Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Sonntag, 30. August 2015

Die Rückkehr der Klassiker #1: Dunkles Haus in stürmischer Nacht

The Cat And The Canary (Spuk im Schloß) 
USA 1927
R.: Paul Leni


Worum geht's?: Exakt um Mitternacht will der ältliche Notar Roger Crosby (Tully Marshall) im alten Herrenhaus der Familie West das Testament des genau vor zwanzig Jahren verstorbenen Patriarchen Cyrus West verlesen, wozu sich nach und nach die geldgierige Verwandtschaft in dem unheimlichen Gemäuer in merklicher Vorfreude einfindet. Diese hatte für den alten Exzentriker Cyrus zeit seines Lebens größtenteils nur Spott über und hielt den Mann offensichtlich für verrückt, allerdings würden sie nach dessen Ableben nun doch nur allzu gern in den Besitz seines Vermögens und der legendären Westdiamanten gelangen, welche Teil des beträchtlichen Vermächtnis sein sollen.
Überraschenderweise vererbt Cyrus alles der jungen Annabelle (Laura La Plante), welche als Letzte zu der illustren Runde gestoßen war und wohl kaum mit dem plötzlichen Segen gerechnet hatte, ganz im Gegensatz zu den anderen enttäuschten Möchtegernerben. Allerdings verlangt der Wille des alten Herrn, dass die Erbin durch einen sachverständigen Doktor im Nachhinein als zurechnungsfähig eingestuft wird; sollte dies nicht der Fall sein, fällt das gesamte Erbe doch noch einer zweiten Person zu, welche in einem separat versiegelten Umschlag genannt wird, den der Notar erst bei Eintritt des Ausnahmefalls öffnen darf.
Nun sitzt die junge Annabelle wie ein Vogel im goldenen Käfig - misstrauisch beäugt von den geldgierigen Anverwandten, die sie wie gefräßige Katzen umzingeln. 
Tatsächlich überschlagen sich schon bald die Ereignisse. Ein Irrenhauswärter auf der Suche nach einem mörderischen Verrückten, der sich für eine Katze halten soll, betritt die Szenerie und versetzt die Gemeinschaft vor dem geplanten Zubettgehen in Angst und Schrecken. Direkt darauf wird Rechtsanwalt Crosby von einer Person mit einer Raubtierklaue anstelle der Hand hinter dem Rücken Annabelles in einen Geheimgang gezogen, just in dem Moment, als der Notar der jungen Dame unter vier Augen die Identität der Person nennen wollte, an welche das Erbe fällt, sollte Annabelle bei Eintreffen des Arztes als verrückt erklärt werden.
Eine kurze Suche bleibt ergebnislos und man zieht sich auf sein zugeteiltes Zimmer zurück, wo Annabelle aufgrund eines Briefes von Cyrus West in einem versteckten Fach ein kostbares Halsband mit den sagenhaften Westdiamanten findet, welches allerdings eine aus der Wand kommende Krallenhand vom Hals der Schlafenden reißt. Natürlich glaubt man das Geschehene der nun panischen Annabelle nicht so recht, doch findet die Erbgemeinschaft schließlich den hinter einer falschen Wandtäfelung versteckten Leichnam des Notars.
Ein erster Versuch die Polizei zu informieren scheitert an gekappten Telefondrähten, Tante Susan (Flora Finch) besteigt einen vorbeikommenden Pferdekarren, um mit einem Milchmann Hilfe zu holen, Dr. Ira Lazar (Lucien Littlefield) trifft ein, um die nervöse Annabelle zu untersuchen, und der liebenswerte Tollpatsch Paul Jones (Creighton Hale) begegnet im Keller dem katzenähnlichen Bösewicht, den er zusammen mit der nun endlich eintreffenden Polizei zur Strecke bringt, und so eine teuflische Verschwörung aufdeckt.


