Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Samstag, 17. Dezember 2016

Wer nichts zu verlieren hat - kann alles gewinnen!

Cutter's Way (Bis zum bitteren Ende bzw. Cutter's Way - Keine Gnade)
USA 1981
R.: Ivan Passer


Worum geht's?: Santa Barbara, Kalifornien.
Richard Bone (Jeff Bridges) ist ein abgeklärter Versager, genau wie sein bester Kumpel Alex Cutter (John Heard), der in Vietnam nicht nur Glaube und Hoffnung, sondern auch Auge, Arm und Bein verloren hat.
Eines Tages jedoch glaubt Bone in einer regnerischen Nacht Zeuge eines frischverübten Verbrechens geworden zu sein, als er in einer dunklen Gasse jemanden eine Frauenleiche in eine Mülltonne werfen sieht. Doch nicht nur das, er glaubt auch den Täter identifizieren zu können - der schwerreiche Industrielle J. J. Cord (Stephen Elliot) scheint nicht nur beruflich über Leichen zu gehen!
Mehr aufgrund der Nötigungen des stets benebelten Cutter und der Schwester des Opfers fasst Bone den Entschluss Cord zu erpressen, um so doch noch ein besseres Leben führen zu können.
Doch Cord zeigt sich von allem scheinbar gänzlich unbeeindruckt und ignoriert alle Nachstellungen.
Hat Bone sich vielleicht geirrt und ist nun aufgrund seiner Loyalität selbst zu einem Gangster geworden?
Auch die Beziehung zu Cutters depressiver Gattin Mo (Lisa Eichhorn) steht unter keinem guten Stern und allen ist schon lange bewusst, das ihre Existenzen nur noch an seidenen Fäden hängen.
Wie in die Enge getriebene Tiere wagen Bone und Cutter schlussendlich eine letzte Flucht nach vorn ...

***

Wie fand ich's?: Ein Thriller ohne großes Getöse, mit nur einer richtigen, allerdings fast absurden, Actionszene zum Schluss, dafür voller dahintreibender Loser ist die Verfilmung des Romans Cutter and Bone von Newton Thornburg geworden und war somit geradezu prädestiniert dafür, an den Kinokassen unterzugehen. Also gab sich United Artists erst gar nicht die Mühe viel Geld in die Promotion des Films zu stecken, sondern plante sogar, ihn nach nur einer Woche Laufzeit wieder aus den Kinos zu nehmen.
Zeitgenössische Rezensionen sprachen entweder von einem konfusen Flickenteppich von einem Thriller oder bezeichneten ihn als glanzvoll gespieltes, melancholisches Meisterwerk - ich möchte mich letzterer Meinung anschließen.
Ivan Passers Film zeigt sympathische Verlierer dabei sich in einer fixen Idee zu verrennen und ihre gesamte Energie in ein Projekt zu investieren, aus dem sie am Ende auch nur wieder als Verlierer hervorgehen können.
Hierbei sticht besonders die Figur des kriegsversehrten Alex Cutter hervor, der von John Heard perfekt als suchtkranker, sensibler Zyniker dargestellt wird, dem bewusst ist, dass er in seinem (wortwörtlich) kaputten Zustand seiner depressiven Frau keine Hilfe ist, sondern vermutlich sogar der ausschlaggebende Grund für deren Melancholie ist.
1981, als Cutter's Way in die Kinos kam, war der Vietnamkrieg erst etwa seit einem halben Jahrzehnt beendet und die Wunden, die er gerissen hatte, waren noch allzu frisch. Es wundert also nicht, dass einige Anzugträger bei United Artist in der Titelfigur wohl nur wenig Potenzial vermuteten, zahlende Zuschauer in die Lichtspielhäuser zu locken.
Gleiches gilt für den ebenfalls zwiespältigen Bone, der zwar von seinen Bekannten gemocht und akzeptiert wird, allerdings ebenso perspektivlos daherkommt wie sein Buddy Cutter und sogar noch bei nächster Gelegenheit dessen Frau vögelt.
Wie beim klassischen Film noir sind hier die Protagonisten und deren Innenleben interessanter als der recht simple Thrillerplot, durch den sie sich bewegen, doch ist es wohl gerade die Tatsache, dass der Zuschauer bis übers Ende hinaus von der Story in mehreren Punkten weiterhin im Unklaren gehalten wird, die das große Mainstreampublikum abstößt und der Film bisher nur auf wenig Liebe stieß.
So taucht Cutter's Way heute nur in einigen Listen unermüdlicher Genrefans als ewiger Geheimtipp auf, und wird auch selbst bei gelegentlichen Fernsehausstrahlungen gern übersehen - absolut zu Unrecht, wie ich finde!

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Fazit: Eine vergessene Neo-noir-Perle ist dieser Film, der mit einem grandiosen Cast und komplexen Figuren aufwartet. Die deutsche DVD ist zwar längst out-of-print, doch die britische bietet deutschen Ton! Worauf also noch warten?





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Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten

Sonntag, 25. September 2016

Der Schinken von Morgen

Roadgames (Truck Driver - Gejagt von einem Serienkiller)
AUS 1981
R.: Richard Franklin


Worum geht's?: Jeden Tag ist es derselbe Trott auf den staubigen Straßen der australischen Nullarbor-Ebene.
Man begegnet abwechselnd den gleichen Wagen, welche mal an einem vorbeiziehen, mal von einem überholt werden. Zerstreuung und Unterhaltung bietet nur das Radio, der Reisegenosse oder ein vom Wegesrand aufgegriffener Anhalter.
Pat Quid (Stacey Keach) nimmt nur aus Prinzip keine "Hitchs" mit, denn er hat seinen treuen Dingo Boswell stets dabei, den er während der Fahrt mit ausgedehnten Monologen über seine ganz eigene Weltsicht bedenkt.
Pat fährt einen Truck, was jedoch nicht bedeutet, dass er seiner eigenen Selbstwahrnehmung nach ein Trucker wäre - doch Pat ist auch ein aufmerksamer Beobachter seiner Umwelt und so fällt ihm auch der dunkelgrüne Transporter und dessen Fahrer auf, der ihm erst mit einer jungen Anhalterin in einem Motel das letzte Zimmer vor der Nase wegnimmt und am nächsten Morgen die Müllabfuhr von seinem Zimmerfenster aus persönlich dabei beäugt, wie diese mehre sonderbare Plastiksäcke vom Straßenrand mitnimmt, an denen Boswell bereits aufgeregt herumschnupperte.
Radiomeldungen von einem scheinbar in der Region sein Unwesen treibenden Serienkiller scheinen Pats Vermutungen zu verdichten und zusammen mit der von Zuhause ausgerissenen Diplomatentochter Pamela (Jamie Lee Curtis) macht sich der Kühllasterfahrer daran, dem behandschuhten Killer (Grant Page) das Handwerk legen zu wollen, nur gestaltet sich dieses gefährlicher als die beiden es zunächst wahrhaben wollen - möchte sich doch kein Jäger gern selbst zum gejagten Wild machen lassen.



