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Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Montag, 13. August 2012

Was sind denn das für Geschichten?

Die Handschrift von Saragossa (Rekopis znaleziony w Saragossie)
PL 1965
R.: Wojciech Has

Worum geht's?: Die Napoleonischen Kriege. Ein Soldat findet auf der Flucht vor gegnerischen Truppen in einem Haus ein seltsames, dickes Buch mit wunderschönen Zeichnungen, welche ihn so in Besitz nehmen, dass er auch nicht von ihnen ablassen will, als feindlichen Soldaten ihn gefangen nehmen wollen.
Der Anführer des gegnerischen Trupps beginnt ebenfalls in der Handschrift zu lesen und muss erkennen, dass der Foliant von seinem Großvater Alfonse van Worden (Zbigniew Cybulski) handelt, einem Kapitän der wallonischen Wache, welcher die spanische Sierra Morena auf dem Weg nach Madrid durchquert, allerdings in Venta Quemada, einem Gasthaus in Nähe einer Hinrichtungsstätte auf einem Berg, haltmacht.
Hier begegnet er zwei islamischen Prinzessinnen (Iga Cembrzynska und Joanna Jedryka), die seine Cousinen sein wollen, versuchen ihn zu verführen und im Zuge fordern, er solle seinem christlichen Glauben absprechen, um sich mit ihnen vermählen zu können.
Nach einem Schluck aus einem Kelch, der aus einem menschlichen Schädel gemacht wurde, erwacht Alfonse jedoch unvermittelt unter den Galgen, an denen zwei berüchtigte Banditen baumeln: die Zoto Brüder.
Auf seinem weiteren Weg begegnet Alfonse einem Eremiten (Kazimierz Opalinski), der zusammen mit einem besessenen Ziegenhirten namens Pacheco (Francisek Pieczka) in einer Hütte haust.
Pacheco erzählt seine Geschichte und man erfährt, dass auch er von den beiden Prinzessinnen bezirzt wurde und in der Folge sogar sein Auge verloren hat.
Wieder auf seinem Weg in die große Stadt wird Alfonse von der Inquisition verhaftet, aber gleich darauf von den Prinzessinnen und den zuvor tot am Galgen baumelnden Zoto Brüdern befreit.
Als Alfonse in der Behausung der Schönheiten wieder einen Schluck aus dem Schädelkelch nimmt, erwacht er erneut unter den Galgen, diesmal mit einem jüdischen Kabalisten (Adam Pawlikowski) an seiner Seite zu dessen Schloss man aufbricht.
Bald werden sie von einem skeptischen Mathematiker (Gustaw Holoubek) begleitet, der zuvor von der Inquisition fast ebenfalls verhaftet wurde, weil diese ihn für den flüchtigen Alfonse hielten.
Im Schloss des Kaballisten angelangt, findet man sich dort schnell auf einer Festivität wieder, an der auch eine Gruppe Zigeuner teilnimmt.
Der Anführer des fahrenden Volks beginnt seine Geschichte zu erzählen, aus der viele weitere Geschichten entspringen, sich miteinander verzahnen und immer wieder Bezüge zur Gegenwart aufzeigen.
Nachdem der Zigeuner seine Geschichten (und die Geschichten in den Geschichten, welche nicht unbedingt von ihm selbst erzählt werden...) beendet hat, wird Alfonse zum Gasthaus Venta Quemada gerufen.
Er trifft die Prinzessinnen und einen Scheich, der ihm erklärt, dass seine Töchter nun von Alfonse schwanger wären und alles, was er zuvor erlebt hätte, sei ein ausgeklügeltes "Spiel" gewesen um Alfonses Charakter zu testen.
Dann erwacht Alfonse wieder unter dem Galgen - und alles scheint vielleicht erneut zu beginnen...

Wie fand ich's?: Mit einer Laufzeit von fast drei Stunden ist Has Verfilmung des Romans von Jan Potocki ein Mammutwerk, welches vom Zuschauer auch durchgesessen werden muss.
Angelegt als Geschichte, welche unzählige weitere Geschichten auf mehrfachen Ebenen gebiert, kann man der Erzählung mitunter nur schwer folgen und die oben stehende Synopsis beschränkt sich ledig auf den oberflächlichen Rahmen.
Gerade im kunstvoll verschachtelten zweiten Teil, der, durch eine Texttafel eingeläutet, nach der Ankunft im Schloss des Kabalisten beginnt, ist es dem Erstseher kaum möglich alle handelnden Personen sofort zu überblicken, geschweige denn, alle Bezüge zu verstehen.
Was haben wir hier also?
Ein Labyrinth von Geschichten, in dem der Zuschauer sich schnell verlieren kann, doch wenn er am Ende einen Ausgang erreicht, steht er wieder da, wo er am Anfang hineingekommen ist.
Das Grundthema scheint das Leben selbst zu sein; die Wahrheiten, die man zu kennen glaubt, sind für den anderen nur Hirngespinste. Es gibt verschiedene Ansätze das Dasein zu verstehen, den des Okkultisten, den des Skeptikers, den des Verliebten, den des Träumers und den des Fatalisten.
Alle finden ihren Weg, doch jeder, so wird am Ende des Films klar, muss sein eigenes Buch des Lebens schreiben. Dabei kann jeder vom anderen Lernen, der Jude ebenso vom Moslem, wie der Moslem vom Christen - und umgekehrt, natürlich.
Has Film glänzt neben dem tiefgründigen Inhalt auch mit fantastischen, detailreichen Sets und großartiger Fotografie und Vergleiche mit den bunten, lebensfrohen Episodenfilmen eines Pier Paolo Pasolinis, wie z. B. Il Decameron (I 1971 dt.: Decameron), dem ersten Teil seiner Trilogie des Lebens, drängen sich besonders für die liebeskomödienhafte zweite Hälfte auf.
In der Hauptrolle kann man den James Dean Polens, Zbigniew Cybulski, begutachten. Dieser spielte in Andrzej Wajdas Popiól i diament (PL 1958 dt.: Asche und Diamant) den jungen Rebellen und verstarb im Alter von 39 Jahren bei dem Versuch auf einen fahrenden Zug aufzuspringen.

Fazit: Ein ausuferndes Labyrinth voller wunderschöner Winkel, dessen Durchqueren ebenso ermüdent, wie unterhaltsam und erbaulich sein kann.

Punktewertung: 8,25 von 10 Punkten