Wie fand ich's?: Der deutsche Paul Leni wurde von Universal-Chef Carl Laemmle Mitte der 20er Jahre in die USA geholt, nachdem Leni bereits zuvor in Deutschland erfolgreich als Filmausstatter, -architekt, Regisseur und Kunstmaler tätig war. 
Dem deutschen Filmexpressionismus stark zugeneigt, hatte der Jude Leni im Weimarer Kino bereits mit den beiden Wiener Produzenten und Filmemachern Richard Oswald (eigentlich: Richard W. Ornstein) und Joe May (eigtl. Julius Otto Mandl, bzw. Joseph Otto Mandl, bzw. Joseph Mandl - da sind sich die Quellen heute leider nicht mehr einig...) zusammengearbeitet, bevor er sich in Hollywood neuen Filmen zuwandte. Der 1924 noch in Deutschland realisierte Episodenfilm Das Wachsfigurenkabinett, welcher drei Horrorgeschichten in einer auf einem Rummelplatz spielenden Rahmenhandlung um einen jungen Schriftsteller einfasste, war Universal Beweis genug, dass Leni das geeignete Rüstzeug für eine erfolgreiche Filmadaption des zur gleichen Zeit entstandenen Theaterstücks The Cat and The Canary von John Willard mitbrachte. Und wenn man sich nun bald 80 Jahre nach seiner Entstehung Lenis Film ansieht, so stellt man fest, dass The Cat And The Canary weit weniger angestaubt wirkt als ähnliche zeitgenössische Werke.
Ein Faktor seiner Qualität ist unverkennbar Lenis künstlerisches Können in fast allen filmischen Disziplinen. Von den fantastisch in Szene gesetzten, spinnwebverhangenen Kulissen Charles D. Halls, über innovative Kameratricks wie die assoziative Überblendung am Anfang des Films, in der das Herrenhaus in dem der alte Cyrus West sitzt, erst einer Ansammlung von hochaufragenden Medizinflaschen und dann mehreren fauchenden schwarzen Katzen weicht, hin zu animierten Zwischentexten, welche eine zusätzlich unterstrichene Darstellung von panischen Ausrufen oder ängstlichem Flüstern auch in einem Stummfilm möglich machten. 
Der weitere Faktor, der den Film so frisch erscheinen lässt, ist die temporeiche Inszenierung Lenis, der in die relativ kurze Laufzeit von ca. 80 Minuten (dies betrifft die restaurierte Fassung von 2004, eine mir ebenfalls vorliegende US-DVD läuft zähere 110 Minuten) alles hineinpackte, was heute mithin zum Allgemeingut des Haunted-House-Thrillers gehört: lange düstere Korridore, knarrende Geheimtüren, versteckte Schätze, mörderische Psychopathen. Aber auch der Humor kommt in Lenis Film nicht zu kurz. So erinnert die von Paul Jones verkörperte Figur des trotteligen Creighton Hale, der im Laufe des Films vom Tolpatsch zum Helden mutiert, nicht nur auf optischer Ebene an Harold Lloyd, welcher in seinen Komödien auch oft eben jene Wandlung „from zero to hero“ vollzieht.
Leni verstarb bereits 1929 im Alter von 44 Jahren an den Folgen einer Blutvergiftung. Es bleibt leider nur zu vermuten welche großen weiteren Klassiker dieses Allround-Genie der (Film-)Welt geschenkt hätte. Sein Hollywooddebüt hinterließ jedenfalls solch großen Eindruck, dass bis zum heutigen Tag eine ansehnliche Anzahl von Remakes und Rip-Offs über die Leinwände der Lichtspielhäuser hereinbrach. Da wäre zunächst The Cat Creeps (USA 1930 R.: Rupert Julian und John Willard) zu nennen, eine Tonfilmvariante des gleichen Theaterstücks von der es auch (wie auch im Falle von Tod Brownings Dracula) eine spanisch-sprachige Version namens La Volundat Del Muerto gab, leider gelten jedoch beide Filme als verschollen (so check your attic!)
1939 konnte man The Cat And The Canary erneut als Bob-Hope-Vehikel zu bewundern (USA 1939 R.: Elliot Nugent dt.: Erbschaft um Mitternacht), 1974 nahm sich Vielfilmer Jess Franco des Stoffes an und schuf mit La Noche De Los Asesinos (E 1974 R.: Jess Franco dt.: Im Schatten des Mörders) einen eher unbedeutenderen Eintrag innerhalb seiner über 100 Machwerke nennenden Filmographie. Im Jahre 1979 kam man erneut auf den Originaltitel zurück: The Cat And The Canary (GB 1979 R.: Radley Metzger dt.: Die Katze und der Kanarienvogel) wartete nun mit Honor Blackman in der Hauptrolle auf, welche dem deutschen Filmpublikum besser als Pussy Galore aus Goldfinger (GB 1964 R.: Guy Hamilton) bekannt ist.


