BRD 1973
R.: Samuel Fuller
Worum geht's?: Ein Amerikaner namens Johnson wird in der Bonner Beethovenstraße erschossen, der Täter befindet sich daraufhin in Polizeigewahrsam. Da man die Tat mit internationalem Rauschgiftschmuggel in Verbindung bringt, wird der gleichermaßen gewiefte wie leichtlebige Zollfahnder Kressin (Sieghardt Rupp) mit der Aufklärung des Falls beauftragt.
Im Leichenschauhaus trifft dieser auf Johnsons Partner, den sympathischen Privatdetektiv Sandy (Glenn Corbet), der Kressin über einen international agierenden Erpresserring in Kenntnis setzt, welche Johnsons und Sandys Auftraggeber, einen aufstrebenden, linken US-Politiker (Samuel Fuller höchstselbst), mit ebenso erotischen wie kompromittierenden Fotos zu hohen, monatlichen Geldzahlungen nötigt.
Gemeinsam macht man sich auf den Weg, den im Krankenhaus befindlichen Mörder Johnsons, Charlie Umlaut (Eric P. Caspar), befragen zu wollen, doch kann dieser kurz zuvor seinen Bewachern entfliehen und schießt auf der Flucht seinem Verfolger Kressin gleich noch eine Kugel in die Schulter.
Nun ans Krankenbett gefesselt, lässt Kressin notgedrungen den findigen Amerikaner allein ihrer einzigen Spur nachgehen, dem Aufenthaltsort einer hübschen Erpresserin (Christa Lang) mit einem erdbeerförmigen Muttermal auf dem schlanken Oberschenkel, das auf den Erpressungsfotos stets gut zu erkennen ist.
Mithilfe eines Fotografen (Hans-Christoph Blumenberg) gelingt es Sandy, sich nach und nach in die Erpresserorganisation einzuschleichen, doch ist deren Kopf Mensur (Anton Diffring) ein kriminelles Mastermind mit vorzüglichen Fechtkenntnissen, dass man nicht so leicht mit einer schlichten Finte hinters Licht führen kann.
Wie fand ich's?: Allein die Figur des Zolloberinspektors Kressin wäre interessant genug ihr einen Blogeintrag zu widmen. In nur sieben Folgen und drei Gastauftritten (von 1971-1973) durfte der Österreicher Sieghardt Rupp als hauptermittelnder Zollfahnder in Deutschland und Umland so manchen Stein umdrehen, stets auf der Suche nach dem von Ivan Desny gespielten, distinguierten Überganoven Sievers, der ihm doch noch immer in letzter Sekunde entrinnen kann. Dieses Element sowie sein leichter Lebenswandel (Alkohol und Zigaretten galore) und der Hang jedem Rock nachzulaufen (in der Debütfolge Kressin und der tote Mann im Fleet [BRD 1971 R.: Peter Beauvais] nistet er sich gleich bei zwei verheirateten, jungen Damen, gespielt von Eva Renzi und Sabine Sinjen, ein), mag an James Bond erinnern, seine antiautoritäre Haltung seinen Vorgesetzten gegenüber und die Bereitschaft auch mal die Fäuste sprechen zu lassen nimmt bereits eine Dekade zuvor die Attitüde von Götz Georges Ruhrpott-Rambo Horst Schimanski vorweg.
Doch bildet die Tatortfolge Tote Taube in der Beethovenstraße eine gravierende Ausnahme in der gesamten Fernsehreihe und ist eher als interessantes Experiment zu sehen.
Für die 25. Folge der Serie, also praktisch zum Jubiläum, holte man sich den Amerikaner Samuel Fuller auf den Regiestuhl, der auch gleich eigenhändig das Drehbuch schrieb. So wurde die Figur Kressins zum Alibicharakter degradiert, der Fullers Script halbherzig mit der Serie verbindet, allerdings tatsächlich nur eine sehr geringe Screentime innehat. Der wirkliche Hauptdarsteller sollte der aus Western bekannte Glenn Corbett (*1933; †1993; eigtl.: Glenn Rothenburg) werden, der Fuller schon sein Kinodebüt in The Crimson Kimono (USA 1959) zu verdanken hatte.
Für den musikalischen Score versicherte man sich der Krautrocklegende Can (im Abspann als The Can gelistet, obwohl die Band den Artikel im Namen bereits einige Zeit zuvor abgelegt hatte).
In der Rolle der Femme fatale Christa ist die zweite Ehefrau Fullers, Christa Lang, zu sehen, welche in mehreren von Fullers Filmen der 80er Jahre mitspielte und auch 1967 in Chabrols Le scandale (s. h. Le scandale) mitwirkte.
Tatsächlich lässt das zynische Ende Tote Taube in der Beethovenstraße starke Bezüge zum Film Noir erkennen, ebenso wie die Figur des Übergangsters Mensur an den Megabösewicht Ernst Stavro Blofeld aus den James Bond Filmen erinnert, besonders wenn dieser in einer Szene eine Videokonferenz mit seinen weltweit agierenden Untertanen abhält. Es wäre interessant zu erfahren, ob sich Fuller hier an der o . g. Figur des snobistischen Bandenchefs Sievers aus den anderen Tatortfolgen mit Kressin orientierte, oder ob diese Figur bereits im Vorhinein von ihm selbst stammte.
Das Publikum reagierte verstört auf Fullers Film. Zu konfus und an den Sehgewohnheiten vorbei soll dieser ausgefallen sein, dabei wirkt die längere Fassung des Regisseurs, welche in den USA auch unter dem Titel Dead Pigeon On Beeehenthoven Street in die Kinos kam, gar noch verspielter und zerfahrener, als die Schnittfassung für das deutsche Fernsehen.
Beide Fassungen leben letztendlich von Fullers sarkastischem, ja, im Ende gar zynischen, Humor, seinem Experimentierwillen und der Bereitschaft eine kohärente Geschichte zugunsten einer gedrückten Atmosphäre zu opfern. So wird ausgerechnet ein rheinischer Karnevalsumzug zum Ort einer gewaltsamen Rache, was sich in der Mache als schwerer als gedacht herausstellte, da Fuller sich den für den Dreh nachgestellten Event umständlich erbetteln musste. Erst eine Spende in Höhe von 5000,- DM erweichte das Herz der Karnevalsgesellschaft "Kuniberts Ritter" und ja, das war damals viel Geld...
Der damalige Misserfolg scheint die Tatortmacher bis heute davon abzuhalten erneut im Ausland nach außergewöhnlichen Regisseuren zu suchen, die der seit über 40 Jahren laufenden Serie neue Impulse, Aspekte und Ideen schenken könnten - was nun wirklich schade ist.
Fazit: Eine bemerkenswerte Ausnahmeerscheinung in über 40 Jahren Tatort. Nicht perfekt, aber aufgrund seiner Originalität hoch interessant.
Punktewertung: 7,5 von 10 Punkten