Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Freitag, 31. Juli 2015

All that Jess... oder: die Franco-Variationen

Vampyros Lesbos
BRD/E 1971
R.: Jesús Franco


Worum geht's?: Istanbul zu Beginn der siebziger Jahre.
Bereits bei ihrem reinen Anblick in einer frivolen Show auf der Bühne eines schummerigen Klubs verfällt die sensible Rechtsanwältin Linda (Ewa Strömberg) einer jungen Schönheit (Soledad Miranda).
Anscheinend kein völliger Zufall, trifft Linda doch die zarte Dame schon wenig später als Klientin in deren Landhaus wieder, wo sich diese als Gräfin Carody vorstellt, Erbin des Vermögens keines Geringeren, als des Grafen Dracula (von dem freilich die etwas naive Linda nie etwas gehört hat).
Immer tiefer gerät die Juristin in den Sog der unheimlichen Adeligen, deren stummer Diener Morpho (José Martinez Blanco), der einzige Mann ist, den die tödliche Venus in ihrer Nähe duldet und der Ausschau hält nach Störenfrieden, wie sie zum Beispiel in den Gestalten von Lindas Liebsten (Andrea Montchal) oder des sonderbaren Leiters mit einem Faible für Vampirismus eines benachbarten Sanatoriums namens Dr. Seward (Dennis Price) nahen.
Oder ist Linda am Ende doch nur eine sexuell frustrierte Frau, wie es Lindas quacksalbernder Analytiker Dr. Steiner (Paul Muller) behauptet, der während der gemeinsamen Therapiestunden gelangweilt Strichmännchen auf seinen Block kritzelt?


Wie fand ich's?: In einer amerikanischen Rezension zum ebenfalls sehr schönen Franco-Werk Paroxismus (UK/BRD/I 1969) habe ich unlängst einen wunderbaren Vergleich gelesen, den ich hier kurzerhand klauen und um eigene Gedanken erweitern möchte. So meint Scott Ashlin aka. El Santo auf seiner Webseite 1000 Misspent Hours and Counting, dass sich Francos Liebe zum Jazz auch auf seine Art des Filmemachens niederschlug. Franco variierte Ashlins Meinung nach größtenteils immer nur die gleichen Themen und Standards, die mitunter längst Traditionals waren (man denke an Dracula, Frankenstein, Mabuse oder Fu Manchu) und warf seine immer gleichen Figuren namens Linda, Lorna, Irina oder Morpho mit in den Mix. Nicht nur finde ich persönlich dieses Bild mit Blick auf Francos riesiges Gesamtwerk ungemein passend, er lässt sich auch wunderbar auf den hier besprochenen Vampyros Lesbos anwenden, der nicht nur mit einer Linda und einem Morpho, sondern auch mit einem großartigen Score aufwartet.
Schon in dem oben bereits erwähnten Paroxismus spielte Franco uns das Lied von dem, einer anderen, unheimlichen und todbringenden Person verfallenen Liebhaber, der durch ein traumartiges Istanbul (und dort auch Rio) wandelt und am Ende an seinem eigenen Dasein und seiner Realität zweifeln muss.
In Vampyros Lesbos erweiterte Franco das Grundmotiv um den bekanntesten Horrorfilmstandard überhaupt: Bram Stokers Figur des Grafen Draculas oder noch genauer dessen (bislang doch eher unbekannten) lesbischer Erbin.
Diese wird von Francos damaliger Muse Soledad Miranda (hier unter ihrem Pseudonym Susann Korda firmierend) mit vollem Körpereinsatz gegeben, welche nicht nur mit Franco im gleichen Jahr 1970 noch mehrere weitere Filme fertigstellte, sondern auch nach einem tragischen Autounfall im selben Jahr nur siebenundzwanzigjährig verstarb.
Neben ihr spielt die Schwedin Ewa Strömberg, die nach einigen Filmauftritten in ihrer Heimat in drei späten Edgar-Wallace-Reissern der Rialto Film unter der Leitung von Alfred Vohrer (vgl. Perrak) hierzulande Fuß fasste, bevor sie ab Der Teufel kam aus Akasava (BRD/E 1971) für fünf Filme zum Ensemble Jess Francos gehörte, die dieser maßgeblich für Artur "Atze" Brauners CCC-Film oder die ebenfalls deutsche Tele-Cine Film und Fernsehproduktion drehte. Die letzte dieser fünf praktisch im selben Jahr entstandenen deutsch/spanischen Coproduktionen in der die Strömberg mitwirkte war der unglaubliche Dr. M schlägt zu (BRD/E 1972), ein Film, den man schon allein wegen seiner offenbar noch vom letzten Kinderkarneval übrig gebliebenen Kostüme sehen sollte.
Insgesamt ist Vampyros Lesbos einer der deutlich besten Filme dieser (mittleren) Phase im Gesamtwerk Francos - wenn man so will, fügen sich alle Elemente recht harmonisch zu einer gelungenen, verträumt erotischen Gesamtmelodie zusammen. Dass Franco handwerklich Besseres gemacht hat, wurde in diesem Blog bereits bezeugt (s.h. Rififí en la Ciudad), er gern bloßes Mittelmaß ablieferte auch (s.h. Rote Lippen, Sadisterotica) dass er jedoch gern auch mal daneben griff allerdings ebenfalls (vgl. Die sieben Männer der Sumuru).


