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Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Montag, 16. Juni 2014

Ein erstes Zucken des Sleazemuskels

L'amante del vampiro (dt.: Die Geliebte des Vampirs; USA: The Vampire and the Ballerina)
I 1960
R.: Renato Polselli


Worum geht's?: In einem kleinen Dorf residiert unter der Obhut des väterlichen, alten "Professors" (Pier Ugo Gragnani) eine größtenteils aus jungen Mädchen bestehende Tanzgruppe.
Immer wieder wird eine der jungen Grazien Opfer eines des Nachts herumschleichenden Vampirs (Walter Brandi), doch außer die Mädchen ständig um Vorsicht zu ermahnen, wird sonst nichts gegen den umgehenden Blutsauger getan.
Da verirren sich in einem aufkommenden Unwetter die beiden Tänzerinnen Luisa (Hélène Rémy) und Francesca (Tina Gloriani) zusammen mit dem ihnen zugetanen Dörfler Luca (Isarco Ravaioli) in ein ebenso einsam gelegenes wie vermeintlich leeres Schloss.
Nur einen trockenen Unterstand erwartend, trifft man dort jedoch auf die ebenso attraktive, wie sonderbar joviale Comtessa (María Luisa Rolando) und deren wortkargen Helfer Herman.
Wo nun jeder Erstklässler schlussfolgern würde, dass man sich hier im Schlupfwinkel des gefürchteten Vampirs befindet; da sind unsere Helden leider etwas schwerer von Begriff.
Erst als sich gebleckte Fänge unter Geifern in Richtung der wohlgeschwungenen Hälse bewegen, greift Angst um sich und selbst die Flucht ins heimische Dorfdomizil hält die untoten Schrecken der Nacht nicht auf, sich neue Opfer zu suchen.



Wie fand ich's?: Renato Polselli (*1922; †2006) war nicht für seine feinfühligen Arthousefilme oder seine sozialpolitischen Allegorien innerhalb des italienischen Neorealismus bekannt. Wo andere sich um nützliche Substanz und fein abgeschmeckte Inhalte bemühten, da legte Polselli einfach ein, zwei Schüppen Sleaze nach und ab ging die Luzie.
Dass ihm dies des Öfteren Probleme mit Kritikern und Zensoren einbrachte, sah er wohl eher sportlich - Hauptsache, die Bahnhofskinokassen klingelten.
Wir erinnern uns: Nach dem 2. Weltkrieg bedurfte es einiger Zeit, bis Riccardo Freda und Maria Bava mit I vampiri das unter dem Duce verpönte Horrorgenre stilvoll nach mehreren Dekaden im Jahr 1954 wiederbelebten. Auch feierten nun die Universal-Klassiker der 30er und 40er-Jahre in Italien Erfolge und Dracula und Frankenstein waren endlich auch auf italienischen Leinwänden zu Hause.
Da liegt es auf der Hand, dass auch andere, weniger begabte Filmemacher, gern ein Stück vom großen Kuchen abhaben wollten und sich nach Möglichkeiten umschauten, den Zuschauern zusätzliche Schauwerte anzubieten.
So kamen mit Beginn der 60er Jahre einige Filme in die italienischen Kinos, welche das international beliebte (und bis heute reichlich überstrapazierte) Vampirfilmgenre mit den freizügigen Reizen junger Mädchen anreicherten, wobei die feschen Damen in der Regel (wenig) brave Tänzerinnen zu geben hatten, welche ihre Schwanenhälse den begierlichen Blicken adliger Blutsauger ausgesetzt sahen.
Polsellis L'amante del vampiro machte mit Piero Regnolis L'ultima preda del vampiro (I 1960 dt.: Das Ungeheuer auf Schloß Bantry) 1960 den Anfang, Roberto Mauris 1962 nachgeschobener La strage dei vampiri (I 1962 dt.: Die Rache des Vampirs) bildet dann den Abschluss einer imaginären Trilogie.
Spricht der amerikanische Verleihtitel von L'amante del vampiro von dem Vampir und der Ballerina (The Vampire and the Ballerina) so zeigt sich Polselli auch hier zeitbewusster, als der Titel einen vermuten ließe. Tatsächlich inszeniert Polselli recht zentral zwei ausgedehntere Tanzszenen, doch verfallen die Damen schnell in Bewegungen, welche auch zu meiner seligen Realschulzeit in den 80ern noch unter der Bezeichnung Jazz Dance firmierten.
Diese Szenen befähigen die Macher, ausgiebig junge Mädchen in schwarzen Netzstrümpfen mit Naht die wohlgeformten Beine schwingen zu lassen und wirken in dem ansonsten klar am Gothic-Horror von I vampiri orientierten Setting mit seinen Wäldern, Kutschen und Schlössern etwas deplatziert.
An dieser Stelle sollte ich anmerken, dass die Qualitäten von L'amante del vampiro klar in den atmosphärischen Schwarz-Weiß-Bildern zu finden sind, welche zwar sicherlich nie Bavas Meisterschaft erreichen, aber stringent hübsch anzusehen sind.
Neben den für die frühen 60er vielleicht frivolen Tanzszenen, streut Polselli noch einige interessante, kleine Plottwists ein, welche das Publikum zusätzlich bei der Stange halten und es die doch etwas ungelenk gefertigten Gummimasken der Blutsauger vergessen lässt.
Weitaus ansehnlicher als die dicken Latexgesichter ist María Luisa Rolando in der Rolle der verführerischen Komtess, welche immerhin zuvor eine winzige Rolle in Federico Fellinis Meisterwerk Le notti di Cabiria (I 1957 dt.: Die Nächte der Cabiria) bestritten hatte und in L'amante del vampiro starke Ähnlichkeit mit der Goddess of Italian Gothic Horror Barbara Steele aufweist, welche im selben Jahr mit Bavas La maschera del demonio (I 1960 dt.: Die Stunde wenn Drakula kommt) ihren Sprung in den Olymp tat.
Dieser blieb Polselli und seinen Mitwirkenden auch in den Folgejahren versagt, wurden doch Polsellis Werke immer grotesker und expliziter, was jedoch zumindest Darsteller Isarco Ravaioli nicht davon abhielt Polselli die nächsten zwanzig Jahre durch dick und dünn zu folgen.
Dieser nahm nach einigen anderen Filmen in Il mostro dell'opera (I 1964) erneut das Grundgerüst von L'amante del vampiro her, drehte 1965 mit Lo sceriffo che non spara (I 1965) seinen unvermeidbaren Beitrag zum Spaghettiwestern, stattete 1972 in La verità secondo satana (I 1972) einem Lusthaus teuflischer Begierden einen Besuch ab und schuf schließlich ebenfalls 1972 mit Delirio Caldo (I 1972 dt.: Das Grauen kommt Nachts; USA: Crime) sein wohl bekanntestes Werk, welches in Fankreisen (nicht nur hierzulande, aufgrund seiner berüchtigten Synchronisation) einen beinah legendären Ruf besitzt. Doch dies ist dann schon wieder eine ganz neue Geschichte...



Fazit: Freunde des italienischen Gothic-Horrors dürfen hier durchaus einen Blick riskieren. Solide Low-Budget-Kost mit Charme und Bein.



Punktewertung: 6,5 von 10 Punkten