Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Dienstag, 4. August 2020

Auf dem Highway ist der Nixon los!

Horror House on Highway 5
USA 1985
R.: Richard Casey


Worum geht's?: Los Angeles zu Beginn der 80er. Drei Studenten bekommen von ihrem Professor den Arbeitsauftrag dem Nazi Frederick Bartholomew (ein typischer Name für deutsche Wissenschaftler) in dessen (neuer) Heimatstadt Littletown nachzuspüren, der seinerzeit wohl an der V2 mitgearbeitet hatte.
Dieser hat jedoch gerade ein junges Ehepaar blutig daniedergemetzelt und trägt nun eine Richard-Nixon-Maske über der Mördervisage.
Als Studentin Louise (Susan Leslie) in ihrem roten Polka Dot-Dress wenig später beim seltsamen Dr. Marbuse (ein schon weit typischer deutscher Familienname ... - Phil Therrien) aufschlägt, um diesen nach Bartholomew zu befragen, ahnt diese noch nicht, dass dieser sie schon bald kidnappen und sie daraufhin nach einem bizarren Teufelsritual seinem zurückgebliebenen, ihm hündisch untergebenen Mitbewohner Gary (Max Manthey) als Spiel- und Tanzgefährtin dienen wird.
Und ihren Kommilitonen Mike und Sally ergeht es auch nicht besser, geraten diese mit ihrem eher kläglichen Modellnachbau der V2 praktisch umgehend ins Blickfeld des wahnsinnigen Gummi-Gesicht-Nixons (Ronald Reagen - ehrlich, so steht es in den Credits!), der zwischendurch noch ein unschönes, fatales Intermezzo mit einem Pärchen auf dem Highway hatte ...

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Wie fand ich's?: Es gibt Filme, bei denen man sich als erfahrener Zuschauer nur wundern kann, wie diese jemals das Licht der Projektoren erblicken konnten. Horror House on Highway 5 ist genau so ein Fall, reiht er doch eine unglaubliche Szene an die nächste. Wo sonst gibt es schwarze Messen, bei denen jemand dem Opfer ein Bügeleisen auf die (immerhin) bedeckte Brust drückt? Wo fallen einem der Bösewichte Maden auf den Tisch, welche dieser als ihn befallende Hirnparasiten identifiziert, worauf er sich wenig später wohl zum Schutz einen DIY-Helm aus Pappmaschee aufsetzt, den ein krummes Hakenkreuz ziert? Wo fällt jemand mit dem Kopf auf eine Harke, welche mit zwei Forken in der Stirn stecken bleibt, woraufhin diese Person mit dem Gartenutensil vorm Gesicht durch die Gegend scharwenzelt, bis seine Kollegin ihm das Gerät gegen seinen Willen entfernt und er direkt tot umfällt?
Und dies sind nur wenige Beispiele für einen offenbar mal eben in einer Nacht aus dem speckigen Ärmel geschüttelten Streifen. Tatsächlich berichtet Regisseur Casey jedoch, dass der Film über Jahre hinweg an Wochenenden gedreht wurde und es sich hier damit wohl um ein Herzensprojekt handelt, ähnlich eines Bad Taste, der unter gleichen Bedingungen, wenn auch mit mehr Können, entstand.
Doch ist es vielleicht ebenfalls falsch Horror House on Highway 5 als reine filmische Freakshow zu betrachten (den Reizbegriff Trash möchte ich hier erst gar nicht bemühen), gelingen doch immer wieder stimmige Szenen, welche durchaus (mehr als nur einen unfreiwillig komischen) Eindruck hinterlassen. Da wäre die seltsame, peitschende Geräusche verbreitende, unsichtbare (und dafür produktionstechnisch unglaublich preiswerte) Waffe, mit der Bartholemew in seinen Kellerräumen seine Opfer mürbe macht. Und da ist das äußerst enervierende Ende, welches an einen anderen Klassiker des Slashers gemahnt und so nicht von mir erwartet wurde. Dazwischen gibt es in jeder Szene des Films, in dem ohnehin kaum Leerlauf aufkommt, zahlreiche schräge Details zu entdecken: man achte nur auf die schundigen, gern auf pinken Papier gedruckten, Nazi-Printmedien, welche die Wände im Haus der Bösewichte zieren.
Als Untermalung des Ganzen fungiert ein Score, der britischen Postpunk mit US-Surfpop und (noch passender) Psychodelic-Rock verbindet. Regisseur Casey selbst hatte übrigens 1981 das Video zum Blue Öyster Cult Hit Burnin' for You gedreht - drei Jahre nach dem von ihm höchstselbst verbürgten Beginn der Dreharbeiten zu Horror House on Highway 5 und vier Jahre vor dessen Veröffentlichung anno 1985.
So darf man sich schlussendlich fragen, wie viele und welche Drogen am Set des Streifens die Runde machten, und warum dieser Film eine solch sonderbare Anziehungskraft hat, die ihm bis dato eine kleine Kultgemeinde beschert hat.