Fazit: Schwül, verträumter Erotikhorror für heiße Sommerabende. Auf ins Istanbul der 70er, wo die Vampire sexy und alle Hoteldiener gefährliche Psychopathen waren.


Punktewertung: 7,75 von 10 Punkten

Samstag, 18. Juli 2015

Lustig war's!

Vigilante (Streetfighters)
USA 1983
R.: William Lustig


Worum geht's?: New York City in den frühen Achtzigern. Die Stadt ist ein Sumpf aus Verbrechen, Brutalität und Korruption. Auch die Familie des zurückhaltenden Malochers Eddie Marino (Robert Foster) wird am helllichten Tag Opfer eines kaltblütigen Gewaltverbrechens.
Eine Bande verfolgt die junge Frau Eddies (Rutanya Alda) und ihr kleines Kind bis zu deren Wohnung und überfällt die beiden wehrlosen Personen wenig später mit grausamen Folgen - das Kind stirbt durch einen Schuss aus einer Schrotflinte, die Mutter ringt mit schwersten Stichverletzungen in einem Krankenhaus mit dem Tode.
Am Tage der Gerichtsverhandlung wird Eddie zudem Opfer eines schmierigen Winkeladvokaten (Joe Spinell) und eines korrupten Richters (Vincent Beck), der, nachdem er den angeklagten Anführer der sadistischen Mörderbande (Willie Colón) zu nur zwei Jahren auf Bewährung verurteilt hat, vom nun vollends aufgebrachten Eddie mit dem Leben bedroht wird, sodass dieser anstelle des Kriminellen postwendend hinter schwedischen Gardinen landet.
Dort drohen dem Unschuldigen nicht weniger monströse Gefahren als auf den Straßen des Big Apples, auf denen Eddies wuterfüllter Arbeitskollege Nick (Fred Williamson) mit seiner selbst geschaffenen Bürgermiliz auf eigene Faust unbarmherzig nach den Urhebern der Verbrechen sucht.