Wie fand ich's?: Das Horrorgenre auf die staubige Autobahn zu verfrachten ist nichts wirklich Neues. Man denke z. B. an Spielbergs famoses TV-Frühwerk Duel (USA 1971 dt.: Duell), Rutger Hauers grandios böse Titelfigur im grimmigen The Hitcher (USA 1986 R.: Robert Harmon dt.: Hitcher, der Highway Killer) oder an einen in die Jahre gekommenen Kurt Russel auf der panischen Suche nach seiner entführten Frau im viel zu unbekannten Breakdown (USA 1997 R.: Jonathan Mostow).
1981 war Spielbergs vielleicht stilbildend zu nennendes Duell schon vor einer Dekade entschieden worden (ja, das Gute hat gesiegt, Kinder!), doch war im fernen Australien die seit den frühen 70er Jahren in Fahrt gekommene Welle von preiswert inszenierten Genrestreifen - von Kritikern zunächst Aussieploitation, später knapper Ozploitation benannt - auf ihrem Zenit angekommen und dusty roads findet man im und ums Outback herum ja auch genug.
Um der geplanten Produktion eine bessere globale Verwertbarkeit zu ermöglich, suchte man nach gut verkaufbaren (Hollywood-)Stars und stiess zunächst auf einen wenig begeisterten Sean Connery und auf die durch John Carpenters Halloween (USA 1978) und dessen Nachfolger The Fog (USA 1980) sowie Prom Night (CAN 1980 R.: P. Lynch) und Terror Train (CAN/USA 1980) bereits zum Genrestar und zur Scream-Queen gekürten Jamie Lee Curtis. Connery sprang frühzeitig ab, da ihm die angebotene Gage wohl zu gering war (manche Quellen sprechen lediglich davon, dass Connery nur als Vorbild für die Rolle diente und tatsächlich wohl nie angefragt wurde) und dies bei dem mit einem Budget von etwa 1,8 Mio. australischen Dollars zu seiner Zeit bis dahin teuersten Film, der den Filmschmieden Down Unders entsteigen sollte.
Frau Curtis zeigte sich weit zugänglicher bzw. preiswerter als der grummelige Schotte, doch muss man wohl beachten, dass sie erst in der zweiten Hälfte des Films so richtig in Erscheinung tritt und wohl auch nur dementsprechend wenig Drehtage hatte. Das mag ihr allerdings auch nur recht gewesen sein, beklagte sie sich doch später von der australischen Crew als amerikanische "Gastarbeiterin" angefeindet worden zu sein.
Borgte Carpenter für Halloween den Namen Sam Loomis noch bei Hitchcocks Psycho (USA 1960), so macht Franklins Road Games zahlreiche "Anleihen" bei des Meisters Rear Window (USA 1954 dt.: Das Fenster zum Hof). Tatsächlich sollte Franklin zwei Jahre nach Road Games mit dem in den USA entstandenen Psycho II (USA 1983) erneut dem Master of Suspense huldigen und eines der oft zu Unrecht verschmähtesten Sequels der Horrorfilmhistorie schaffen.
Setzt Franklin dort auf Twists und eine dem Vorgänger angemessene Atmosphäre, so beginnt auch Road Games zwar zunächst mit zwei suspensevollen Szenen, doch präsentiert der Film dann erst einmal eine ganze Reihe von komischen Alltagstypen, die sich mit dem Helden den australischen Highway teilen. Im Falle der von Marion Edward dargestellten, nörgelnden Hausfrau Frita teilt sich jene sogar gleich mehrere Minuten lang mit Keach dessen Fahrerkabine und dies anstelle der vom Publikum längst erwarteten Jamie Lee Curtis, welche von Quids Truck stattdessen mehre Male am Straßenrand mit erhobenem Daumen stehen gelassen wird.
Wenig später zerlegt der, zumindest in Deutschland titelgebende, Truck Driver - Gejagt von einem Serienkiller noch fröhlich das Boot eines ihm den Weg versperrenden Verkehrsteilnehmers in bester Ben-Hur-Manier mit den Radnaben seines Trucks - eine Szene, welche es wohl nur aufgrund ihrer Schauwerte in den Film geschafft hat, ist diese doch für den eigentlichen Plot absolut nicht notwendig.
Letztendlich gelingt Franklin hier also ein höchst verspielter, bodenständiger Slasher mit grundsympathischen Figuren, von denen alle - von der damals mal gerade zweiundzwanzigjährigen Jamie Lee Curtis einmal abgesehen - die Vierzig bereits überschritten haben.
Wer also jeden US-Slasher der Goldenen Ära von 1978 bis 1984 bereits gesehen hat, wem nervige Teenies grundsätzlich in Filmen ein Dorn im Auge sind und wer Dingos für die besseren Haushunde zählt - dem sei dieser Film wärmstens an Herz gelegt!

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Fazit: Ein spritziger Ozploitationklassiker, der kein Sand im Getriebe, sondern den Dingo im Tank hat.









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Punktewertung: 7,5 von 10 Punkten

Samstag, 3. September 2016

Die Rückkehr der Klassiker #6: Ihr toten Kinderlein, kommet ...

The Changeling (Das Grauen)
CAN 1980
R.: Peter Medak


Worum geht's?: Nach einem tragischen Unfall, bei dem seine Frau und Tochter ums Leben kamen, zieht der nun alleinstehende Komponist und Hochschuldozent John Russell (George C. Scott) in ein altes Haus in Seattle, welches ihm von der Historical Society vermietet wird.
Schon bald darauf sieht sich der immer noch von schmerzlichen Erinnerungen geplagte Mann mit seltsamen Begebenheiten in seinem neuen Heim konfrontiert.
Morgens um 6.00 Uhr hört er ein ohrenbetäubendes Hämmern aus den Räumen über ihm und Türen öffnen sich ohne erkennbaren Grund. Als er die Dachräume genauer untersucht, findet er einen zugenagelten Zugang zu einem Spinnweb verhangenen Raum.
In diesem stößt er auf einen sonderbaren, kleinen Rollstuhl und ein Heft mit den Initialen C. S. B. Außerdem öffnet er eine alte Spieluhr, welche das gleiche Schlaflied spielt, welches er nach seiner Ankunft selbst am Klavier zu komponieren glaubte. 
John zieht tief verunsichert ein Medium hinzu, welches in einer Séance den Namen des Spuks herausfindet: Joseph Carmichael. Als er sich nach der spiritistischen Sitzung einen selbst erstellten Tonbandmitschnitt der selbigen anhört, nimmt er sogar eine gespenstische Kinderstimme wahr, die dem Medium antwortet.
Russell versteht, dass der Geist ihn auffordert, einem furchtbaren Mord nachzugehen, den jemand vor 70 Jahren in seiner neuen Behausung an einem körperbehinderten Kind begangen hat und er muss schnell am eigenen Leibe erfahren, was es heißt zum Instrument einer Geistererscheinung zu werden, welche sich endlich nach Genugtuung sehnt ...