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Fazit: Ganz sicher kein großes Kino (wenn man überhaupt von solchem sprechen will), aufgrund seines Unterhaltungswertes und der einzigartigen Stimmung ist meine

Punktewertung: allerdings ganze 7 von 10 möglichen Punkten. Spießige Spaßbremsen und AFD-Wähler sollten die Wertung vielleicht a priori halbieren ...

Donnerstag, 25. Juni 2020

Lieber den Spatz im Sumpf als die Taube auf dem Dach

Sparrows (Sperlinge Gottes)
USA 1926
R.: William Beaudine / Tom McNamara (uncredited)


Worum geht's?: In einem alligatorverseuchten Sumpf betreibt der diabolische Alte Grimes (Gustav von Seyffertitz) mit seiner Frau und seinem sadistischen, jugendlichen Sohn (Spec O'Donnell) eine sogenannte "Baby-Farm". Hier geben arme Familien ihre Kinder zusammen mit dem wenigen, zu erübrigenden Kostgeld ab, andere sind Waisen, welche zusammen mit den erstgenannten die Felder der Farm bestellen und von den Grimes' dafür geradeso am Leben erhalten werden.
Als Mutterersatz fungiert die Heranwachsende Molly (Mary Pickford), welche die wesentlichen jüngeren Kinder durch ihren christlichen Glauben und selbstlose Zuwendung über die Tage bringt.
Jedoch ahnt Molly nichts vom neuesten Plan des Alten, welcher eines dunklen Abends das Baby reicher Eltern kidnapped und in ihre Obhut gibt.
Wenige Zeit später packt Grimes jedoch nach einem Zeitungsartikel die Panik,und er entscheidet kurzerhand, das Kleinkind bei nächster Gelegenheit lebendigen Leibes im Sumpf zu versenken.
Vom Vater losgeschickt, wird die seinem eigenen Sohn überlassene Mordtat von der geschockten Molly verhindert, welche darauf zu allem entschlossen aufbricht, mit den Kindern in der Dunkelheit von der Farm zu flüchten - verfolgt von einem tobsüchtigen Grimes und dessen mörderischen Spießgesellen.
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Wie fand ich's?: Im Jahre 1926 war Mary Pickford (* 1892; † 1979), welche eigentlich Gladys Louise Smith hieß, bereits einer der größten Stars und Großverdiener Hollywoods. 1919 hatte sie zusammen mit Chaplin, D. W. Griffith und ihrem Gatten Douglas Fairbanks die Filmgesellschaft United Artists gegründet und war damit zu einer der mächtigsten Frauen im internationalen Filmgeschäft aufgestiegen.
Pickford war bei ihren Fans besonders in der Rolle des einfallreichen, armen, jugendlichen Mädchens mit den Zöpfen (the girl with the curls) beliebt, eine Figur, die sie bereits in unzähligen (Kurz-)Filmen gespielt hatte, welche aber die nun in ihren Dreißigern Angekommene gern hinter sich gelassen hätte, nun in ihrem vorletzten Stummfilm erneut bedienen sollte.
Auf dem Regiestuhl saß der zu dieser Zeit ebenfalls bereits etablierte William Beaudine (* 1892; † 1970), welcher sich erste Meriten als Assistant-Director bei Pickfords Geschäftspartner Griffith verdient hatte.
Beaudine sollte allerdings mit seinem Star schon bald aneinanderrasseln, beklagte sich Frau Pickford doch, dass ihr Regisseur die Sicherheit am Set stark schleifen ließe und ihr die Alligatoren im actionbetonten Finale gefährlich nahegekommen seien (was andere Stimmen jedoch verneinen). Zur Folge hatten die Streitigkeiten am Set wohl, dass Beaudine an den Rande seiner Belastungsgrenzen gelangte und vorzeitig das Handtuch warf, sodass sein Assistant-Director Tom McNamara die Dreharbeiten beenden musste. Außerdem setzte Pickford Beaudine für weitere Produktionen der United Artists auf ihre ganz persönliche Blacklist, sodass dies sein letzter Film für die aufstrebende Firma sein sollte.
In den ersten Jahren des Tonfilms sollte Beaudine sich in Großbritannien verdingen, nur um nach seiner Rückkehr im Jahre 1937 festzustellen, dass er nun in den USA keinerlei Starstatus besaß und ihm die Studios keine großen Projekte mehr anboten. Durch Steuerschulden und Fehlinvestments in die finanzielle Bredouille geraten, nahm er 1940 ein Angebot zu einer Low-Budget-Produktion an und sollte bis zu seinem Karriereende nur noch B-Filme drehen. Hässliche Kritiker versahen ihn mit dem Spitznamen 'One-Shot' Beaudine, sagte man ihm doch (wohl meist fälschlich) nach, aus Kostengründen stets aus die erste Einstellung zu verwenden.
Seine letzten beiden Filme sollten die direkt hintereinander hinuntergekurbelten Westernhorrorstreifen Billy the Kid versus Dracula (USA 1966) und Jesse James Meets Frankenstein's Daughter (USA 1966) sein, wovon ersterer der einzige Film sein sollte, welchen (B-)Filmlegende John Carradine in späteren Interviews als des Bereuens wert angab.
Mit Sparrows allerdings hatte Beaudine vier Jahrzehnte zuvor ganz großes geschaffen, vereint der Film doch den Deutschen Expressionismus mit einem ersten Wetterleuchten über den unheilvollen Sümpfen des Backwood-Subgenres.
Und wenn in einer (Traum-)Szene zur Mitte des Films der große J. C. persönlich aus dem Himmel steigt, um einen verhungerten Säugling zu sich zu holen, bleibt kein Auge trocken. Ein Beweis für Pickfords eigenen Glauben, und ein Beweis dafür, dass man stets daran Glauben kann, im Stummfilm noch echte WTF-Momente finden zu können!