Wie fand ich's?: Mit denen seines deutschen Namenvetters Peter haben die Werke des amerikanischen Filmschaffenden William Lustig wahrlich nichts gemein. Stapfen bei dem einen fröhliche Latzhosenträger über Wiesen voller Löwenzahn, so regiert beim anderen Gewalt und Düsternis. Filme wie Maniac (USA 1980), Relentless (USA 1989 dt.: Der Sunset Killer), Maniac Cop (USA 1988) und dessen erstes Sequel Maniac Cop 2 (USA 1990) gehören heute zu Recht zu den Kultklassikern des US-Exploitationkinos und zeugen vom kurzen Lauf, den der 1955 in der Bronx geborene Lustig vom Beginn bis zum Ende der 80er Jahre als Regisseur hatte.
Zuvor hatte er unter dem Pseudonym Billy Bagg Ende der 70er zwei Hardcorefilme (The Violation of Claudia von 1977 und Hot Honey von 1978) mit der New Yorker Pornolegende Jamie Gillis (* 1943; † 2010) gedreht, heute ist er der Kopf des Medienlabels Blue Underground, das nicht nur seine eigenen Filme wiederveröffentlicht, sondern sich auch ständig weiterer Klassiker des internationalen Genrekinos respektvoll annimmt.
Mit Vigilante begab sich Lustig 1983 in das Reich des urbanen Rachethrillers, dessen übermächtiger, wenngleich umstrittener, Genreprimus Death Wish (USA 1974 R.: Michael Winner dt.: Ein Mann sieht rot) fast eine Dekade, dessen Sequel Death Wish II (USA 1982 R.: Michael Winner dt.: Der Mann ohne Gnade - Death Wish 2) jedoch gerade mal ein Jahr zuvor kräftig an den Kinokassen abgeräumt hatte.
Wie Death Wish zeichnet auch Lustigs Vigilante einen von Bandenkriminalität zerfressenen Big Apple, in dem Zivilisten beginnen Jagd auf Straftäter zu machen. Ist Bronson in seinem Kampf noch allein, so spricht Vigilante bereits in der allerersten Szene noch vor dem Titel von einer kleinen Bürgermiliz, welche gemeinschaftlich trainiert und zuschlägt. Anders als in Death Wish lehnt es Eddie Marino, die Hauptfigur aus Vigilante, aus moralischen Gründen kategorisch ab, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen und wird erst zum Ende des Films doch noch gegen seine eigene Überzeugung zum brutalen Rächer. Hier ist Vigilante tatsächlich subtiler als Death Wish, dessen von Brian Garfield 1972 verfasste Romanvorlage seine Zentralfigur als immer soziopathischer werdenden Charakter darstellt, dessen Verhalten fast einem Serienmörder gleicht. Demgegenüber stellt Winners Filmadaption Kersey als heldenhaften Rächer der Geschändeten und Bedrohten dar, dessen Handeln zu bewundern sein soll.
Wenn in Lustigs Film hingegen die Bürgermiliz (deren Boss kein Geringerer als Fred Williamson - der "Hammer" persönlich - ist) einen schmächtigen Kleindealer gnadenlos über ein Abrissgelände hetzt, fragt man sich als Zuschauer, ob dieses Handeln tatsächlich nötig oder gar in irgendeiner Art und Weise gerechtfertigt ist. Zudem müsste man schon eine sehr zynische Weltanschauung besitzen, um zum Schluss von Vigilante so etwas wie ein Happy End erkennen zu können. Stattdessen zeigt der Film eine sich ständig weiterwindende Gewaltspirale, in der es keine Gewinner geben kann und in der Gewalt stets Gegengewalt erzeugen wird.


Fazit: Ein fieser Abstieg in die Niederungen der Selbstjustiz - schnell, zielstrebig, gnadenlos unterhaltsam und mit einem hoffentlich abschreckenden Ende.



