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Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Freitag, 18. April 2014

Die Unfähigkeit loszulassen

Le tue mani sul mio corpo (Deine Hände auf meinen Körper)
I 1970
R.: Brunello Rondi


Worum geht's?: Andrea (Lino Capolicchio), der erwachsene Sohn eines reichen, italienischen Verlegers, driftet gelangweilt durch sein Leben.
Als Kind musste er miterleben, wie man seine Mutter tot aus dem Meer fischte, nun ist Vati mit der lasziven Schönheit Mireille (Erna Schurer) zusammen, der Andrea, genau wie die Hausangestellte Clara (Pier Paola Bucchi), mehr aus Frustration als aus wahrer Lust nachstellt.
Seine wahre Liebe ist jedoch die junge Carole (Colette Descombes), diese ist nur leider längst vergeben, was Andreas Unzufriedenheit nur weiter verstärkt.
Während er seine Familie mit bösen Scherzen tyrannisiert, beginnt er die Objekte seiner Begierden zu stalken.
Doch kann Andrea die ihn umklammernde Erinnerung an seine tote Mutter endlich loslassen und sich einer neuen Liebe hingeben?



Wie fand ich's?: Dies ist wieder einer jener Streifen, zu dessen Handlung ich eigentlich nur möglichst wenige Worte verlieren will und stattdessen den geneigten Zuschauer am liebsten komplett ahnungslos dem Genuss dieses kleinen Films überlassen möchte. Mich jedenfalls hatte das etwas sehr plakative Poster auf eine falsche Fährte gelockt, doch war ich dafür nach etwas mehr als 80 Minuten nur umso positiver von der langanhaltenden Wirkung und ungewöhnlichen Machart des Films überrascht.
Le tue mani sul mio corpo ist ein unspektakulär inszenierter Film, dessen Regisseur mehr an Gesten und an Blicken als an stilistischen Spielereien oder dem Einsatz von Kunstblut interessiert ist. Wo andere seiner Zeitgenossen aus den Ingredienzien Impotenz, Todessehnsucht und Kindheitstrauma einen grellen, blutroten Reigen aus zuckenden Körpern herausdestilliert hätten, will Rondi seine Figuren und Themen durchaus ernst genommen wissen.
So ist Deine Hände auf meinen Körper ein eher zurückhaltender, erwachsener Film, der sich langsam entwickelt und deshalb auf manche Zuschauer langatmig, wenn nicht sogar langweilig wirken mag. Der englische Wikipediaeintrag und die IMDb wollen den Film zudem klar im Genre des Giallo verorten, doch tue ich mich hier etwas schwer diesem uneingeschränkt zuzustimmen. Wer Gialli schlicht als erotische Psychothriller Italiens definiert, mag der Kategorisierung zustimmen, wer ganz klassisch auf die von Bava und Argento etablierten Elemente wartet, bekommt jedoch keine schwarzgekleideten Frauenmörder mit Rasiermessern zu sehen. Freunde des Genres wird es allerdings vielleicht noch interessieren, dass Sergio Martinos im letzten Jahr verstorbener Bruder Luciano mit Rondi an der Story werkelte.
Rondi machte sich selbst zunächst als Drehbuchautor für Federico Fellini (zweimal oscarnominiert für La dolce vita [I/F 1960 dt.: Das süße Leben] und 8½ [I/F 1963]) einen Namen, stand aber auch bereits seit Anfang der 60er Jahre selbst als Regisseur hinter der Kamera.
Lino Capolicchio hatte bereits 1970 in Vittorio De Sicas viel verehrtem, antifaschistischen Drama Il giardino dei Finzi Contini (I/BRD 1970 dt.: Der Garten der Finzi Cortini) die Hauptrolle gespielt und stand einige Jahre nach Rondis Film für Pupi Avatis meisterhaftem Giallo La casa dalle finestre che ridono (I 1976 dt.: Das Haus der lachenden Fenster) vor der Kamera. 2010 sollte Capolicchio (*21.08.1943) bisher zum letzten Mal vor der Kamera stehen, erneut für Avati im Drama Una sconfinata giovinezza (I 2010), in dem er aber nur in einer Nebenrolle zu sehen ist.
In Le tue mani sul mio corpo gelingt es Capolicchio (der eigentlich Angelo heißt) den Zuschauer zuweilen allein durch sein Schauspiel bei der Stange zu halten. Brillant verkörpert er einen innerlich zerrissenen jungen Mann, der mit leerem Blick seine Umwelt heimsucht und trotzdem irgendwie sympathisch wirkt. Ein weniger begabter Darsteller hätte hier den Film vollkommen zunichte machen können.
Freunden klassischer Gialli, die auch gern Randerscheinungen wie Damianis famosem Una ragazza piuttosto complicata (s. h.: A Rather Complicated Girl) eine Chance geben, sei also auch dieser obskure, kleine Film empfohlen.



Fazit: Ein reizvolles Drama irgendwo zwischen Giallo und Psychostudie, welches sehr lange Anlauf nimmt, dafür aber umso wirkungsvoller zutritt.



Punktewertung: 7,5 von 10 Punkten