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Wie fand ich's?: Das Spukhausgenre hat nüchtern betrachtet insgesamt nur wenige Titel zu bieten, denen es gelingt ihre Geschichte wirklich glaubhaft und ohne plumpe Schocks - die heute im Subgenre längst zum Klischee verkommenen, überpräsenten Jump scares - zu vermitteln. The Changeling bietet hier eine wunderbare Ausnahme dieser Machart und reiht sich hinter Robert Wises The Haunting (GB/USA 1963 dt.: Bis das Blut gefriert) als einer der bestgelösten Haunted-House-Movies ein.
Das Drehbuch von Peter Medaks Film bezieht seine Wirkung auch aus der Tatsache, dass das Verbrechen, welches den Geist ruhelos zurückgelassen hat, ebenso schockierend ist, wie die Geistererscheinung selbst.
So wird der Auslöser des Spuks zum Mittelpunkt der Handlung und ist das eigentliche Motiv, welches die Handlung vorantreibt. Dieser, eher einem Kriminalfilm ähnliche Aufbau, ist neben der hohen handwerklichen Qualität, das größte Plus des Films, der sich so weitaus geschlossener gibt, als z. B. Tobe Hoopers Polstergeist (USA 1982), welcher eher episodenhaft die Szenen aneinanderreiht.
Hollywoodveteran George C. Scott bietet eine glaubhafte Darstellung eines von seinen eigenen Albträumen verfolgten Witwers, der zum Spielball einer unheimlichen Nemesis wird, welche nach Jahren ihre wohlverdiente Rache nehmen will.
Dazu benötigt der Regisseur keine teuren Effekte oder blutige Szenen; Medak gelingt es vielmehr, durch ruhige Kamerafahrten und wohldurchdachten Soundeffekten den Zuschauern das Gruseln zu lernen. So bleibt z. B. die sehr glaubhaft gestaltete Séanceszene im Gedächtnis des Zuschauers haften oder die schaurige Vision eines schlafwandelnden Mädchens.
Wer dann noch nach Parallelen zu anderen Horrorfilmen sucht, dem fallen vielleicht die Ähnlichkeiten zu Hideo Nakatas Ringu (J 1998; dt.: Ring - Das Original) auf. Hier wie dort finden die Protagonisten die Leiche des kindlichen Rachegeistes in einem alten, versteckten und nicht mehr genutzten Brunnen.
The Changeling ist einer der vielen, vergessenen Horrorfilmen, der endlich seinen Platz unter den Besten seiner Art einfordern sollte.

Fazit: Ein wahrer Klassiker, der auch heute noch für schlaflose Nächte zu sorgen vermag und nichts von seiner Schockwirkung verloren hat.








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Punktewertung: 10 von 10 möglichen Punkten - Höchstnote!



Mittwoch, 17. August 2016

Sonderbare Bande - von letztem Mondlicht beschienen

Tchao Pantin (Am Rande der Nacht)
F 1983
R.: Claude Berri

Worum geht's?: In einer schäbigen Tankstelle verrichtet der abgeklärte, desillusionierte Lambert (Coluche) jede Nacht die Spätschicht. Gesellschaft schenkt dem in die Jahre gekommenen Trinker nur eine stets griffbereite Flasche und das routiniert auf dem Gaskocher selbst zubereitete Omelette.
Eines Nachts lernt jedoch der verbitterte Mann den jungen Youssef (Richard Anconina) kennen, einen kleinen Dealer, der ständig auf anderen gestohlenen Motorrädern durch das Viertel streift und bereits das Augenmerk der Polizei auf sich gezogen hat.
Zwischen den beiden beginnt sich eine zarte Freundschaft zu entspinnen, die auf eine harte Probe gestellt wird, als Youssef Lambert seine Dealertätigkeit beichtet und nur einige Zeit später panisch in der Tankstelle aufkreuzt und seinem Freund mitteilt, dass er nun dem örtlichen Gangsterboss Rachid (Mahmoud Zemmouri) einen höheren Betrag schuldet, nachdem andere Kleinkriminelle sein Drogenlager ausgeräumt haben.
Lambert zeigt sich sofort bereit Youssef zu helfen und gibt ihm nicht nur sein letztes Bargeld, sondern auch gleich noch die gesamte Tageseinnahme mit, doch trifft er den Jungen nur noch ein letztes Mal wieder, als dieser nach einem brutalen Zwischenfall an der Tankstelle in seinen Armen verstirbt.
Nach einer kurzen Nacht des Schlafes nimmt sich Lambert eine Auszeit als Tankwart und beginnt konsequent damit, in den Kaschemmen und Hinterhöfen der Großstadt nach den Mördern Youssefs zu suchen. Unterstützt wird er von dessen letzter Zufallsbekanntschaft, der jungen Punkerin Lola (Agnès Soral), die es gewohnt ist, am Rande der Nacht zu leben und sogar nach und nach dem eher wortkargen Lambert die traurigen Geheimnisse seiner Vergangenheit abringt.

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Wie fand ich's?: Claude Berris beeindruckende Adaption des Buches Tchao Pantin (was soviel bedeutet wie: Mach's gut, Hampelmann) beginnt als sensible Milieustudie, in der sich zwei Verlierer im tristen, nächtlichen Paris aneinander annähern, bevor er in der zweiten Hälfte zu einem kompromisslosen Rachethriller mutiert.
Als seinen eher verschlossenen Antihelden wählte Berri ausgerechnet den zu dieser Zeit in Frankreich extrem populären Komiker Coluche (* 1944;  † 1986, eigentl.: Michel Gérard Joseph Colucci), der noch heute posthum einen legendären Status genießt.
Als Gründer einer noch heute existenten Kette von Suppenküchen, den Restaurants du Cœur, die es auch hierzulande in Leipzig und Erfurt gibt, ist der linksgerichtete Aktivist noch heute besonders für seinen Kampf um soziale Gleichheit bekannt, als Schauspieler ist wohl dem deutschen Publikum seine etwas untergeordnete Rolle als Filius in dem Louis-de-Funès-Kracher L'aile ou la cuisse (F 1976; R.: C. Zidi; dt.: Brust oder Keule) im Gedächtnis geblieben.
Für den Komiker Coluche, der meist in einem, an einen Clown erinnernden, gestreiften Latzhosenoutfit auftrat, hatte es bereits zuvor mehrfach Rollen in Kinofilmen gegeben, wie z. B. in Claude Faraldos Anarchosatire Themroc (F 1973), in der er gleich drei Figuren verkörperte, oder an der Seite von Gérard Depardieu in der Krimikomödie Inspecteur la Bavure (F 1980 R.: Claude Zidi; dt.: Inspektor Loulou - Die Knallschote vom Dienst).
Dies waren jedoch alles Auftritte in Komödien, in denen Coluche in erster Linie wegen seines humoristischen Talents besetzt worden war - erst Claude Berri, in dessen Komödie Le maître d'école (F 1981) er zuvor ebenfalls die komische Hauptrolle übernommen hatte, sollte den zu diesem Zeitpunkt 39-Jährigen in Tchao Pantin gegen sein Image als ewiger Spaßmacher besetzen und Coluche in Folge sogar 1984 den angesehenen César als "Bester Schauspieler" einbringen.
Tatsächlich trägt er den Film durch sein wunderbares Spiel beinah allein, obwohl dies bei seinen fabelhaften Mitspielern eigentlich kaum nötig ist.
Richard Anconina (auf den Coluche schon in dem o. g. Inspecteur la Bavure getroffen war und der für Tchao Pantin direkt zwei Césars abstaubte), ist genau wie die hübsche Agnès Soral noch heute ein gern gesehener Darsteller im französischen (Fernseh-)Film und heben gemeinsam das Ensemble von Berris Film auf ein sehr Qualitätsniveau.
Berri (* 1934; † 2009), der als Oscarpreisträger in Frankreich einen legendären Ruf und den Beinamen "der Pate" besaß, war selbst als Schauspieler, Regisseur und Produzent tätig. In letzterer Funktion war er kurz vor seinem Tod für den riesigen Erfolg der Dialektklamotte Bienvenue chez les Ch'tis (F 2008 R.: Dany Boon; dt.: Willkommen bei den Sch'tis) mitverantwortlich der mit Regisseur/Schauspieler Dany Boon und Kad Merad in der Hauptrolle noch einmal zwei neue Stars am französischen Komödienhimmel erstrahlen ließ.
Viel zu früh verstarb leider Coluche, der noch zu Beginn der 80er-Jahre im Scherz seine Kandidatur als Präsidentschaftskandidat bekannt gegeben hatte, diese jedoch nach einem hohen Umfrageergebnis auf Druck der etablierten Parteien schnell zurückzog, 1986 mit nur 41 Jahren nach einem Motorradunfall.
In Tchao Pantin hat er seine wohl größte Rolle gespielt, einen depressiven, wortkargen Einzelgänger, dem kurz ein Ausweg aus seiner ganz persönlichen Tristesse durch die Zufallsbekanntschaft mit einem jungen Kleindealer aufgezeigt wird. Nur wenigen Filmen gelingt es (heutzutage) leider so viel Empathie beim Zuschauer für seine Figuren zu wecken und deren Milieu - hier u. a. die streng hierarchisch gegliederte Welt der nordafrikanischen Drogendealer im heruntergekommenen Teilen des 18. Arrondissements von Paris - in Kürze so treffend zu bebildern.
Der Charakter der von Agnès Soral brillant dargestellten Punkerin Lola sorgt für zusätzliches Zeitkolorit und bildet mit Anconina und Coluche ein schönes Dreieck aus drei verlorenen Seelen, denen es trotz aller Anstrengungen nicht gelingen mag, sich gegenseitig oder gar zusammen aus ihrer Misere zu retten.
Wenn man Tchao Partin zuletzt doch noch etwas negativ ankreiden möchte, dann ist dies die relative Vorhersehbarkeit seiner Schlussszene - doch ist dies Herumkritteln an einem sonst fast perfekten Beispiel für das nur noch wenig bediente Genre des Neo-Noirs.



Fazit: Ein leider sträflich übersehenes, mit insgesamt Césars ausgezeichnetes Meisterstück des französischen Kinos, das endlich hierzulande eine anständige Veröffentlichung verdient hätte.





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Punktewertung: 9,5 von 10 Punkten

Sonntag, 19. Juni 2016

Das reine Grauen im Blick

Иди́ и смотри́ / Idi i smotri (Komm und sieh['] [BRD] bzw. Geh und sieh [DDR])
UDSSR 1985
R.: Elem Klimov



Worum geht's?: Weißrussland - 1943. Gerade noch ein Gewehr beim Spielen auf einem Feld gefunden, schließt sich der kaum den Kindesbeinen entwachsene Florya (Aleksey Kravchenko) eher unfreiwillig einer Gruppe von Partisanen unter der Führung des charismatischen Kosach (Liubomiras Laucevicius) an.
Gegen den Willen der Mutter zwangsverpflichtet, trifft der naive Junge in einem Waldgebiet auf einen erfahrenen Trupp Freischärler und die schöne, ältere Glasha (Olga Mironova).
Von Kosach und seinen Leuten aufgrund seiner Jugend und Unerfahrenheit jedoch unversehens im Camp zurückgelassen, streift Florya stattdessen ganz von Glashas Schönheit ergriffen ziellos durch den Wald.
Doch, noch bevor sich erste zarte Bande zwischen den beiden jungen Menschen entspinnen kann, werden sie auch schon durch einen Angriff deutscher Fallschirmjäger wieder zurück in die gnadenlose Realität des Krieges gerissen.
Als Florya mit Glasha daraufhin angstgeschüttelt in sein nun menschenleeres Dorf zurückkehrt, beginnt für den längst in den Kriegswirren verlorenen Jungen eine Odyssee an die Ränder seiner physischen wie psychischen Belastbarkeit und sogar noch darüber hinaus.

