I/F 1983
R.: Federico Fellini
Worum geht's?: Im Juli 1914 läuft die Gloria N. aus dem Hafen Neapels aus. An Bord des monströsen Ozeandampfers befindet sich eine illustre Trauergemeinschaft, welche das Schiff gechartert hat, um die Asche der verstorbenen Operndiva Edmea Tetua (Janet Suzman) vor der (fiktiven) Insel Erimo ins Meer zu streuen.
Mit von der Partie ist der gutmütige Journalist Orlando (Freddie Jones), welcher sich unter die bunte Schar aus Künstlern und Intellektuellen mischt und auf die Story seines Lebens hofft.
Zu diesem Zweck bemüht er sich auch um ein Interview mit dem noch jugendlichen Großherzog von Österreich/Ungarn (Fiorenzo Serra), der sich mit seiner blinden Schwester (Pina Bausch) und seinem intriganten Hofstaat den Trauernden angeschlossen hat und die momentane Lage in Europa kurz aber treffend mit dem Sitzen auf einem Vulkan vergleicht.
Verbringt man die Reisezeit zunächst in einer Mischung aus pompösem Luxus und dekadentem Selbstmitleid, so ändert sich das Befinden an Bord schnell, als des Nachts serbische Flüchtlinge aus dem Meer gerettet werden und auf dem geräumigen Oberdeck untergebracht werden.
Hat man sich gerade noch einem eitlen Sängerwettstreit im Kesselraum gewidmet oder hat das Dahinsiechen eines Nashorns unter Deck begafft, so werden die Reisenden nun mit der ungeschminkten Realität konfrontiert.
Die Lage spitzt sich zu, als am Horizont ein Kriegsschiff der K.u.k Kriegsmarine auftaucht und die sofortige Herausgabe der Flüchtlinge fordert.
Hatte gerade noch die Kraft der Musik und des Tanzes die Schichten auf dem Deck des Ozeanriesen geeint, heißt es nun Kampf oder Aufgabe, Leben oder tot, Sinken oder Schwimmen.
Dunkle Wolken ziehen auf und läuten das Ende einer Ära ein.
Wie fand ich's?: Ein sterbendes Nashorn als Sinnbild für das Vergehen des europäischen Adels, eine pompöse Trauerfeier für eine Operngöttin als Beerdigungsritus für ein ganzes Zeitalter - das sind die Metaphern dieses Films, der recht episodenhaft mit erinnerungswürdigen Vignetten beginnt, um erst im letzten Drittel eine geschlossenere Geschichte erzählen zu wollen, bevor er die Kamera vollends zurückfährt und seine von Dante Ferretti geschaffene hydraulische Kulisse vor einem Plastikozean enthüllt und somit die Vierte Wand durchbricht.
Ferretti, der als Szenenbildner auch für Passollini, Annaud, Gilliam und Tim Burton arbeitete, sollte auch an Fellinis letztem Film La voce della luna (I/F 1990 dt.: Die Stimme des Mondes) beteiligt sein und schuf für E la nave va opulente Sets, in denen sich die längst vom eigenen Dasein gelangweilte Bourgeoisie wortwörtlich dahintreiben lässt, um im letzten Akt auf ihr eigenes Ende in Form des Ersten Weltkriegs zu treffen. Das gigantische Kriegsschiff mit seinen riesigen Kanonenrohren, welches am Horizont als Zeichen einer Zeitenwende auftaucht, wird hier zum Eisberg für ganze Gesellschaftsschichten.
Dabei bringt Fellini durchaus auch Verständnis und Liebe für seine exzentrischen Figuren auf, z. B. wenn er den übergewichtigen Großherzog, der kaum der Adoleszenz entwachsen ist und schwer an Amt und Leibesfülle zu tragen hat, in vertrauter Eintracht mit seiner blinden Schwester zeigt, oder er zwei spleenige Alte in der Schiffsküche Wassergläsern wunderbare Musik entlocken lässt.
Musik ist es auch, die den Dünkel an Bord des Kreuzers letztendlich durchbricht und das Bürgertum mit den Flüchtlingen in Freude und Tanz vereint, eine Szene, welche vielleicht nicht von ungefähr an den Marx Brothers Klassiker A Night at the Opera (USA 1935 R.: Sam Wood dt.: Skandal in der Oper) erinnert.
So ist dieser Film auch ein Zeugnis von Fellinis Hassliebe zum Großbürgertum, dessen Pomp und Grandezza er mitunter gerne teilt, dessen Dünkel und Faschismus er aber verabscheut.
Der britische Charakterkopf Freddie Jones führt in der Rolle des neugierigen und tratschversessenen, aber gutherzigen Journalisten als ständiger Kommentator durch den Film und ist einfach großartig und in seiner Spielfreude schön anzusehen.
Die 2009 verstorbene Tänzerin und Choreografin Pina Bausch kann hier zudem als blinde Prinzessin in einer ihrer wenigen Schauspielrollen betrachtet werden.
Fazit: Eine im Gesamtwerk des Maestros gern übersehene Perle. Ein beeindruckendes Märchen zwischen Tragik, Vergänglichkeit und Lebensfreude voller wunderbarer Bilder.
Punktewertung: 9,5 von 10 Punkten