dunkelheit) oder die Titelfigur aus der meist sträflich unterbewerteten Horrorsatire The Vagrant (USA/F 1992 R.: Chris Walas dt.: Scary - Horrortrip in den Wahnsinn), welche hierzulande seit Jahren einer angemessenen Veröffentlichung harrt.
Der Niederländer Alex van Warmerdam (*14.08.1952) tut sich seit seinem Regiedebüt Abel (NL 1986) als Schöpfer absurder Grotesken hervor, in denen sowohl er wie auch seine Ehefrau Annet Malherbe zumeist größere Rollen besetzen. So auch in Borgman, einem fiesen, surrealen Albtraum, der auf internationalen Filmfestivals zahlreiche Preise abräumte, in Cannes nominiert war und in den USA für den Oscar vorgeschlagen wurde.
Borgman verbindet das in den letzten Jahren so stark abgeleierte Genre des Home-Invasion-Films mit sozial- und familienkritischen Tönen, surrealen Bildern und religiös interpretierbaren Motiven, womit er auch stark an Pasolinis Teorema (I 1968 dt.: Teorema - Geometrie der Liebe) erinnert.
Van Warmerdam bietet dem Zuschauer überhaupt viel Raum für eigene Interpretationen - was hat es mit den plötzlich auftauchenden Windhunden und den Narben auf den Rücken mancher Charaktere auf sich? In den Deleted Scenes der deutschen Blu Ray findet man zwei weitere Szenen, die den Film verstärkt in den Bereich des übersinnlichen Horrorfilms gestoßen hätten, welche allerdings als zusätzliche Beigabe mehr als interessant sind.
Insgesamt hat man es hier mit einem wunderbaren Beispiel für die These zu tun, dass gutes Terrorkino auch ebenso subtil wie kunstvoll und ohne unnötig explizite Gewaltexzesse daherkommen kann.
Die Darsteller sind allesamt als großartig zu bezeichnen, vorneweg Jan Bijvoet, der bislang nur wenig außerhalb des belgischen Fernsehens zu sehen war und der Titelfigur ein mysteriöses Flair verleiht. Der Regisseur selbst tritt in einer größeren Nebenrolle auf, seine Gattin darf ebenfalls einer ebenso faszinierender wie Furcht einflößender Figur ein Gesicht verleihen, welches dem Publikum in Erinnerung bleiben wird.
Am 28. Mai erscheint van Warmerdams neustes Werk Schneider vs. Bax (NL 2015) in den niederländischen Kinos. Plakat und Inhaltsangaben verheißen erneut Großes, wenngleich der Trailer (bewusst) unspektakulär daherkommt. Wir werden sehen...


Fazit: Ein verstörender, düsterer Trip zu den Dämonen, welche unter uns hausen. Ein famoser Horrorthriller aus dem Land der Windmühlen und Grachten - ohne diese freilich je zu zeigen.


Punktewertung: 9 von 10 Punkten