***

Wie fand ich's?: Mit Idi i smotri schuf Elem Klimov (* 1933; † 2003) ein unvergessliches Mahnmal über die Auswirkungen des Krieges auf die Seelen der Opfer.
Bereits gegen Ende der Siebziger Jahre hatte der Regisseur mit den Arbeiten am Film begonnen, konnte aber nicht die Behinderungen durch die Goskino-Behörde, das Staatliche Komittee der UDSSR für das Filmwesen, bewältigen, die das, zunächst noch "Töte Hitler" betitelte, Drehbuch als eine "Ästhetisierung des Drecks" und als zu naturalistisch abtat. Da Klimov keiner Zensur nachgeben wollte, wartete er fast ein Jahrzehnt, bevor er doch noch mit den Dreharbeiten zu Komm und sieh beginnen konnte - es sollte sein letzter Film werden.
Einen Film über die Grauen des Krieges wollte er schaffen, einen Film, der zeigt, dass am Ende alle zu Bestien werden können - Gewalt erzeugt eben immer Gegengewalt.
Im Zentrum des Films steht das Massaker von Chatyn, bei dem 152 weißrussische Dorfbewohner, davon 76 Kinder, von der SS-Sondereinheit Dirlewanger sowie Angehörigen von Wehrmacht und Schutzmannschaften ermordet wurden.
Drehbuchautor Ales Adamovich (* 1927; † 1994) verarbeitete in Komm und sieh seine eigenen Erfahrungen als jugendlicher Partisan in Weißrussland zwischen 1942 bis 1945, was zur allgemein realistischen Gestaltung des Films beitrug.
Da Adamovich wie auch Klimov ein möglichst ungeschöntes, direktes und schonungsloses Bild der Kriegsgräuel und der damit einhergehenden Traumata zeichnen wollte, bemühte man sich sehr aktiv darum den jugendlichen Hauptdarsteller, Aleksey Kravchenko, am Set psychologisch betreuen zu lassen, manchen Quellen zufolge zog Klimov sogar für die letzten Drehtage einen Hypnotiseur hinzu, der es jedoch nicht schaffte, Kravchenko tatsächlich in Trance zu versetzen.
Wie notwendig dies wohl sogar tatsächlich gewesen wäre, lässt sich allein daran festmachen, dass Klimov in zahlreichen Szenen mit scharfer Munition schießen ließ, um die Authentizität des Gezeigten auf ein Maximum erhöhen zu können.
Am Ende des Films sieht man einen ergrauten Jungen, Tränen in den Augen, mit einem Gewehr auf ein gerahmtes Hitlerporträt in einer dreckigen Wasserpfütze schießen (s. h. Foto unten). Hier wird sowohl die Bedeutung des ursprünglichen Drehbuchtitels "Töte Hitler" wie auch die von Komm und sieh klar. Letzterer Titel zitiert einen aus der Offenbarung des Johannes entnommenen, mehrfachen Ausruf, der dazu einlädt, sich die Verheerung durch die vier apokalyptischen Reiter anzusehen.
Wenn man einer weiteren Legende des Films Glauben schenken will, so färbten sich die Haare Aleksey Kravchenko gegen Ende der Dreharbeiten tatsächlich grau, trotz ärztlicher Hilfe und Unterstützung durch das Filmteam.
Wer Idi i smotri gesehen hat, hat selbst für die Laufzeit von beinah zweieinhalb Stunden in einen schwarzen Abgrund geblickt, welcher sich gleich vom Beginn an vor den Augen des Publikums auftut. Da spielt der noch vollends naive Florya mit einem weiteren Kind im Dreck und das jüngere, mit einem Stahlhelm und Armeemantel bekleidete, geht ganz in der Rolle eines deutschen Wehrmachtssoldaten auf, der krude Obszönitäten brüllt und zähnefletschend durch die Natur streift. Zusammen mit Florya muss man zum Ende des Films feststellen, dass die Bestialität des Kriegs jede noch so brutale Kinderfantasie mitunter bei Weitem übertrifft.

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Fazit: Selten hat mich ein Film so betroffen gemacht wie dieser. Unvergessliche Bilder, die sich auf Netzhaut und Hirnrinde unlöschbar einbrennen - was einmal gesehen wurde, kann nie mehr ungesehen werden.










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Punktewertung: Ein schonungsloses Meisterwerk in jeder Hinsicht: 10 von 10 Punkten.

Freitag, 6. Mai 2016

Schneller Kies und harte Kerle

Hell Drivers (Duell am Steuer)
GB 1957
R.: Cy Enfield

Worum geht's?: Frisch aus dem Knast entlassen, heuert der sanftmütige Tom (Stanley Baker) bei dem zwielichtigen Cartley (William Hartnell) an. Dieser führt ein florierendes Transportunternehmen, welches täglich möglichst viele Wagenladungen Kies aus einem nahe gelegenen Steinbruch ankarren lässt und seine Mitarbeiter dabei zu einem mörderischen Tempo zwingt - wer seine Quote nicht erfüllt wird kompromisslos gefeuert.
Seit Langem hält der stets gewaltbereite Red den Rekord von 18 Ladungen am Tag und stellt als ungekrönter König der britischen Landstraße ein massivgoldenes Zigarettenetui demjenigen in Aussicht, der es schafft, seine persönliche Höchstleistung zu überbieten.
Tom, der der Welt und seiner Familie noch etwas zu beweisen zu haben glaubt und dem die aggressive Art Reds und seiner Kumpane eh nicht liegt, schließt Freundschaft mit Gino (Herbert Lom), dem gefühlvollen "Spaghetti", der in Cartleys hübsche Sekretärin Lucy (Peggy Cummings) verliebt ist, und entsinnt mit seinem neuen Kumpan eine Reihe von Tricks und Kniffen, dem brutalen Schläger den Rang abzulaufen.
So entbrennt ein tödliches Rennen in arg beanspruchten Kipplastern, bei dem einer am Ende auf der Strecke bleiben muss.

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Wie fand ich's?: Das Erste, was Hell Drivers bereits bei nur oberflächlicher Betrachtung aus der Menge der britischen Actionfilme seiner Zeit heraushebt, ist der wahrlich unglaubliche Cast, der mehr als ein halbes Dutzend Stars zu einem Zeitpunkt auffährt, als diese noch gar keine Sterne waren.
Herbert Lom, Peter Sellers Nemesis aus der Pink-Panther-Reihe (USA ab 1963), Sid James, der Star aus den Klamauk-Kultfilmen der Carry-on-Serie (GB 1958-1978 sowie 1992), William Hartnell, der allererste Doctor aus der BBC-Kultfernsehserie Doctor Who (GB ab 1963), David McCullum, der spätere Illya Kuryakin in 105 Episoden von The Man from U.N.C.L.E. (USA 1964-1968 dt.: Solo für O.N.C.E.L.), Patrick McGoohan, die ewige Nr. 6 im Kampf gegen Nr. 2 in The Prisoner (GB 1967-1968), Gordon Jackson, der Chef aus The Professionals (GB 1977-1981 dt.: Die Profis) sowie Jill Ireland, die einzige Frau, die Spock je liebte und ein junger Schotte namens Sean Connery ist auch noch dabei!
Mit solchen (zum Zeitpunkt der Produktion wohl kaum vorhersehbaren) großen Namen im Cast hat man bei den meisten Cineasten bereits die halbe Miete eingefahren, doch gehört zu einem guten Film halt auch immer eine gute Story - Inhalt ist eben immer genauso nötig wie die reinen Schauwerte!
Dass er kein Vorläufer eines Michael Bay war, zeigte Cyril Raker Endfield (* 1914; † 1995) wohl am eindrucksvollsten in seinem, in Südafrika spielenden, Kriegsepos Zulu (UK 1964), in dem ein ebenfalls erst gerade zum Star werdender Michael Caine mit seinen Mitstreitern einer Überzahl an afrikanischen Zulukriegern gegenübersteht - an seiner Seite und in der Hauptrolle: Stanley Baker.
Baker (* 1928; † 1976), der mit nur 49 Jahren viel zu jung an den Folgen einer Lungenkrebsoperation verstarb, war in den 50ern zu so etwas wie einem vielseitigen Actionstar geworden, der sich sowohl in den damals noch sehr populären Sandalen- wie auch in Kriegs- und Mantel-und-Degen-Filmen umtat und 1956 bereits in Child in the House (UK 1956 dt.: Ein Kind kommt ins Haus) für Cy Endfield vor der Kamera stand.
In Duell am Steuer sollte er nun mit einer ganzen Schar von zukünftigen Filmstars, die seine Popularität alle später in den Schatten stellen sollten, um die Wette rasen, wenngleich man heute eine Höchstgeschwindigkeit von 50 mph (ca. 80 km/h) als eher belächelnswert ansehen könnte.
Durch die gekonnte Inszenierung, den Schnitt und die stets tollen Darsteller, bekommen die beschleunigt abgespielten Rennszenen jedoch eine mitreißende Dramatik, die keinen Zuschauer kaltlassen sollte.
Inhaltlich tun sich klare Vergleichspunkte mit Henri-Georges Clouzots ebenfalls fabelhaften Le salaire de la peur (F/I 1953 dt.: Lohn der Angst) auf, bzw. mit dessen direktem Remake Sorcerer (USA 1977 dt.: Atemlos vor Angst) von Meisterregisseur William Friedkin auf. In allen drei Filmen jagen Lkw-Fahrer mit gefährlichen Frachten durch schwer befahrbares Terrain (ich denke, man kann regennasse, britische Landstraßen in der Mitte der 50er Jahre durchaus so betiteln), in allen drei Filmen spielt die Freundschaft und Konkurrenz der Fahrer, die allesamt Outcasts sind, eine bedeutende Rolle.
Hell Drivers verbindet gekonnt die graue Realität des so eben in England aufkommenden kitchen sink dramas mit spannungsgeladener Action und kredenzt dem Zuschauer dazu noch eine interessante Ménage-à-trois, die der Story zusätzliche Schärfe gibt.
Also drauf auf den Beifahrersitz und anschnallen - Cy Endfield und sein Staraufgebot geben Vollgas!