Fazit: Der Stoff wurde unzählige Male adaptiert, doch Lenis stummes Meisterwerk von 1927 bleibt bislang unerreicht - ein perfekter Einstand in zur Rückkehr der Klassiker in diesem Blog!


Punktewertung: Klassiker! (Eine Wertung entfällt in diesem Fall.)

Freitag, 21. August 2015

Der Weg war das Ziel

Bis ans Ende der Welt
BRD 1991
R.: Wim Wenders


Worum geht's?: 1999. Ein indischer, nukleargetriebener Satellit droht auf die Erde zu stürzen.
Währenddessen lässt sich die attraktive Französin Claire (Solveig Dommartin) durch ein selbstmörderisches Leben voller substanzloser Partys und illegaler Substanzen treiben.
Auf einer Landstraße führt ein bizarrer Unfall ihren Weg mit dem zweier Bankräuber zusammen, welche ihr kurzer Hand ihre mit einem Sender versehene Beute zum Weitertransport nach Paris anvertrauen.
Mit neuer Motivation und der Aussicht auf 30 % der nicht unerheblichen Beute, lernt sie wenig später auch noch einen seltsamen Herrn (William Hurt) kennen, welcher sich ihr als Trevor McPhee vorstellt, und offenbar von einem anderen, bewaffneten Afroamerikaner (Ernie Dingo) verfolgt wird.
Claire verliebt sich praktisch sofort in den Neugier erweckenden Mann, den sie in ihrem Auto in die Seine-Metropole mitnimmt, und der während der Fahrt einer Aufnahme von Pygmäengesängen lauscht.
Bei ihrem Ex Eugene (Sam Neill), einem sympathischen Schriftsteller, der Claire immer noch sehr liebt, angekommen, sehnt sich die junge Frau, nun Besitzerin einer stolzen, wenngleich gestohlenen, Geldsumme, nach der interessanten Reisebekanntschaft und setzt nach etwas hin und her den Berliner Detektiv und Kopfgeldjäger Winter (Rüdiger Vogler) auf Trevor McPhee an.
In Moskau finden Claire, Winter und der ebenfalls anwesende Eugene heraus, dass die Person, der sie folgen, gar nicht der von einer Opalmine gesuchte Trevor McPhee ist, sondern es sich bei dem Herrn, um Sam Farber, Sohn des genialen Henry Faber (Max von Sydow), handelt, dem bereits ebenfalls die CIA in Form des schwarzen Beschatters auf der Spur ist.
Claire nimmt keine Kosten und Mühen auf sich ihrer Liebe durch fast alle Kontinente bis nach Australien zu folgen, wo ein elektromagnetischer Impuls das Flugzeug in dem sie und Sam sitzt zum Absturz bringt - und dies ist erst die Hälfte der Geschichte!


