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Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Dienstag, 18. Juni 2013

Vorführung in eindimensionalem Zweikanalton

Stereo
CAN 1969
R.: David Cronenberg


Worum geht's?: Im Auftrag einer Organisation namens Academy Of Erotic Inquiry nehmen mehrere telepathisch begabte Personen (u. a. Ronald Mlodzik, Jack Messinger, Iain Ewing und Clara Mayer) an einem Experiment teil, welches unter der Leitung eines gewissen Dr. Stringfellow ablaufen soll.
Während man den guten Doktor jedoch nie zu Gesicht bekommt, laufen die in mittelalterliche Gewänder gekleideten jungen Leute durch die Korridore und Anlagen eines Betonkomplexes, dazu angehalten durch zusätzliche sexuelle Reize, Interaktionen und Reibungen ihre telepathischen Fähigkeiten noch zu verstärken.
Um noch schneller Resultate zu erreichen, hat man nicht nur den Probanden nicht nur bereits vor Beginn des Experiments chirurgisch die Voraussetzung zum Sprechen genommen, man gibt ihnen noch zusätzlich Aphrodisiaka und Psychodrogen in die Hände.
Doch anstatt der von Dr. Stringfellow angedachten, ultimativen Familie von omnisexuellen Telepathen, welche alle ständig miteinander im Gedanken- und Gefühlsaustausch stehen, verfallen immer mehr Teilnehmer dem Wahnsinn, entwickeln schizophrene Geisteszustände und nehmen sich mitunter gar das Leben.



Wie fand ich's?: Nach den zwei auf 16mm gedrehten Kurzfilmen Transfer (CAN 1966) und From the Drain (CAN 1967) war Stereo mit einer Länge von etwa 65 Minuten der erste Langfilm des damals 26-jährigen Kanadiers David Cronenberg.
Aus Gründen des Budgets entschied man sich nicht nur dafür, erneut in Schwarz/weiß zu drehen, man verzichtete auch zunächst gänzlich auf Ton, nur um den Film dann später mit gelegentlichen, nüchtern heruntergelesenen, pseudo-wissenschaftlichen Kommentaren zu versehen. Manche Quellen berichten allerdings davon, dass die von Cronenberg verwendete Kamera schlicht zu laut war, um einen vernünftigen Ton bei den Aufnahmen bekommen zu können.
Nun könnte man meinen, dass der nachträglich eingefügte Kommentar den Bildern (zusätzlichen) Sinn verleihen sollte, zumal Cronenberg seine Protagonisten 90 % der Laufzeit bei fast absolut langweiligen Tätigkeiten in unnötig langen Einstellungen zeigt. Da werden in einer Mensa (gefilmt wurde auf dem Gelände der Universität von Toronto, das mich persönlich unangenehm an die Betonbunkerbauten der Uni Bochum erinnerte) vom Hauptdarsteller minutenlang einige Schokoriegel verdrückt, da blickt jemand beharrlich mit leerem Blick an der Kamera vorbei etc., während der Kommentar in einem mit Fremdwörtern überladenen, nüchtern wissenschaftlichen Ton über die Theorien und Erkenntnisse des fiktiven Dr. Stringfellow referiert. Diese Theorien reichen von dem interessanten Ansatz einer telepathischen Gesellschaft, welche durch die ständige gedankliche Vernetzung omnisexuell wird, zu vielleicht ursprünglich satirisch gemeinten Quatsch, der den Zuschauer neben den mitunter sehr unspektakulären Bildern nur noch weiter ermüdet und an den Rand seiner eigenen Belastbarkeit bringt.
Wer nämlich glaubt, man bekäme in Stereo schon den body horror späterer Werke Cronenbergs zu bestaunen, der irrt gewaltig. Stereo bietet in erster Linie ästhetische Schwarz/weiß-Photografie, aber die (auch inhaltlich) wohl aufregendste Szene zeigt einen männlichen Telepathen beim Streicheln einer Plastik für den Anatomieunterricht, während ein weiblicher Telepath mit verbundenen Augen danebensitzt und sich praktisch dem Gedankensex hingibt. Besonders in dieser Szene zeigt sich, dass Cronenberg zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere sowohl bereits über das handwerkliche Können, wie über die außergewöhnlichen Ideen und Motive verfügte, was sich allerdings erst ab Shivers (CAN 1975 dt.: Parasiten-Mörder) in weit weniger prätentiösen, dafür umso mehr schockierenden Bildern niederschlagen sollte.
Der auf Stereo folgende Crimes of the Future (CAN 1970) wird oft in einem Atemzug mit seinem hier besprochenen Vorgänger genannt, gibt es doch starke Überschneidungen bei Stil, Laufzeit und Cast & Crew.
Allerdings wurde Crimes of the Future anders als sein Vorgänger von Cronenberg in Farbe gedreht, was wohl bereits ein erster Hinweis auf ein gering höheres Budget war.
Wie in Stereo handelt es sich hier um einen Stummfilm, der nachträglich mit einem Kommentar versehen wurde. Daneben befinden sich noch eine ganze Reihe von seltsamen Geräuschen auf der Tonspur, was die Filmhandlung zusätzlich unterstreicht und kommentiert.
Jene Handlung erzählt von den Reisen Adrian Tripods (Ronald Mlodzik) durch ein Kanada der Zukunft, in dem nach einer durch verseuchte Kosmetika hervorgerufenen Seuche, alle geschlechtsreifen Frauen dahingerafft wurden und Männer immer femininer werden.
Anders als in Stereo wartet Cronenberg hier zusätzlich mit einer schockierenden Pointe, die das Tabuthema Päderastie berührt, auf und bietet tatsächlich schon visuellen body horror, der den Protagonisten beim genüsslichen Verzehr von Körpersekreten kranker Leute zeigt.
Crimes of the Future bietet also in fast jeder Hinsicht mehr als sein Vorgänger, wenngleich man bemerken muss, dass hier wie dort Cronenberg die Ideen über die Laufzeit ausgehen und viele Szenen pure, unnötige Füllsel darstellen.
Dies sollte sich dann aber spätestens 1975, nach einigen Arbeiten für das kanadische Fernsehen, mit dem Release des bereits erwähnten Shivers ändern, bei dem Cronenberg Stil, Ton und Motive erstmals perfekt miteinander verband und sein erstes Meisterwerk ablieferte.


Fazit: Erste, längere, verschwommene Ausblicke auf eine einmal große Karriere. Wie Kim Newman in seinem Buch Nightmare Movies so treffen sagt: "[...] it's possible to be boring and interesting at the same time."

Punktewertung: 4,25 von 10 Punkten
Bonuswertung für Crimes of the Future: 5,5 von 10 Punkten