Punktewertung: 8 von 10 Punkten

Sonntag, 5. Juli 2015

Das aufmerksame Auge des Betrachters

Eyewitness (USA: Sudden Terror)
UK 1970
R.: John Hough


Worum geht's?: Malta bei strahlendem Sonnenschein. Zusammen mit seiner Schwester Pippa (Susan George) sieht sich der ebenso aufgeweckte wie phantasiebegabte Knirps Ziggy (Mark Lester) in einer pulsierenden Menschenmenge einen Staatsempfang an. Um einen besseren Blick zu haben, begibt sich der Kleine in ein anliegendes Haus, nur um dort einem Attentäter in Polizeiuniform zu begegnen, der soeben dem Staatsgast eine Kugel ins Hirn gejagt hat und nun mit einem Helfershelfer die Jagd auf den Knirps eröffnet.
Von seiner Schwester getrennt, flüchtet Ziggy durch die Straßen, die beiden Verfolger stets auf den Fersen. Mithilfe des sympathischen Tom (Tony Bonner) gelingt es Pippa den Jungen auf einer Landstraße aufzugreifen und zurück zu seinem Großvater (Lionel Jeffries) in den heimischen Leuchtturm zu bringen.
Doch die Verfolger in Uniform geben nicht auf und schrecken auch nicht vor weiteren Morden zurück...


Wie fand ich's?: Augen, immer wieder Augen. In John Houghs vergessenem Langfilmdebüt Eyewitness wird man nicht nur zum titelgebenden Augenzeugen des Augenblicks eines Verbrechens, sondern auch zum Zeugen einer Vielzahl von in die Kamera blickenden Augen. Manche blicken in Furcht, anderen sieht man in der Nahaufnahme die Zwietracht an, die sich auf der Retina abzuzeichnen scheint.
Dabei beginnt alles so hell im gleißenden Sonnenlicht auf der schönen Insel Malta, wenngleich der Name der Insel im Film selbst nie genannt wird.
Ein Attentat findet am helllichten Tag statt, ein Kind allein kann den Täter in Polizeiuniform identifizieren und nur der feste Zusammenhalt seiner Familie kann zum Schluss die Übeltäter stoppen. Das erinnert irgendwo an Elemente aus Hitchcocks The Man Who Knew Too Much (USA 1956), ist aber in erster Linie eine weitere Adaption der klassischen Kurzgeschichte The Boy Cried Murder (später unter dem Titel Fire Escape wiederveröffentlicht), welche bereits 1949 von Ted Tetzlaff als The Window (USA 1949 dt.: Das unheimliche Fenster) und später von George P. Breakston unter dem ursprünglichen Titel der Short Story, The Boy Cried Murder (UK/BRD/YU 1966 dt.: Ein Junge schrie Mord), verfilmt worden war.
Weitere Parallelen gibt es zu Peter Weirs Witness (USA 1985 dt.: Der einzige Zeuge), in welchem ebenfalls ein Kind, hier Mitglied einer Gemeinde von Amischen, Zeuge eines Mordes durch Ordnungshüter wird.
Kommt Weirs Film fünfzehn Jahre nach Eyewitness ohne jegliches Comic relief daher, so lockerte Hough seine Handlung mit der Figur des exzentrischen Großvaters, brillant verkörpert von Lionel Jeffries, auf und schafft so einen interessanten Kontrast zum ansonsten todernsten Plot. Jeffries (* 1926; † 2010) war mir persönlich besonders durch seine Rolle als Kapitän in George Pollocks putzigem, letzten Teil seiner Miss-Marple-Trilogie Murder Ahoy (UK 1964 dt.: Mörder Ahoi!) im Kopf geblieben und er ist es, der mit seinem Schauspiel die meisten Szenen in Eyewitness deutlich dominiert. So spielt er als heimlicher Star des Films selbst die kumpelhaft-jugendlich wirkende Susan George locker an die Wand, während Tony Bonner mich irgendwie ständig an einen jungen Ray Lovelock erinnerte.
Zu der interessanten Besetzung gesellen sich tolle Regieeinfälle und ein superber Score, wobei ich auch das (atmosphärisch etwas unpassende) Titellied der legendären, britischen Progrockband Van der Graaf Generator hier nicht unerwähnt lassen möchte.
Alles in allem also ein feiner, sommerlicher Thriller für lauschige Fernsehabende am offenen Fenster - oder so.


Fazit: Ein hierzulande total untergegangener, wenig gesehener Thriller, welcher es verdient hätte, endlich wieder an die Sonne geholt zu werden.


Punktewertung: 8 von 10 Punkten