Wie fand ich's?: Das größte Roadmovie aller Zeiten sollte es wohl werden. Einmal rund um die Welt, durch alle Kontinente und zuletzt ins Reich der Träume. Wenn Deine Produktionsfirma Road Movies Filmproduktion heißt und Du Deine größten Erfolge hauptsächlich in eben diesem Genre feiertest - wer wenn nicht Du ist berufen den ultimativen Film-Trip auf Zelluloid zu bannen?
Ähnliches muss sich Wim Wenders gedacht haben, als er mit seiner damaligen Muse Solveig Dommartin (* 1961; † 2007) die Story zu Bis ans Ende der Welt ersann, der der australische Autor Peter Carey und Drehbuchautor und Regiekollege Michael Almereyda zusätzlichen Schliff geben sollten. So kamen zum Grundaufbau eines klassischen Roadmovies noch Elemente des Science-Fiction- und Spionagefilms, des Familiendramas und des Katastrophenfilms dazu, eine Szene in einem japanischen Sarghotel erinnert gar an eine Slapstick- oder Screwballkomödie. Angereichert wird der epische Plot dazu ständig durch Szenen in den musiziert wird, was Wenders Werk ebenfalls in die Nähe des Musikfilms rückt, ein Genre, welches Wenders ebenfalls zahlreich bediente (vgl. Buena Vista Social Club von 1999 oder Pina - ein Tanzfilm in 3D von 2011). So viel auch der Soundtrack zu Bis ans Ende der Welt mehr als opulent aus und sollte u. a. mit U2, R.E.M., Peter Gabriel und Depeche Mode Songs zahlreicher Größen des gehobenen Mainstreams enthalten, welche den Film atmosphärisch auch stringent weiter aufwerten und die bis auf den Track der mit Wenders befreundeten U2 eigens für den Film komponiert wurden.
Bis ans Ende der Welt wurde zunächst in einer 158 minütigen Schnittfassung veröffentlicht und floppte kläglich an den Kassen der Filmtheater, wohingegen sich der Soundtrack weit besser verkaufte. 2001 stellte Wenders einen knapp 280 Minuten laufenden, finalen Director's Cut her, der den Film in drei Teile von jeweils etwas mehr als 90 Minuten Länge bricht (was allerdings nicht für die TV-Ausstrahlungen gilt, welche den Film praktisch am Stück darbieten).
Doch ist das Scheitern an den Kinokassen auch nach Ansicht der vom Regisseur abgesegneten Fassung noch zu verstehen oder ist sein Vorhaben von epischer Größe tatsächlich am Ende noch aufgegangen?
Leider lautet die Antwort auf diese Frage meiner Meinung nach: nein. Wenders Film ähnelt einem schlaffen Händedruck - man erkennt vielleicht die gute Absicht, doch bleibt das Erlebnis im Ergebnis unbefriedigend.
Der Film schickt sein Publikum zunächst recht gekonnt durch zahlreiche Szenerien, baut hier und da interessante Sci-Fi-Elemente ein und die Darsteller geben durch die Bank eine solide Leistung ab. Rüdiger Vogler kehrt als Stammschauspieler Wenders in der Rolle eines Privatdetektivs unter seinem wiederkehrenden Charakternamen Winter zurück, Solveig Dommartin ist hübsch anzuschauen und Sam Neill und William Hurt geben dem Film fast ein Hollywoodambiente. Doch je länger der Film läuft, je mehr stößt man auf Szenen, welche stark aufgesetzt oder sehr schwülstig wirken, als Beispiel sei nur die oben bereits erwähnte Slapstickszene in Tokio, welche in diesem Kontext einfach fehl wirkt, zumal daraufhin ein eher ruhiger, emotionaler Moment bei einem japanischen Heiler folgt, deren übermäßiger Pathos durch diesen Kontrapunkt noch mehr hervorgehoben wird. Dagegen wundert es, dass ausgerechnet eine Szene mit, der mir lediglich als Bondgirl aus dem ebenfalls eher mäßigen Moonraker (GB/F 1979 R.: Lewis Gilbert) bekannten, Lois Chiles als absoluter, emotionaler Höhepunkt heraussticht, trägt Chiles diese doch ganz allein.
Kann man der ersten Hälfte des Films noch eine luftige, abwechslungsreiche Erzählweise bescheinigen, so kommen die Charaktere doch leider irgendwann am Ziel ihrer Reise in Australien an. Dort warten zwar die beiden Filmlegenden Max von Sydow und Jeanne Moreau, doch nimmt dieser letzte Akt einen viel zu großen Teil des Gesamtwerks ein und man hat das Gefühl als wären die ersten zwei Stunden nur ein infantiles, überlanges Vorspiel für die eigentlich zu erzählen beabsichtigte Hauptstory gewesen.
Nun, mutmaßlich am Ende der Welt sowohl räumlich wie zeitlich angekommen, bekommt man ein etwas plumpes Familien- bzw. Vater/Sohn-Drama geliefert. Hier wartet doch tatsächlich ein Mad-Scientist auf die Protagonisten und Zuschauer, der zwar zunächst hehre Absichten (Eye-, no, Mindsight to the Blind!) hat, aber nicht nur ein grober Unsympath ist, sondern auch Grenzen überschreitet, die man besser in Ruhe lassen sollte.
Grenzen kannte man bei der Produktion dieses Filmes leider anscheinend nur bedingt und man würde sich wünschen, man hätte direkt aus dem im Mittelteil auseinanderbrechenden Film zwei eigenständige Werke geschaffen. So wäre der Ton beider Erzählungen besser zu wahren gewesen und die erste Hälfte würde gegenüber der mit Drama und (familiäre) Düsternis beschwerten zweiten nicht so arg langsam und überfrachtet wirken.
So ist Bis ans Ende der Welt wohl weniger im Ergebnis als rein aufgrund seines epischen Konzepts filmhistorisch interessant.


Fazit: Mehr Economy als Business Class - leider insgesamt mehr Pauschalreise statt eines großen Abenteuertrips.


Punktewertung: 5,5 von 10 Punkten