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Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Sonntag, 28. April 2013

Belgische Götterdämmerung

Malpertuis
F/B/BRD 1971
R.: Harry Kümel

Worum geht's?: Der junge Seemann Jan (Matthieu Carrière) legt mit seinem Schiff in seiner Heimatstadt Antwerpen an, verfolgt eine Person, die er für seine Schwester Nancy (Susan Hampshire) hält, landet in einer rummelligen Hafenkaschemme und wird schließlich im Gewühl mit einem Totschläger niedergeschlagen.
Als er wieder erwacht, befindet sich der junge Mann in Malpertuis, einem ihm verhassten Haus, in dem der uralte Patriarch Cassavius (Orson Welles) seit Langem schon im Sterben liegt und eine illustre Truppe an sonderbaren Gestalten lebt. Da ist u. a. der derangierte Taxidermist Philarette (Charles Janssen), der hysterische Lampernisse (Jean-Pierre Cassel), die verführerische Alice (Susan Hampshire zum Zweiten), deren zwei abweisende Schwestern, der schöne Mathias (Daniel Pilon), der autoritäre Herr Eisengott (Walter Rilla) und die kalte, aber wunderschöne Euralye (Susan Hampshire zum Dritten).
Während alle anderen darauf warten, dass der ungeliebte, bettlägerige Cassavius endlich das Zeitliche segnet, will Jan nur weg aus diesem "Höllenloch".
Doch das von Eisengott verlesene Testament des Herrn von Malpertuis, sieht zum Erschrecken der Gruppe vor, dass jeder Erbe dass riesige Anwesen nicht zu verlassen hat.
Nun gefangen in den gespenstischen Räumen, versucht Jan hinter das Geheimnis des Gebäudes und seiner seltsamen Bewohner zu gelangen.
Umgarnt von der begehrenswerten Alice, der auch der rücksichtslose Herr Dideloo (Michele Bouquet) verfallen ist, wandelt der Seemann durch die unheimlichen Gänge und Korridore und kommt viel zu spät zur Erkenntnis, dass er besser längst hätte die Flucht ergreifen sollen!

Wie fand ich's?: Denkt man als Cineast an unser zuweil eh wenig beachtetes Nachbarland Belgien, so fällt einem nicht unbedingt viel dazu ein.
Belgien ist die Heimat solcher Weltstars wie Jean-Claude Van Damme (den Muscles from Brussels) und wirft alle paar Jahre so etwas wie einen kleinen Achtungserfolg auf den Markt, man denke z. B. an die beiden Kultfilme C'est arrivé près de chez vous (B 1992 R.: Belvaux, Bonzel, Pooelvorde dt.: Mann beißt Hund) und Ex Drummer (B/F/I 2007 R.: Koen Mortier), dann wird es aber auch schon relativ schnell still um das Land der Flamen und Wallonen.
Einer der wenigen Regisseure, der auch einem internationalen Publikum ein Begriff ist, ist der 1940 in Antwerpen geborenen Harry Kümel. Dessen fabelhafter, stylisher Vampirfilm Les lèvres rouges (B/F/BRD 1971 dt.: Blut an den Lippen) wurde im Laufe der Jahre zu einem nicht wenig beachteten Liebling der Filmkritik und kann heute auf eine solide, kleine Fangemeinde pochen.
Wie Les lèvres rouges besitzt auch Malpertuis eine träumerische Atmosphäre und einige blutige Szenen, jedoch verlegt Kümel bei Malpertuis sein Augenmerk vom Horror zur Fantasy.
Der Titel bezieht sich auf den Namen des Fuchsbaus Malepartus aus der Fabel Reineke Fuchs, hier wie dort lässt sich der Name mit Höllenloch übersetzen.
Leider wird in fast allen Reviews das recht überraschende Ende (welches allerdings nur im längeren Director's Cut wirklich zur Entfaltung kommt!) dieses wunderbaren Films verraten, eine Unsitte, der ich mich hier mal wieder nicht anschließen möchte.
Stattdessen möchte ich auf die wunderbaren Sets, die herrlich aufspielenden Herrn Bouquet und Welles sowie auf die großartige Susan Hampshire hinweisen, deren Schauspielkunst in fünf verschiedenen Rollen zur Entfaltung kommt, wohingegen allein Matthieu Carrière in seiner Hauptrolle vielleicht etwas zu blass wirkt.
Malpertuis war 1972 für die goldene Palme von Cannes nominiert und gewann 1973 in Sitges verdientermaßen eine CEC Medal.

Fazit: Gediegenes Arthousekino trifft auf buntes, surreales Mysterydrama. Allein schon aufgrund seiner formidablen Besetzung einen Blick wert.

Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten