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Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Sonntag, 8. März 2020

Someone to hear your prayers - Someone who cares

De komst van Joachim Stiller (eng.: The Arrival of Joachim Stiller)
B/NL 1976
R.: Harry Kümel


Worum geht's?: Antwerpen. Der Journalist Freek Groenevelt (Hugo Metsers) wird Zeuge einiger sonderbarer Vorkommnisse: seltsam gepflegte Straßenarbeiter reißen ohne erkennbaren Grund das Pflaster vor einem Café auf und schließen es direkt darauf einfach wieder, in der Straßenbahn betätigt eine scheinbar unsichtbare Person mehrfach hintereinander das Ausstiegssignal, ohne dass jemand die Bahn verlässt.
Als Groenevelt seine Beobachtungen in einem Zeitungsartikel veröffentlicht, kontaktiert ihn der Leiter des Öffentlichen Dienstes, Schepen Keldermans (Gaston Vandermeulen), der ähnliche Erfahrungen gemacht haben will und Groenevelt weiter für die mysteriösen Vorkommnisse sensibilisiert.
Kurz darauf erhält der nun verunsicherte Journalist einen geheimnisvollen Brief eines gewissen Joachim Stiller, der von Omen und Vorzeichen spricht, und muss zu seiner zusätzlichen Beklemmung feststellen, dass der Brief nicht nur eine uralte Briefmarke, sondern auch einen Poststempel von 1919, trägt.
Alles wird noch absonderlicher als Freek bei einem Besuch in der Redaktion des Magazins "Die gebrochene Faust", welches zuvor einen Schmähartikel über seine Arbeit veröffentlicht hatte, von der sympathischen Kollegin Simone (Cox Habbema) erfährt, dass auch dort ein Brief eines Joachim Stiller eingegangen ist, der darin bittet, von weiteren Nachstellungen gegenüber Groenevelt abzusehen. So glaubt man dort, dass der wütende Freek höchstselbst eben jener Joachim Stiller sei, was dieser jedoch direkt abstreitet.
In den kommenden Tagen forschen Freek und Simone verstärkt nach Stiller, und stoßen dabei auf einen antiken Folianten aus dem 16. Jahrhundert, der von einem deutschen Theologen und Wanderprediger namens Joachim Stiller stammt, und in dem es um den Weltuntergang geht, welcher bereits in allzu naher Zukunft liegen soll.
Ist Joachim Stiller somit der Herold der Apokalypse? Und was hat es mit den ständigen Erinnerungsfetzen aus Freeks Kindheit im Zweiten Weltkrieg auf sich, die immer wieder in ihm aufsteigen?

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Wie fand ich's?: Harry Kümel ist kein Neuling in diesem Blog. Bereits im April 2013 besprach ich an dieser Stelle seine surreale Mysteryfarce Malpertuis, in der ein junger Matthieu Carrière auf einen in die Jahre gekommenen Orson Welles trifft und eine buchstäbliche Götterdämmerung einleitet. Im selben Jahr legte Kümel zudem sein bekanntestes Werk vor: Les lèvres rouges (B/F/BRD 1971 dt.: Blut an den Lippen), einen schwülen, surrealen Vampirfilm voll erotischer Albträume.
Ein halbes Jahrzehnt später dann folgte The Arrival of Joachim Stiller, eine recht werkgetreue Adaption eines Romans des belgischen Autoren Hubert Lampo, dessen Werk in großen Teilen dem Magischen Realismus zugeordnet wird, einer Literaturgattung, welche sich grob mit "Geerdeter Fantasy im Hier und Jetzt" umschreiben ließe.
So dringt in Kümels Film die mysteriöse Figur des Joachim Stiller in die geordnete und geerdete Welt des Journalisten Freek ein, und öffnet diesem die Augen für eine ihm verborgene Agenda scheinbar höherer Kräfte. Tatsächlich bedienen sich Buch und Film bei einer ganzen Reihe von christlichen Motiven, was aber selbst mir als eingefleischtem Atheisten nicht negativ aufgestoßen ist, sondern dem Gesamtbild lediglich eine wunderbar entrückte Note verleiht und bei dem selbst der etwas späthippie'eske Prolog einem noch ein Lächeln abringt.
Damit bleibt Kümel seiner surrealen Linie treu, wirkt hier aber weit weniger zynisch als in Malpertuis und Les lèvres rouges, sondern viel versöhnlicher und hoffnungsvoller. Gleichzeitig gelingt ihm ein spannender Okkult-Thriller, der über seine nicht eben geringe Laufzeit stringent zu unterhalten versteht und nebenher noch Zeit findet, eine kleine, fiese Groteske über die Vermarktung von Kunst und Kunstschaffenden gleich noch im Vorbeigehen mit abzuliefern.
Ursprünglich fürs belgische TV als Dreiteiler konszipiert, dann zu einem zweistündigen Kinofilm zusammengefasst, kann man nun Kümels Werk als belgische DVD mit einem Zusammenschnitt der drei TV-Episoden auf eine Länge von 153 Minuten auch über hiesige Online-Versender erwerben - ich kann dem nur anraten und träume derweil von einer deutschen OmU-Blu-ray-Veröffentlichung.


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Fazit: Ein leider hierzulande gänzlich übersehenes Juwel des europäischen Fantasyfilms. 

Punktewertung: 9,5 von 10 möglichen Punkten und damit ganz knapp an der Höchstnote!