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Fazit: Ebenso rasant wie dramatisch und kann er auch an Sorcerer und La salaire de la peur sicher nicht anstinken, klebt er doch praktisch direkt an deren Stoßstange!








Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten

Freitag, 29. April 2016

Schon gewusst?

Wussten Sie schon, geneigter Leser, dass man mich auch mit einem (praktisch) täglichen Filmtagebuch auf der kleinen, aber feinen, Social-Network-Plattform LETTERBOXD findet?


Nein?
Dann sind Ihnen auch aktuelle Kurzreviews wie diese entgangen: 

Star Wars: The Force Awakens 2015 ★★★

This review may contain spoilers.
Hier ist es also: das filmische Äquivalent zum lang nach Bandauflösung noch auf den Markt geworfenen Best-of-Album.
Harrison Ford ist voll auf Vita Sprint und jagt atemlos (der Mann ist, ja, 73) durch diesen Film, Chewie, schwer gezeichnet vom vielen Botox, verzieht kaum die Lefzen und Carrie Fishers Gebiss scheint so schlecht zu sitzen, dass sie, zumindest im Originalton, ihre Zeilen recht unschön ins Mikro nuschelt.
Hatte ich schon bei Spectre die kreative Unfähigkeit hoch bezahlter Drehbuchautoren für Hollywoods Filmschmieden bemängelt, so liegt der Fall hier noch etwas anders. Hier hat man nämlich scheinbar bei einem langen Brainstorm einfach die von Fans geschätztesten Szenen und Elemente der Originaltrilogie gesammelt (Han und Chewie, der noch von seiner Macht unwissende Jedi, der maskierte Bösewicht und dessen verunstalteter Lehrmeister, Laserschwertkämpfe, die Cantina Sequenz usw. etc.), das Ganze etwas abgeändert, so dass jüngere Fans nicht sofort "Eigenplagiat" schreien und daraus dann einen Ansatz für eine angedachte neue Trilogie geschaffen. Eine neue Hoffnung als eine neue Hoffnung, sozusagen.
Dass bei einer solchen Konstruktion unweigerlich neue Logiklöcher entstehen, ist wohl unvermeidlich, doch bietet The Force Awakens genug Fanservice, als dass man dies natürlich verzeihen soll bzw. muss. Zudem beginnt der Film angenehm düster (beim Massaker am Ende der ersten Szene schüttelte ich ungläubig den Kopf), driftet dann aber schnell in "witzige" Disneygefilde ab, was besonders durch die vollkommen unnötige Szene festzumachen ist, in der zwei Gangsterbanden von riesigen Tentakelmonstern an Bord des Rasenden Falken gejagt werden. Diese, für den Plot absolut unwichtige Szene, soll reinen Comic relief bieten, und wirkt damit recht deplatziert im ganzen Geschehen, was man auch zu Hans plötzlichem, nach Jahrzehnten (!!) erwachten, Interesse an Chewies Bowcaster sagen kann. Diese Gags funktionieren ebensowenig, wie der Fakt, dass man aus Luke Skywalker (immerhin der Hauptcharakter der Originaltrilogie) einen reinen Macguffin macht und Mark Hamill ganze zwanzig Sekunden Screen Time in diesem Teil einräumt.
O. k. Han tritt am Ende des Films den Eimer weg (wie der Brite sagt) und Hamill wird sicher somit ein wesendlicher Bestandteil des nächsten Teils der Serie werden, doch ist das Drehbuch hier nur noch schludrig runtergeschrieben.
Waren nicht schon zwei Todessterne einer zu viel? Und sehen die Rebellen-, 'tschuldigung, die Wiederstandsbasis und Lukes Chill-out-area auf Island nicht nach billig abgefilmten Aussenlocations aus? Maz Kanatas Kneipe in einem schottischen Schloss anzulegen wirkte auf mich, wie die Szenerie einer Doctor Who Folge aus den Siebzigern ...
Also bei allem Respekt - für mich ist das keine Qualitätsware, liebe Leute, aber immerhin besser als das, was uns Herr Lucas als Prequels verkaufen wollte!

Also schnell folgen: Die seltsamen Filme des Herrn Nolte auf Letterboxd!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 

Freitag, 15. April 2016

Pädagogische Altlasten

Sieben Tage Frist
BRD 1969
R.: Alfred Vohrer

Worum geht's?: An einem norddeutschen Privatinternat verschwindet der rebellische Schüler Kurrat (Arthur Richelmann) nach einem Streit mit dem sonst eher besonnenen Lehrer Fromm (Konrad Georg), bei dem dieser den Schüler ohrfeigte.
Als wenig später auch der Vater des Schülers verschwindet und man einen (vermeintlich?) homosexuellen Lehrer Kurrats erschossen auffindet, ruft dies den hartgesottenen Bullen Klevenow auf den Plan, der zusammen mit dem findigen Pauker Hendriks (Joachim "Blacky" Fuchsberger) in der Schule und einem nahe gelegenen Amüsierbetrieb nach dem Täter sucht.
Doch was verbergen Kurrats abgebrühte Mitschüler, wer hat ein Motiv für die Morde und wie lang kann der Direktor die unglaublichen Vorfälle vor der Allgemeinheit geheim halten?


