BRD/E 1971
R.: Jesús Franco
Worum geht's?: Istanbul zu Beginn der siebziger Jahre.
Bereits bei ihrem reinen Anblick in einer frivolen Show auf der Bühne eines schummerigen Klubs verfällt die sensible Rechtsanwältin Linda (Ewa Strömberg) einer jungen Schönheit (Soledad Miranda).
Anscheinend kein völliger Zufall, trifft Linda doch die zarte Dame schon wenig später als Klientin in deren Landhaus wieder, wo sich diese als Gräfin Carody vorstellt, Erbin des Vermögens keines Geringeren, als des Grafen Dracula (von dem freilich die etwas naive Linda nie etwas gehört hat).
Immer tiefer gerät die Juristin in den Sog der unheimlichen Adeligen, deren stummer Diener Morpho (José Martinez Blanco), der einzige Mann ist, den die tödliche Venus in ihrer Nähe duldet und der Ausschau hält nach Störenfrieden, wie sie zum Beispiel in den Gestalten von Lindas Liebsten (Andrea Montchal) oder des sonderbaren Leiters mit einem Faible für Vampirismus eines benachbarten Sanatoriums namens Dr. Seward (Dennis Price) nahen.
Oder ist Linda am Ende doch nur eine sexuell frustrierte Frau, wie es Lindas quacksalbernder Analytiker Dr. Steiner (Paul Muller) behauptet, der während der gemeinsamen Therapiestunden gelangweilt Strichmännchen auf seinen Block kritzelt?
Wie fand ich's?: In einer amerikanischen Rezension zum ebenfalls sehr schönen Franco-Werk Paroxismus (UK/BRD/I 1969) habe ich unlängst einen wunderbaren Vergleich gelesen, den ich hier kurzerhand klauen und um eigene Gedanken erweitern möchte. So meint Scott Ashlin aka. El Santo auf seiner Webseite 1000 Misspent Hours and Counting, dass sich Francos Liebe zum Jazz auch auf seine Art des Filmemachens niederschlug. Franco variierte Ashlins Meinung nach größtenteils immer nur die gleichen Themen und Standards, die mitunter längst Traditionals waren (man denke an Dracula, Frankenstein, Mabuse oder Fu Manchu) und warf seine immer gleichen Figuren namens Linda, Lorna, Irina oder Morpho mit in den Mix. Nicht nur finde ich persönlich dieses Bild mit Blick auf Francos riesiges Gesamtwerk ungemein passend, er lässt sich auch wunderbar auf den hier besprochenen Vampyros Lesbos anwenden, der nicht nur mit einer Linda und einem Morpho, sondern auch mit einem großartigen Score aufwartet.
Schon in dem oben bereits erwähnten Paroxismus spielte Franco uns das Lied von dem, einer anderen, unheimlichen und todbringenden Person verfallenen Liebhaber, der durch ein traumartiges Istanbul (und dort auch Rio) wandelt und am Ende an seinem eigenen Dasein und seiner Realität zweifeln muss.
In Vampyros Lesbos erweiterte Franco das Grundmotiv um den bekanntesten Horrorfilmstandard überhaupt: Bram Stokers Figur des Grafen Draculas oder noch genauer dessen (bislang doch eher unbekannten) lesbischer Erbin.
Diese wird von Francos damaliger Muse Soledad Miranda (hier unter ihrem Pseudonym Susann Korda firmierend) mit vollem Körpereinsatz gegeben, welche nicht nur mit Franco im gleichen Jahr 1970 noch mehrere weitere Filme fertigstellte, sondern auch nach einem tragischen Autounfall im selben Jahr nur siebenundzwanzigjährig verstarb.
Neben ihr spielt die Schwedin Ewa Strömberg, die nach einigen Filmauftritten in ihrer Heimat in drei späten Edgar-Wallace-Reissern der Rialto Film unter der Leitung von Alfred Vohrer (vgl. Perrak) hierzulande Fuß fasste, bevor sie ab Der Teufel kam aus Akasava (BRD/E 1971) für fünf Filme zum Ensemble Jess Francos gehörte, die dieser maßgeblich für Artur "Atze" Brauners CCC-Film oder die ebenfalls deutsche Tele-Cine Film und Fernsehproduktion drehte. Die letzte dieser fünf praktisch im selben Jahr entstandenen deutsch/spanischen Coproduktionen in der die Strömberg mitwirkte war der unglaubliche Dr. M schlägt zu (BRD/E 1972), ein Film, den man schon allein wegen seiner offenbar noch vom letzten Kinderkarneval übrig gebliebenen Kostüme sehen sollte.
Insgesamt ist Vampyros Lesbos einer der deutlich besten Filme dieser (mittleren) Phase im Gesamtwerk Francos - wenn man so will, fügen sich alle Elemente recht harmonisch zu einer gelungenen, verträumt erotischen Gesamtmelodie zusammen. Dass Franco handwerklich Besseres gemacht hat, wurde in diesem Blog bereits bezeugt (s.h. Rififí en la Ciudad), er gern bloßes Mittelmaß ablieferte auch (s.h. Rote Lippen, Sadisterotica) dass er jedoch gern auch mal daneben griff allerdings ebenfalls (vgl. Die sieben Männer der Sumuru).
Fazit: Schwül, verträumter Erotikhorror für heiße Sommerabende. Auf ins Istanbul der 70er, wo die Vampire sexy und alle Hoteldiener gefährliche Psychopathen waren.
Punktewertung: 7,75 von 10 Punkten