Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Sonntag, 25. August 2013

Was für ein Aufschneider!

Carne per Frankenstein aka. Flesh for Frankenstein (Andy Warhol's Frankenstein)
F/I/USA 1973
R.: Paul Morrissey


Worum geht's?: Im Laboratorium seines serbischen Schlosses steht Baron Frankenstein (Udo Kier) kurz vor dem entscheidenden Durchbruch. Im Wahn, eine neue, perfekte Rasse, welche nur ihm Untertan sein wird, zu schaffen, hat der Baron mit seinem Assistenten Otto (Arno Juerging) bereits ein Exemplar beider Geschlechter zusammengenäht. Was noch fehlt, ist ein Kopf für die männliche Schöpfung. Allerdings muss dieses Haupt ein perfektes Nasum (lat. Nase) besitzen, was nach den gestrengen Maßstäben des Barons nicht leicht zu finden ist. Außerdem sollte der Spender des Körperteils über einen gesteigerten Sinn zur Fortpflanzung verfügen, erhofft sich sein Erschaffer doch gleich ein ganzes neues Volk.
Wo findet man nun einen virilen Lumpen mit adäquatem Gumpen? Genau! Im örtlichen Bordell.
Doch statt des dort umtriebigen, sexhungrigen Stallgehilfen Nicholas (Joe Dallesandro) schneidet der Baron dessen vom Weltschmerz geplagten Kumpel Sacha (Srdjan Zelenovic) die Rübe mit einer Heckenschere ab und pflanzt diese auch prompt auf sein nun endlich fertiggestelltes Geschöpf.
Mittlerweile ist allerdings die gelangweilte Baronin Frankenstein (Monique van Vooren) schon lang auf Nicholas aufmerksam geworden und schafft es auch tatsächlich diesen in ihre Dienste und in ihr Bett zu locken.
Wenig angetan von dem neuen Bediensteten macht sich der Baron mit Otto daran seinem Monsterpärchen Leben einzuhauchen und die beiden nach der gelungenen Belebung auch direkt zur Fortpflanzung zu bringen.
Was Frankenstein nicht ahnt: Sacha war ein asexueller Asket in seinem früheren Leben, der Nicholas kurz zuvor noch abgestoßen im Bordell sein Vorhaben verriet, schon bald einem Mönchsorden beitreten zu wollen.
So dreht der gute Baron schon bald gänzlich am Rad, als ihm bewusst wird, den falschen Kopf auf den richtigen Körper verpflanzt zu haben und Nicholas findet es ebenfalls gar nicht zum Lachen, als er ebenjenes Haupt seines Freundes auf einem neuen Körper wiedersieht.
Schon bald eskaliert die Lage vollends im sonst so pittoresken Schlösschen und im Laboratorium hat jemand eine ganz schöne Sauerei sauber zu machen.