***


Wie fand ich's?: Zu den Personen Alfred Vohrer und dem von ihm mehrfach beschäftigten Horst Tappert habe ich wohl bereits im Review zum Exploitation-Knaller Perrak genug Worte verloren. Hier trafen beide, der Regie-König der deutschen Wallace-Krimis und der spätere, ewige Oberinspektor Derrick bereits zwei Jahre früher wiedereinmal aufeinander und siehe da, auch "Blacky" Fuchsberger konnte Vohrer ein Jahr nach der fünften Wallace-Kollaboration Im Banne des Unheimlichen (BRD 1968) erneut verpflichten.
Man kannte sich also größtenteils bereits vor und hinter der Kamera - Konrad Georg zum Beispiel stand mit Fuchsberger auch schon für Vohrers Der Mönch mit der Peitsche (BRD 1967) vor eben jener - doch sollte Sieben Jahre Frist ein Ausnahmewerk im Schaffen Vohrers werden.
Vohrer gelingt hier der wunderbare Kunstgriff ein Coming-of-Age-Drama langsam in einen spannungsgeladenen Thriller zu verwandeln, ohne das ein Element das andere überdeckt oder der Film insgesamt überkonstruiert wirkt. Gekrönt wird das Ganze von einer wahrhaft nicht vorherzusehenden Auflösung, die mich fast von der heimischen Chaiselongue fegte.
Neben diesem finalen Dreh, den ich hier nicht mal andeuten möchte, um so anderen nicht die Überraschung zu verderben, gelingen Vohrer Szenen, die einfach als fulminant zu bezeichnen sind. So entfesselt er bei einem Barbesuch der Jugendlichen die Kamera, lässt diese ekstatisch während eines Striptease pulsieren und hin und her schwingen und visualisiert so die sexuelle Anspannung der aufgeheizten Pennäler.
Vohrer konnte sich in diesen Szenen auch ganz auf seine großartige Besetzung verlassen, besonderes Augenmerk möchte ich auf Frithjof Vierock richten, der in der Rolle des Mitschülers Sickelka seinem Affen hier so richtig Zucker gibt und dies, obwohl Vierock bei den Dreharbeiten schon Mitte zwanzig war. Wie seine Kollegen Tappert, Fuchsberger und Georg, sollte auch er später dem breiten Publikum hauptsächlich durchs Fernsehen erhalten bleiben.
Der Film basiert auf dem fast gleichnamigen Bestseller Sieben Tage Frist für Schramm aus der Feder Paul Henricks. Hinter dem Pseudonym versteckte sich der langjährige Lehrer und Politiker Edward Hoop (* 1925; † 2008) und so liegt es nahe, dass Vohrers an einer Internatsschule spielendes Krimidrama vermutlich auch persönliche Erfahrungen des Verfassers verarbeitet oder gar teils autobiografische Züge trägt. Nicht von ungefähr gleicht Fuchsbergers Rollenname Hendriks stark dem Pseudonym des Autors, der es bis in den Rang eines Studiendirektors schaffte.

***

Fazit: Vielleicht Vohrers ambitioniertester Film, der inhaltlich und konzeptionell vollkommen mit den späteren Simmelverfilmungen des Regisseurs mithalten kann.









Punktewertung: 8,25 von 10 Punkten


Mittwoch, 24. Februar 2016

Lass den Finger ruhig in der Wunde

Sátántangó (Satanstango)
H/CH/BRD 1994
R.: Béla Tarr

Worum geht's?: Irgendwo in Ungarn, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Der benachbarte Kirchturm ist schonlange nicht mehr als eine überwucherte Ruine und trotzdem kündet Glockenläuten von der baldigen Ankunft des tot geglaubten Irimiás (Mihály Vig).
Die heruntergekommene Kolchose liegt aufgeweicht durch den ständigen Regen, in tiefem Matsch begraben im Halbschlaf; ihre Bewohner wirken wie die Gespenster eines längst vor die Hunde gegangenen Proletariats.
Einige von ihnen planen, mit dem Geld ihrer Genossen das Weite zusuchen, um dort neu anzufangen, andere, wie der fettleibige Doktor (Peter Berling), ein alkoholkranker, misanthropischer Diabetiker, verlassen kaum ihre Häuser und gehen sinnentleerten Ritualen nach.
Zusammen mit ihrem Bruder hat die kleine Estike (Erika Bók) zuvor noch einige Münzen auf einem Feld vergraben, um daraus einen vermeintlichen Geldbaum zu züchten - vom Bruder verraten, lässt sie nun ihren Zorn an ihrer Katze aus, bevor sie erst diese, dann sich selbst mit Rattengift umbringt.
Die Gunst der Stunde nutzend, zieht der charismatische Irimiás schnell die Gunst der meisten Dörfler auf seine Seite, doch hat dieser von Moral und Sünde sprechende Messias erst kurz zuvor noch in der Großstadt einen geheimen Plan mit einem Staatsbeamten über das Schicksal der Dorfleute geschmiedet.

***

Wie fand ich's?: Beinah sieben Stunden benötigt Regisseur Béla Tarr, bis er mit seinem Publikum fertig ist. Eine cineastische Tour de Force, die inhaltlich und handwerklich den Zuschauer in einen Bann versetzt, ihn derweil bei der Gurgel greift und nach Ansicht verstört in seine Sitzgelegenheit schleudert.
Wie eine tonnenschwere Dampfwalze begraben die Bilder das Publikum beinah in Zeitlupe. Tarr gibt ihm jede erdenkliche Zeit sich an seinen wohlgewählten Bildern sattzusehen, dauern doch seine Einstellungen hier schon einmal ganze, unglaubliche elf Minuten.
So auch gleich die erste Aufnahme des schlammigen Innenhofs der Dorfgemeinde, auf dem eine Herde Kühe frei herumläuft, um schließlich in alle Richtungen aus dem Bild zu entschwinden - eine Vorwegnahme des Endes des Films, wie manche Rezensenten meinen.
An Symbolen spart Tarr freilich nicht, besonders offensichtlich ist dies bei der messiashaften Figur des vermeintlichen Verräters Irimiás, der wenn er sich zwischen seine beiden Gefolgsleute zum Schlafen legt, auch gern eine angedeutete Kreuzigungspose annimmt und so an Jesus zwischen den beiden neben ihm gekreuzigten Schächern, Dismas und Gestas, erinnert.
Überhaupt ist eben jener Irimiás eine der vielleicht interessantesten, weil rätselhaftesten Figuren, des Films, ja, wenn nicht gar des ganzen europäischen Kinos der letzten Jahrzehnte. Ob er nun tatsächlich ein manipulativer Betrüger ist, der die Gutgläubigkeit seiner früheren Mitbewohner ausnutzt, ja, vielleicht sogar deren Ermordung durch Sprengstoff plant, ist am Ende des Films ungewiss. Gewiss ist allerdings, dass er die Dörfler, die an seinen Plan, seine Vision, glauben, aus dem heruntergekommenen Dorf herausbringt und sie in der Stadt unterbringt.
Irimiás ist also tatsächlich eine Figur, an die man glauben kann bzw. muss, oder in der man direkt den listigen Verführer erkennen möchte. Wenn er plötzlich an der Stelle des Selbstmordes eines kleinen Mädchens vor einem sonderbaren Nebel auf die Knie fällt, kann der Zuschauer an einen (spontanen) Trick oder eine spirituelle Erfahrung (Vision?) glauben.
So schafft es doch dieser siebenstündige Koloss von einem Film, mich den seit Jahrzehnten eingeschworenen Agnostiker, hier Fragen nach Glauben und Urvertrauen zu stellen.
Ist Sátántangó also eine kaum verschleierte Religionskritik, eine Warnung vor falschen Heilsbringern oder eine Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten auf dem ungarischen Lande nach dem Scheitern des Systems (dass man hier den Kommunismus als gescheitert ansieht, ist zumindest unfraglich)? Die Lösung liegt vermutlich irgendwo in der Schnittmenge aller Möglichkeiten, und wie jeder Kenner fernöstlicher Meiditationsarten weiß, ist eh der Weg das Ziel.
Auf jeden Fall bietet Béla Tarrs siebenstündiges Monumentalwerk eine einzigartige Seherfahrung, bei welcher der Zuschauer in einen paralysierenden Trance gebracht wird und eine seltsame Form von grauem Honig über den Sehnerv Einlass ins Hirn findet.
Langsame, traurige Bilder von Verfall und Niedergang künden von der conditio humana und wirken lange nach. Man sei hiermit also gleichermaßen gewarnt wie interessiert.


