MEX 1957
R.: Fernando Méndez
Worum geht's?: Von der Nachricht über den schlechten Gesundheitszustand ihrer Tante verunsichert, kommt die junge Mexikanerin Marta (Ariadna Welter) auf dem abgelegenen Bahnhof ihres Geburtsorts an und sucht vergeblich nach einer Möglichkeit zur Weiterreise.
Scheinbar gestrandet, macht sie schnell Bekanntschaft mit einem sympathischen Herrn namens Enrique (Abel Salazar), der ebenfalls auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit ist und praktisch das gleiche Reiseziel hat.
Glücklich nimmt man da die Ankunft einer Kutsche auf, die eine sonderbare Kiste aus dem fernen Ungarn auflädt und deren mürrischer Kutscher sich tatsächlich breitschlagen lässt die beiden Reisenden ein Stück des Weges mitzunehmen, sie jedoch wenig später recht unvermittelt im nebligen Wald stehen lässt.
Zu Fuß gelangt man endlich an die Tore der Hazienda, muss jedoch erkennen, dass Tantchen schon in der Familiengruft beigesetzt sein soll. Ein schwaches Herz und die paranoide Angst vor Vampiren habe sie in ein frühes Grab gebracht, so weiß der besonnene Onkel Emilio (José Luis Jiménez), während Tante Eloisa (Carmen Montejo), die auch des Nachts gern mal durch die wabernden Nebel wandert, das im Verfall begriffene Anwesen verkaufen möchte.
Dazu infrage käme der lichtscheue Nachbar Duval (Germán Robles), ein Nachtmensch im Cape, der auch der Empfänger der seltsamen Kiste und Arbeitgeber des grimmigen Kutschers ist.
Marta wie Enrique dämmert schon bald, dass die gute Tante allen Grund zum Verfolgungswahn hatte und sich hier der schöne Spruch erfüllt: "Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind!"
Wie fand ich's?: Holla, ist dies tatsächlich der erste Vampirfilm, in dem Freunde des internationalen Blutsaugerstreifens die berühmten Fangzähne zu sehen bekommen, wie es der amerikanische Wikipediaeintrag und diverse Blogs wissen wollen?
Nein! Denn wer hat's erfunden? Richtig - die Türken! Wo Bela Lugosi in Tod Brownings Dracula (USA 1931) noch ein perfektes Gebiss ohne Auffälligkeiten sein Eigen nannte, da hatte sein osmanisches Alter Ego in Drakula Istanbul'da (TK 1953 R.: Mehmet Muhtar) bereits den heute ikonografische Reißzahnkiefer, wenn die Hauer dort allerdings noch etwas schief standen... Wenn man ganz genau sein möchte, kann man natürlich bereits Max Schreck in Murnaus stummen Meisterwerk Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens (D 1922) den Innovationspreis zuschustern, jedoch saßen dort die Beißer ja eher mittig... Egal, die im Internet kursierende Legende sei somit im Zusammenhang mit Mexikos frühem Beitrag zum Vampirgenre jedenfalls zunächst erst mal doppelt widerlegt.
Trotzdem bietet El Vampiro neben hündischen Eckzähnen noch jede Menge anderer Schauwerte. Nebelverhangene Landschaften, alte Haziendas voller antiker Spinnweben, gespenstische Tanten mit langen Haaren und Kruzifixen - hach, schön.
Und dies alles immerhin schon drei Jahre bevor Mario Bava mit seinem La maschera del demonio (I 1960 dt.: Die Stunde wenn Drakula kommt) die Messlatte für Gothic Horrorfilme verdammt hoch hing. An diesen reicht Fernando Méndez Werk in meinen Augen zwar nicht ganz heran, es punktet aber trotzdem in den Bereichen Atmosphäre und eigenständiger Charme.
Méndez bedient sich als Grundgerüst seiner Handlung anfangs bei der zweiten Hälfte des Tod Browning Klassikers von 1931, in welcher der Vampir sein Domizil in der Nachbarschaft der Protagonisten gefunden hat, welches Méndez kurzerhand einfach von London in die mexikanische Sierra Negra verlegt.
Doch nicht nur das Script wurde von Brownings Film beeinflusst, auch das Outfit des Vampirs wurde bei Lugosi abgeguckt.
Hier enden dann aber auch die Gemeinsamkeiten mit dem Universal-Klassiker und El Vampiro kommt mit einigen interessanten eigenen, wenn auch vielleicht etwas befremdlichen, Ideen um die Ecke. Da wird eine Person lebendig begraben, die Vampire betätigen sich als Giftmischer und ein Blutsauger wird bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt. Anders als in den kurz nach El Vampiro entstandenen Hammer Produktionen verzichtete man hier fast gänzlich auf den Einsatz von Kunstblut und nähert sich somit doch wieder der 31er Verfilmung an.
Es gibt also viel Schönes in diesem Kleinod aus dem Land der Luchadores zu entdecken. Trotzdem wurde Méndez Beitrag von den eben bereits angesprochenen Hammer Filmen in der internationalen Wahrnehmung fast gänzlich verdrängt. Wo die Streifen mit Christopher Lee und Peter Cushing Farbe, Grand Guignol und (später) Erotik boten, hatte Vampiro lediglich eine abgewandelte und modernisierte Interpretation des 30er Jahre Bühnenstücks von Hamilton Deane und John L. Balderston zu bieten, auf das Tod Browning seinen Film aufbaute.
So kann man El Vampiro und Drakula Istanbul'da durchaus als oft ignorierte Verbindungsstücke zwischen den Vampirfilmen von Universal und Hammer ansehen, wobei beiden Werken damit in meinen Augen nicht wirklich Genüge getan wird.
Da Vampiro wohl zumindest in seiner Heimat etwas kommerzieller Erfolg beschieden war, haute Regisseur Fernando Méndez bereits ein Jahr später ein eilig heruntergekurbeltes Sequel namens El ataúd del Vampiro (MEX 1958 dt.: Der Sarg des Vampiro) raus, in dem Germán Robles nach seinem Filmdebüt im ersten Teil ein zweites Mal vor der Kamera stand und ihn in die gleiche Schublade wie seinen britischen Kollegen Christopher Lee beförderte, bis er u. a. als Synchronsprecher Michael Knights Wunderauto KITT in der lateinamerikanischen Sprachfassung von Knight Rider (USA 1982-1986) seine sonore Stimme leihen durfte und später in unzähligen Telenovelas auftauchte - dies freilich ohne Fänge im Gesicht....
Fazit: Auch in Mittelamerika wird kraftvoll zugebissen: dank Fernando Méndez, der hier einen in unseren Breiten viel zu wenig bekannten Klassiker des Gruselfilms schuf.
Punktewertung: 8 von 10 Punkte