Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Mittwoch, 17. August 2016

Sonderbare Bande - von letztem Mondlicht beschienen

Tchao Pantin (Am Rande der Nacht)
F 1983
R.: Claude Berri

Worum geht's?: In einer schäbigen Tankstelle verrichtet der abgeklärte, desillusionierte Lambert (Coluche) jede Nacht die Spätschicht. Gesellschaft schenkt dem in die Jahre gekommenen Trinker nur eine stets griffbereite Flasche und das routiniert auf dem Gaskocher selbst zubereitete Omelette.
Eines Nachts lernt jedoch der verbitterte Mann den jungen Youssef (Richard Anconina) kennen, einen kleinen Dealer, der ständig auf anderen gestohlenen Motorrädern durch das Viertel streift und bereits das Augenmerk der Polizei auf sich gezogen hat.
Zwischen den beiden beginnt sich eine zarte Freundschaft zu entspinnen, die auf eine harte Probe gestellt wird, als Youssef Lambert seine Dealertätigkeit beichtet und nur einige Zeit später panisch in der Tankstelle aufkreuzt und seinem Freund mitteilt, dass er nun dem örtlichen Gangsterboss Rachid (Mahmoud Zemmouri) einen höheren Betrag schuldet, nachdem andere Kleinkriminelle sein Drogenlager ausgeräumt haben.
Lambert zeigt sich sofort bereit Youssef zu helfen und gibt ihm nicht nur sein letztes Bargeld, sondern auch gleich noch die gesamte Tageseinnahme mit, doch trifft er den Jungen nur noch ein letztes Mal wieder, als dieser nach einem brutalen Zwischenfall an der Tankstelle in seinen Armen verstirbt.
Nach einer kurzen Nacht des Schlafes nimmt sich Lambert eine Auszeit als Tankwart und beginnt konsequent damit, in den Kaschemmen und Hinterhöfen der Großstadt nach den Mördern Youssefs zu suchen. Unterstützt wird er von dessen letzter Zufallsbekanntschaft, der jungen Punkerin Lola (Agnès Soral), die es gewohnt ist, am Rande der Nacht zu leben und sogar nach und nach dem eher wortkargen Lambert die traurigen Geheimnisse seiner Vergangenheit abringt.

***


Wie fand ich's?: Claude Berris beeindruckende Adaption des Buches Tchao Pantin (was soviel bedeutet wie: Mach's gut, Hampelmann) beginnt als sensible Milieustudie, in der sich zwei Verlierer im tristen, nächtlichen Paris aneinander annähern, bevor er in der zweiten Hälfte zu einem kompromisslosen Rachethriller mutiert.
Als seinen eher verschlossenen Antihelden wählte Berri ausgerechnet den zu dieser Zeit in Frankreich extrem populären Komiker Coluche (* 1944;  † 1986, eigentl.: Michel Gérard Joseph Colucci), der noch heute posthum einen legendären Status genießt.
Als Gründer einer noch heute existenten Kette von Suppenküchen, den Restaurants du Cœur, die es auch hierzulande in Leipzig und Erfurt gibt, ist der linksgerichtete Aktivist noch heute besonders für seinen Kampf um soziale Gleichheit bekannt, als Schauspieler ist wohl dem deutschen Publikum seine etwas untergeordnete Rolle als Filius in dem Louis-de-Funès-Kracher L'aile ou la cuisse (F 1976; R.: C. Zidi; dt.: Brust oder Keule) im Gedächtnis geblieben.
Für den Komiker Coluche, der meist in einem, an einen Clown erinnernden, gestreiften Latzhosenoutfit auftrat, hatte es bereits zuvor mehrfach Rollen in Kinofilmen gegeben, wie z. B. in Claude Faraldos Anarchosatire Themroc (F 1973), in der er gleich drei Figuren verkörperte, oder an der Seite von Gérard Depardieu in der Krimikomödie Inspecteur la Bavure (F 1980 R.: Claude Zidi; dt.: Inspektor Loulou - Die Knallschote vom Dienst).
Dies waren jedoch alles Auftritte in Komödien, in denen Coluche in erster Linie wegen seines humoristischen Talents besetzt worden war - erst Claude Berri, in dessen Komödie Le maître d'école (F 1981) er zuvor ebenfalls die komische Hauptrolle übernommen hatte, sollte den zu diesem Zeitpunkt 39-Jährigen in Tchao Pantin gegen sein Image als ewiger Spaßmacher besetzen und Coluche in Folge sogar 1984 den angesehenen César als "Bester Schauspieler" einbringen.
Tatsächlich trägt er den Film durch sein wunderbares Spiel beinah allein, obwohl dies bei seinen fabelhaften Mitspielern eigentlich kaum nötig ist.
Richard Anconina (auf den Coluche schon in dem o. g. Inspecteur la Bavure getroffen war und der für Tchao Pantin direkt zwei Césars abstaubte), ist genau wie die hübsche Agnès Soral noch heute ein gern gesehener Darsteller im französischen (Fernseh-)Film und heben gemeinsam das Ensemble von Berris Film auf ein sehr Qualitätsniveau.
Berri (* 1934; † 2009), der als Oscarpreisträger in Frankreich einen legendären Ruf und den Beinamen "der Pate" besaß, war selbst als Schauspieler, Regisseur und Produzent tätig. In letzterer Funktion war er kurz vor seinem Tod für den riesigen Erfolg der Dialektklamotte Bienvenue chez les Ch'tis (F 2008 R.: Dany Boon; dt.: Willkommen bei den Sch'tis) mitverantwortlich der mit Regisseur/Schauspieler Dany Boon und Kad Merad in der Hauptrolle noch einmal zwei neue Stars am französischen Komödienhimmel erstrahlen ließ.
Viel zu früh verstarb leider Coluche, der noch zu Beginn der 80er-Jahre im Scherz seine Kandidatur als Präsidentschaftskandidat bekannt gegeben hatte, diese jedoch nach einem hohen Umfrageergebnis auf Druck der etablierten Parteien schnell zurückzog, 1986 mit nur 41 Jahren nach einem Motorradunfall.
In Tchao Pantin hat er seine wohl größte Rolle gespielt, einen depressiven, wortkargen Einzelgänger, dem kurz ein Ausweg aus seiner ganz persönlichen Tristesse durch die Zufallsbekanntschaft mit einem jungen Kleindealer aufgezeigt wird. Nur wenigen Filmen gelingt es (heutzutage) leider so viel Empathie beim Zuschauer für seine Figuren zu wecken und deren Milieu - hier u. a. die streng hierarchisch gegliederte Welt der nordafrikanischen Drogendealer im heruntergekommenen Teilen des 18. Arrondissements von Paris - in Kürze so treffend zu bebildern.
Der Charakter der von Agnès Soral brillant dargestellten Punkerin Lola sorgt für zusätzliches Zeitkolorit und bildet mit Anconina und Coluche ein schönes Dreieck aus drei verlorenen Seelen, denen es trotz aller Anstrengungen nicht gelingen mag, sich gegenseitig oder gar zusammen aus ihrer Misere zu retten.
Wenn man Tchao Partin zuletzt doch noch etwas negativ ankreiden möchte, dann ist dies die relative Vorhersehbarkeit seiner Schlussszene - doch ist dies Herumkritteln an einem sonst fast perfekten Beispiel für das nur noch wenig bediente Genre des Neo-Noirs.



Fazit: Ein leider sträflich übersehenes, mit insgesamt Césars ausgezeichnetes Meisterstück des französischen Kinos, das endlich hierzulande eine anständige Veröffentlichung verdient hätte.





***





Punktewertung: 9,5 von 10 Punkten