Wie fand ich's?: Menschenskinder, was für 'ne Schweinerei. Regisseur Paul Morrissey bietet hier dem hartgesottenen Zuschauer eine ganze Palette von Geschmacklosigkeiten (in 3-D!) und lässt Mary Shelley im Grabe kreisen.
Carne per Frankenstein war die erste zweier Neuinterpretationen klassischer Horrorikonen, die Zweite wurde Dracula cerca sangue di vergine... e morì di sete!!! aka. Blood for Dracula (F/I 1974 dt.: Andy Warhol's Dracula), welche Morrissey in Italien für Andy Warhol produzieren sollte. Man muss bereits hier bemerken, dass beide Filme zwar mitunter die blonde Pop-Art-Legende im Titel nennen, Warhol aber wohl nur sehr wenig bis keinerlei Einfluss auf Morrisseys Arbeiten nahm und dessen Filme als eine gute, neue kommerzielle Einnahmequelle für seine Factory ansah. 
Apropos Einfluss: Antonio Margheriti wird oft als (Co-)Regisseur beider Filme genannt und es wurde jahrelang, nicht nur hinter vorgehaltener Hand, gemunkelt, dass Italofilmlegende Margheriti (vgl.: http://dieseltsamefilme.blogspot.de/2012/07/menschenfresser-in-betonschluchten.html) fürwahr bei den Dreharbeiten zu beiden Morrisseys auf dem Regiestuhl saß, es stellte sich jedoch in den letzten Jahren heraus, dass Margheritis Name nur zu bloßen Steuereinsparungsgründen in dessen Heimatland Italien in den Credits auftauchte.
Gedreht wurde ursprünglich in 3-D, was den von Carlo Rabaldi gestalteten, blutigen Gore-Effekten wohl zusätzliche Schlagkraft verlieh; leider gibt es jedoch bis dato international keine Heimkinoveröffentlichung, welche den Film wieder in dieser Fassung zugänglich macht.
Doch auch im herkömmlichen 2-D machen Rambaldis Blut- und Gekröseeinlagen auch heute noch mächtig Eindruck, der Mann wurde übrigens durch seine FX zu Ridley Scotts Alien (USA/UK 1979 dt.: Alien - Das unheimliche Wesen) und Spielbergs E.T. the Extra-Terrestrial (USA 1982 dt.: E.T. - Der Außerirdische) international bekannt, und lassen sofort erahnen, warum der Film sich in Großbritannien sehr schnell auf der Liste der berühmt-berüchtigten Video Nasties wiederfand.
Neben den saftigen Effekten bietet Morrisseys Film auch inhaltlich eine Mary-Shelley-Adaption, welche so ihresgleichen sucht und zahllose Anspielungen und Verweise auf Inzest, Impotenz, Nymphomanie und Megalomanie liefert, die den Streifen nur noch zusätzlich in die Skandalfilmecke rückten. So wird z. B. nie klar, ob der Baron und die Baroness nun Eheleute oder Geschwister (oder vermutlich beides...) sind.
Der von Udo Kier mit Spielfreude und Bravour dargestellte Baron ist ein impotenter Aristokrat, der seine sexuelle Frustration durch Größenwahn zu sublimieren versucht. Vom inzestuösen Verhältnis zu seiner Schwester abgestoßen (trotzdem gibt es zwei Kinder im Hause Frankenstein...), penetriert er lieber gleich mit dem ganzen Arm die chirurgischen Wunden seines weiblichen Geschöpfs und träumt von einer eigenen Herrenrasse.
Beäugt wird er dabei von seinem nicht weniger krankhaften Assistenten Otto, dargestellt vom ebenfalls Deutschen Arno Juerging, der die Rolle nur durch die Beharrlichkeit seiner Mutter erhielt und diese als Diener Anton im Nachfolgefilm Blood for Dracula praktisch 1/1 wiederholte. Laut Udo Kier nahm sich Juerging nach dem Tod seiner geliebten Mutter das Leben, in dem er aus einem Fenster sprang - tatsächlich hatte Juerging jedoch wenigstens noch im Jahr 1984 einen kleineren Auftritt auf den Kinoleinwänden, er spielte Dieter Hallervordens Sekretär (aus manchen Schubladen gibt es scheinbar kein Entrinnen...) Eck in Didi - Der Doppelgänger (BRD 1984 R.: Reinhard Schwabenitzky).
Neben Juerging ist auch Paul Morrisseys größte Entdeckung, Joe Dallesandro, mit von der Partie. Wer Dallesandro aus anderen Filmen kennt, weiß, dass dieser wohl auch hier in seiner ganzen Schönheit zu bewundern sein wird und man dabei sowohl seinen Little Joe (dieser Spitzname prangt auch als Tattoo auf Joes rechtem Oberarm), als auch seine Talentlosigkeit zu sehen bekommt. Interessanterweise soll wiederum Arno Juerging in einem obskuren Porno aus dem Jahre 1976 mit dem schönen Titel Ein guter Hahn wird selten Fett (BRD 1976 R.: Johnny Wyder!!) in der Rolle eines gewissen Little Joe zu sehen gewesen sein..
Egal.
Carne per Frankenstein überwindet so manche geschmackliche Grenze und suhlt sich erfrischend hysterisch in jeder Menge Gekröse. Schon in seinem Nachklapp Blood for Dracula trat Morrissey merklich etwas auf die Bremse und ließ den Kier Udo zwar Blut kotzen, aber nicht mehr so wunderbar von der Kette wie hier.


Fazit: Blutig, obszön und wohl kaum als Pop-Art zu bezeichnen - eine wirklich sehr eigenwillige Neuinterpretation des Klassikers!

Punktewertung: 6,5 von 10 Punkten