Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Donnerstag, 13. September 2012

Tödliche Machtprobe

Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger (Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto)
I 1970
R.: Elio Petri

***

Worum geht's?: Ein Mann (Gian Maria Volonté) tötet seine Geliebte (Florinda Bolkan).
Nach der Tat beginnt er in fast jedem Raum Spuren zu hinterlassen; so reißt er absichtlich einen Faden aus seiner blauen Seidenkrawatte, stiehlt den Schmuck der Frau, lässt aber eine größere Summe Bargeld liegen und macht sich dabei keinerlei Gedanken über die von ihm überall vorhandenen Fingerabdrücke.
Sodann informiert er gelassen die Polizei von der Tat und spaziert langsam aus dem Haus, jedoch nicht ohne einen Nachbarn, den jungen, studentischen Revolutionär Antonio (Sergio Tramonti), noch ebenfalls auf sich aufmerksam zu machen.
Nun fährt er gelassen zu seiner Arbeitsstelle, wo man bereits Feierlichkeiten für seine Beförderung vorbereitet hat.
Der Mann ist "Il Dottore", der Chef des Morddezernats, welcher aufgrund seiner Leistungen nun zur inneren Sicherheitsabteilung befördert wird und damit noch mehr Macht erlangt.
Eine gefährliche Stellung für einen Soziopathen, der einen Mord begeht, nur weil er sich sicher ist, aufgrund seines Standes mit der Tat davonzukommen. 
Immer obsessiver hinterlässt er Hinweise auf seine Täterschaft, bis hin zum wörtlichen Geständnis - doch niemand scheint seinen Spuren nachgehen zu wollen.
Er ist halt ein über jeden Verdacht erhabener Bürger...

Wie fand ich's?: Elio Petri war Regiegenie und Kommunist.
Mit diesem Film begründete er seine politische Trilogie der Neurosen, welche mit La classe operaia va in paradiso (I 1971 dt.: Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies) und La proprietà non è più un furto (I 1973) fortgesetzt wurde.
So ist Indagine... neben einer Abrechnung mit den immer noch in Italien herrschenden Faschisten, auch eine böse Satire über Standesdünkel, Leistungsgesellschaften und eben die Neurosen der Gesellschaft.
Gian Maria Volonté brilliert als ebenso unheimlich böser, wie unglaublich widerlich neurotischer Machtmensch, der ständig sein Amt und seine Mitmenschen missbraucht, nur um zu sehen, dass er es kann.
Dabei ist er nicht nur völlig unfähig eine Person zu lieben und obendrein sexuell impotent, er verlangt auch anstelle von Sex ständig das Nachstellen bizarrer Leichenfunde von seiner Geliebten.
Petri zeigt einen pervertierten Machtapparat, der sich gegenseitig stützt und in dem das Wort "Rechtsstaat" längst zur Lüge verkommen ist.
Am Ende des Films treibt Petri die Story durch einen kleinen Kunstgriff vollkommen auf die Spitze und das Publikum darf sich fragen, ob es diesen Trick wirklich hat kommen sehen, oder ob es dieses Handeln der Vorgesetzten und Kollegen des "Dottore" tatsächlich als real ansehen würde.
Der Film lässt die letzte Konsequenz für den Antihelden offen, und überlässt es dem Zuschauer, sein eigenes Weltbild ans Ende der Handlung zu projizieren.
Neben der grandiosen Story bietet der Film zusätzlich wunderbar komponierte Bilder, große Schauspielkunst und einen eingängigen Score von Maestro Ennio Morricone, der im Ohr bleibt und, einmal gehört, nicht mehr aus dem Kopf zu bekommen ist (und über JAhre der Klingelton meines Smartphones war).
Florinda Bolkan, die hier die weibliche Hauptrolle besetzt, ist Kennern des italienischen Films sicher nicht unbekannt, und dürfte regelmäßigen Lesern dieses Blogs bereits hier untergekommen sein: http://dieseltsamefilme.blogspot.de/2012/05/die-obsessionen-des-jean-sorel.html.

Fazit: Böses Meisterwerk mit ätzendem Humor - handwerklich perfektes Politkino, dass lange nachwirkt.

Punktewertung: 9,5 von 10 Punkten