Fazit: Mehr Grau findet man kaum - Béla Tarr inszeniert den Untergang (und den Neubeginn?) einer ungarischen Dorfgemeinschaft in tonnenschweren Bildern.



Punktewertung: Ein Meisterwerk - Höchstnote!

Donnerstag, 11. Februar 2016

Ausdrücklich fraglich?!

Interrabang
I 1969
R.: Giuliano Biagetti


Worum geht's?: Eine schnittige Jacht, drei schöne Damen, klares Wasser, ein gewitzter Fotograf und heller Sonnenschein.
Fabrizio (Umberto Orsini) sucht einen möglichst pittoresken Hintergrund für die geplanten Aufnahmen von seinem attraktiven Model Margerita (Shoshana Cohen), das zugleich seine Geliebte ist - was seine Frau Anna nicht weiter zu stören scheint.
Während diese sich dem Sonnenbaden widmet und Fabrizio mit Margerita an Land geht, hängt Fabrizios intellektuelle Schwester Valeria (Haydée Politoff) gelangweilt ihren misanthropen Gedanken nach.
Niemand scheint der Radiomeldung von einem flüchtigen Schwerverbrecher Aufmerksamkeit zu schenken, lediglich ein defekter Vergaser zwingt Fabrizio dazu, seine Gefährtinnen kurz zurückzulassen, um in Gesellschaft einer anderen Schönen Rat und Hilfe zu suchen.
Auf sich allein gestellt treffen die drei Grazien an Land auf den sonderlichen Streuner Marco (Corrado Pani), der es nur zu schnell schafft, jede der Damen um den Finger zu wickeln - und dies in unmittelbarer Nähe eines toten Polizisten.
Ist Marco der gesuchte Killer, nachdem auch die kurz auftauchende Wasserpolizei sucht? Warum scheint Valeria vom Anblick einer dahinverwesenden Leiche kaum beeindruckt zu sein? Ist Margerita nur auf Fabrizios Geld aus? Wird Fabrizio je zurückkommen? Und was zur Hölle ist ein Interrabang?!

Wie fand ich's?: Nun, zumindest letzte Frage lässt sich hier direkt spoilerfrei auflösen. Ein Interrobang (wieso der Film den Ausdruck mit a statt o schreibt - weiß der Teufel‽) ist ein obskures Sondersatzzeichen, welches 1962 von einem amerikanischen Werbetexter erfunden wurde und einem Satz sowohl unterstreichenden, wie fragenden Charakter geben sollte.
Hierzu erschuf Martin K. Spekter eine Verbindung aus Frage- und Ausrufezeichen; geboren war das Interrobang. Dieses ‽ war also quasi der Vorgänger des heute so oft im Internet verwendeten WTF-Kürzels (entstanden in einer Zeit, in der noch Stil und Kreativität über reine sprachliche Profanität regierten).
Tatsächlich trägt im Film nicht nur die hübsche Haydée Politoff dieses Kunstzeichen als Goldschmuck um den Hals, es gibt auch genau das Gefühl wieder, das man in den Augen der meisten Rezipienten nach dem Ansehen dieses Filmes erahnen kann.
Giuliano Biagetti gelingt nämlich hier das Bravourstück, einen Film mit einer unglaublich relaxten und entschleunigten Atmosphäre zu entwerfen, dessen Figuren offenbar recht eindeutig gestrickt sind - bis, ja, bis der Film anfängt mit zunehmender Laufzeit zunächst subtil, später eindeutig, einen Plottwist nach dem anderen aufs Parkett zu legen.
Wird man also zunächst durch das sonnendurchflutete Ambiente und die klischeehaften Protagonisten wunderbar eingelullt (ja, man könnte schon fast von gediegener Langeweile sprechen), so verschlägt einem spätestens die oben erwähnte Szene eines plötzlichen Leichenfundes die Sprache (oder reißt einen aus dem bereits eingetretenen Dämmerzustand zwischen Wachen und Träumen).
Wer also glaubt Interrabang würde am Ende seiner (angenehmen, 93-minütigen) Laufzeit alle Fragen befriedigend beantwortet haben, der schaue sich das formschöne Satzzeichen noch einmal genau an.
Regisseur Giuliano Biagetti (* 1925; †1998) hat es laut IMDb in einer mehr als vierzigjährigen Karriere auf nur vierzehn Filme gebracht, ein Großteil davon waren seichte Erotikkomödien, für die er sich wohl teilweise so sehr schämte, dass er sich hinter dem Pseudonym Pier Giorgio Ferretti versteckte.
Mit Interrabang hat er auf jeden Fall einen für Genrefans sehr interessanten Bastard aus der geschaffen, der irgendwo zwischen galliger Satire und froschfröhlichem Sommerthriller hin und her pendelt, nur, um mit seiner Schlussszene dem Ganzen noch die Krone aufsetzen, auf deren Zacken nur ein Zeichen prangen kann:


Fazit: So luftig, locker ist man noch nie filmisch an der Nase herumgeführt worden. Mehr Strandurlaubsfeeling findet man in kaum einem anderen Genrefilm dieser Ära.


Punktewertung: 7 von 10 Punkten