Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Donnerstag, 25. Juni 2020

Lieber den Spatz im Sumpf als die Taube auf dem Dach

Sparrows (Sperlinge Gottes)
USA 1926
R.: William Beaudine / Tom McNamara (uncredited)


Worum geht's?: In einem alligatorverseuchten Sumpf betreibt der diabolische Alte Grimes (Gustav von Seyffertitz) mit seiner Frau und seinem sadistischen, jugendlichen Sohn (Spec O'Donnell) eine sogenannte "Baby-Farm". Hier geben arme Familien ihre Kinder zusammen mit dem wenigen, zu erübrigenden Kostgeld ab, andere sind Waisen, welche zusammen mit den erstgenannten die Felder der Farm bestellen und von den Grimes' dafür geradeso am Leben erhalten werden.
Als Mutterersatz fungiert die Heranwachsende Molly (Mary Pickford), welche die wesentlichen jüngeren Kinder durch ihren christlichen Glauben und selbstlose Zuwendung über die Tage bringt.
Jedoch ahnt Molly nichts vom neuesten Plan des Alten, welcher eines dunklen Abends das Baby reicher Eltern kidnapped und in ihre Obhut gibt.
Wenige Zeit später packt Grimes jedoch nach einem Zeitungsartikel die Panik,und er entscheidet kurzerhand, das Kleinkind bei nächster Gelegenheit lebendigen Leibes im Sumpf zu versenken.
Vom Vater losgeschickt, wird die seinem eigenen Sohn überlassene Mordtat von der geschockten Molly verhindert, welche darauf zu allem entschlossen aufbricht, mit den Kindern in der Dunkelheit von der Farm zu flüchten - verfolgt von einem tobsüchtigen Grimes und dessen mörderischen Spießgesellen.
***

Wie fand ich's?: Im Jahre 1926 war Mary Pickford (* 1892; † 1979), welche eigentlich Gladys Louise Smith hieß, bereits einer der größten Stars und Großverdiener Hollywoods. 1919 hatte sie zusammen mit Chaplin, D. W. Griffith und ihrem Gatten Douglas Fairbanks die Filmgesellschaft United Artists gegründet und war damit zu einer der mächtigsten Frauen im internationalen Filmgeschäft aufgestiegen.
Pickford war bei ihren Fans besonders in der Rolle des einfallreichen, armen, jugendlichen Mädchens mit den Zöpfen (the girl with the curls) beliebt, eine Figur, die sie bereits in unzähligen (Kurz-)Filmen gespielt hatte, welche aber die nun in ihren Dreißigern Angekommene gern hinter sich gelassen hätte, nun in ihrem vorletzten Stummfilm erneut bedienen sollte.
Auf dem Regiestuhl saß der zu dieser Zeit ebenfalls bereits etablierte William Beaudine (* 1892; † 1970), welcher sich erste Meriten als Assistant-Director bei Pickfords Geschäftspartner Griffith verdient hatte.
Beaudine sollte allerdings mit seinem Star schon bald aneinanderrasseln, beklagte sich Frau Pickford doch, dass ihr Regisseur die Sicherheit am Set stark schleifen ließe und ihr die Alligatoren im actionbetonten Finale gefährlich nahegekommen seien (was andere Stimmen jedoch verneinen). Zur Folge hatten die Streitigkeiten am Set wohl, dass Beaudine an den Rande seiner Belastungsgrenzen gelangte und vorzeitig das Handtuch warf, sodass sein Assistant-Director Tom McNamara die Dreharbeiten beenden musste. Außerdem setzte Pickford Beaudine für weitere Produktionen der United Artists auf ihre ganz persönliche Blacklist, sodass dies sein letzter Film für die aufstrebende Firma sein sollte.
In den ersten Jahren des Tonfilms sollte Beaudine sich in Großbritannien verdingen, nur um nach seiner Rückkehr im Jahre 1937 festzustellen, dass er nun in den USA keinerlei Starstatus besaß und ihm die Studios keine großen Projekte mehr anboten. Durch Steuerschulden und Fehlinvestments in die finanzielle Bredouille geraten, nahm er 1940 ein Angebot zu einer Low-Budget-Produktion an und sollte bis zu seinem Karriereende nur noch B-Filme drehen. Hässliche Kritiker versahen ihn mit dem Spitznamen 'One-Shot' Beaudine, sagte man ihm doch (wohl meist fälschlich) nach, aus Kostengründen stets aus die erste Einstellung zu verwenden.
Seine letzten beiden Filme sollten die direkt hintereinander hinuntergekurbelten Westernhorrorstreifen Billy the Kid versus Dracula (USA 1966) und Jesse James Meets Frankenstein's Daughter (USA 1966) sein, wovon ersterer der einzige Film sein sollte, welchen (B-)Filmlegende John Carradine in späteren Interviews als des Bereuens wert angab.
Mit Sparrows allerdings hatte Beaudine vier Jahrzehnte zuvor ganz großes geschaffen, vereint der Film doch den Deutschen Expressionismus mit einem ersten Wetterleuchten über den unheilvollen Sümpfen des Backwood-Subgenres.
Und wenn in einer (Traum-)Szene zur Mitte des Films der große J. C. persönlich aus dem Himmel steigt, um einen verhungerten Säugling zu sich zu holen, bleibt kein Auge trocken. Ein Beweis für Pickfords eigenen Glauben, und ein Beweis dafür, dass man stets daran Glauben kann, im Stummfilm noch echte WTF-Momente finden zu können!

***

Fazit: Ein wiederzuentdeckender Klassiker des amerikanischen Stummfilms von zwei sehr unterschiedlichen Könnern ihrer Zeit.

Punktewertung: 8,75 von 10 hungrigen Mäulern