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Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Dienstag, 13. November 2012

Initiation in die Traumwelt

Walkabout
GB 1971
R.: Nicolas Roeg

 
Worum geht's?: "In Australia when an Aborigine man-child reaches sixteen, he is sent out into the land. For months he must live from it. Sleep on it. Eat of its fruit and flesh. Stay alive. Even if it means killing his fellow creatures. The Aborigines call it the Walkabout. This is the story of a Walkabout."
Vater (John Meillon) nimmt seine beiden Kinder, ein etwa 14-jähriges Mädchen (Jenny Agutter) und ihren etwa halb so alten Bruder (Luc Roeg - Sohn des Regisseurs), mit ins australische Outback.
Doch aus dem vorgeblichen Wunsch nach einem friedlichen Picknick wird ein grausames Drama, als Vater plötzlich auf die Kinder schießt, den Familienwagen in Brand steckt und schließlich selbst tot im roten Wüstensand liegt.
Nun irren die Kinder, unter Führung des Mädchens, durch die wundersame Landschaft, stetig auf der Suche nach Wasser und Nahrung.
Als alles verloren scheint, taucht plötzlich ein junger Aborigine (David Gulpilil) am Horizont auf. Der Junge befindet sich auf seinem Walkabout und nimmt die beiden in der Hitze Gestrandeten mit sich, auf seiner Reise über die Songlines, die Traumpfade der Ureinwohner.
Entlang des Weges finden die Reisenden neue Erfahrungen, Erkenntnisse, Emotionen, aber auch zerbrochene Träume, Schmerz und sogar den Tod.


Wie fand ich's?: Roeg kann man getrost zu den großen Ausnametalenten des britischen Films gerechnet werden.
Er begann seine Karriere als Kameramann am Set von Meisterwerken wie David Leans Lawrence Of Arabia (GB/USA 1962 dt.: Lawrence von Arabien) oder Truffauts Fahrenheit 451 (F 1966), bevor er an der Seite von Donald Camell beim surrealen Kultthriller Performance (GB 1970) mit Mick Jagger, James Fox und Anita Pallenberg das erste Mal Regieführen sollte.
Bei Walkabout nahm Roeg bereits ein Jahr später allein auf dem Regiestuhl Platz und schuf einen Film, der in oft assoziativen Schnittcollagen die Gegensätze von Natur, Ureinwohnern, deren Traditionen und dem was wir gemeinhin Zivilisation nennen, aufzeigt.
Vieles in Roegs Film ist tatsächlich improvisiert und dem Zufall geschuldet, umfasste das Drehbuch doch nur die lächerliche Anzahl von 14 Seiten.
Roeg arbeitet in Walkabout ständig mit dem Aufzeigen von Dualismen, bedient sich dabei einer fast instinktgesteuerten Montage und schafft so am Ende ein kunstvoll, verschlungenes Drama mit glaubwürdigen, menschlichen Charakteren und wunderschönen Naturbildern.
Dass die sogenannte Zivilisation der weißen Männer dabei praktisch ständig als Negativbeispiel herhalten muss, steht wohl von vornherein außer Frage.
Unterstrichen wird das Ganze von einem fabelhaften Score John Barrys, der der Mehrheit wohl in erster Linie für seine Kompositionen innerhalb der James-Bond-Reihe bekannt sein wird. Weiterhin werden Teile der Hymnen Karlheinz Stockhausens verwendet, in denen sich ebenfalls collagenartig Töne, Worte und Klänge zu einem weltmusikalischen Gesamtbild zusammensetzen.
Neben Roegs Sohn Luc (in den Credits als Lucien John gelistet), welcher in späteren Jahren als Produzent ins Filmbusiness zurückkehren sollte und dessen bisher einziger Filmauftritt vor der Kamera in Walkabout stattfinden sollte, debütierte ebenfalls David Gulpilil in der Rolle des jungen Aborigines, ein seither viel beschäftigter australischer Schauspieler, der aufgrund seiner Abstammung fast immer die gleichen Rollen bekommt und auch Peter Weirs wundersamen The Last Wave (AUS 1977 dt.: Die letzte Flut) weiter aufwertete - dies ist auch ein kleiner Tipp für ein unterhaltsam verstrahltes Doublefeature. 
In letzter Zeit macht Gulpilil traurigerweise mehr durch häusliche Gewalt und Alkoholprobleme von sich reden...
Der ursprüngliche Star des Films ist aber eigentlich Jenny Agutter, deren ästhetische Nacktszenen in Walkabout noch heute in den Foren der iMDb zu regen Diskussionen führen. Tatsächlich wurde der Film aber wegen dieser full-frontal nudity ursprünglich mit einem R-Rating (d. h.: Jugendliche unter 17 Jahren dürfen den Film nur in Begleitung eines Erwachsenen sehen) versehen, aufgrund eines Antrages wurde aber später die Bewertung auf ein PG-Rating (die Begleitung durch einen Erwachsenen ist hier lediglich eine gut gemeinte Empfehlung...) heruntergestuft.
Agutter war beim Dreh des Films, genau wie David Gulpilil, an der Schwelle zur Volljährigkeit und warnte ihre Eltern vor Besuch des Films schon mal vorsichtshalber vor, doch sollte sie später nie angeben, die Szenen jemals bereut zu haben.
Einer der Päpste der amerikanischen Filmkritik, Roger Ebert, nannte Walkabout "one of the great Films" und sagte weiter: "no one who saw Walkabout has ever forgotten it". 
Stimmt.


Fazit: Traumwandlerisch schön und traumhaft verträumt. Das etwas andere Coming-of-Age-Drama!

Punktewertung: 9,75 von 10 Punkten