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Fazit: Ein wiederzuentdeckender Klassiker des amerikanischen Stummfilms von zwei sehr unterschiedlichen Könnern ihrer Zeit.

Punktewertung: 8,75 von 10 hungrigen Mäulern

Montag, 16. März 2020

Rate mal, wer zum Essen stirbt

Quiz
NL 2012
R.: Dick Maas



Worum geht's?: Am Abend nach der Aufzeichnung seiner letzten Show wird der Quizmaster Leo (Barry Atsma) in einem Restaurant beim Warten auf seine Familie von einem Fremden (Pierre Bokma) angesprochen, der ein ganz eigenes, fieses Ratespiel mit dem Fernsehstar spielen möchte.
Der Spielort: Der Tisch beim Nobelitaliener, an dem man sich bereits befindet.
Die Spielregeln: Werden vom Fremden mit jovialer und scheinbar tödlicher Gelassenheit festgelegt.
Der Einsatz: Das Leben von Leos Frau und Kind.
So beginnt ein Spieleabend der etwas anderen Art, welcher für beide Teilnehmer so einige Überraschungen bereit hält.

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Wie fand ich's?: Dick Maas (* 1951) ist vermutlich eine der sträflichst unterbewertetsten Personen des europäischen Genrefilms. Bekannt bei den einen für seine Flodder-Klamotten, ist er anderen vielleicht noch bekannt für seinen erstklassigen Thriller Amsterdamned (NL 1988 dt.: Verfluchtes Amsterdam), oder für seine Horrorfarce De Lift (NL 1983 dt.: Fahrstuhl des Grauens), der Maas selbst 2001 das (zugegeben eher misslungene) US-Remake Down hinterherschickte. Darüber hinaus hat sein Werk leider kaum hiesig viel Aufsehen erregt - weder sein abgefahrener Weihnachtshorror Sint (NL 2010 dt.: Saint), noch der nächtliche, mit US-Stars gepimpte Großstadtkrimi Do Not Disturb (NL/BRD 1999), und erst recht nicht der hierzulande nicht mal veröffentlichte, äußerst spannend geratene Psychothriller Quiz.
Dieser lässt Maas einmal mehr mit einfachen Mitteln einen absolut unterhaltsamen Film abliefern, der vielleicht das Rad nicht neu erfinden mag, sich aber für meine Begriffe wohltuend aus dem Gros der Veröffentlichungen der letzten Jahre abhebt.
Dabei ist Maas erneut absolut unprätentiös, man bekommt als Zuschauer stets dass, was man erwartet, inklusive einiger schöner twists and turns
Vielleicht ist es eben jene Einfachheit, welche ein zeitgenössisches, an laute, grelle CGI-Orgien gewöhntes Mainstreampublikum abstößt, vielleicht ist dies der Grund dass nahezu alle Werke Maas' wertungstechnisch auf Seiten wie IMDb, OFDb und Rotten Tomatoes im Mittelmaß (oder weit darunter) versanden. 
Quiz hat es jedenfalls in den acht Jahren nach seiner Veröffentlichung noch nicht einmal zu einem deutschen Release gebracht, was in diesem Fall auch daran liegen mag, dass man auf hierzulande fast gänzlich unbekannte Darsteller zurückgreift, lediglich Hauptdarsteller Barry Atsma werden einige aus der auf ARTE und im ZDF gelaufenen Erfolgsserie Bad Banks (BRD/LUX 2018) kennen. Jenem stiehlt jedoch in jeder Szene sein Gegenspieler Pierre Bokma als freundlich-diabolischer Psychopath die Schau, dieser könnte einem beim einmaligen Auftritt in einer Tatort-Folge von 1990 schon einmal begegnet sein, ich musste für mich allerdings außerdem feststellen, dass der Franzose Bokma auch eine Nebenrolle im von mir für gut befundenen, ebenfalls niederländischen, Thriller Schneider vs. Bax (NL 2015) innehatte, dessen von mir ebenso sehr verehrter Regisseur Alex van Warmerdam (vgl. Borgman) hierzulande wiederum das gleiche Schicksal wie sein Landsmann Maas teilt - das des ewigen Geheimtipps unter eingeweihten Filmfans. 
Maas bislang letztes Werk Prooi (NL 2015 dt.: Prey) findet dieser Tage dann allerdings doch noch nach einigen Jahren seinen Weg in deutsche Blu-ray-Player. Maas bietet hier eine höchst süffisante, kurzweilige Tierhorror-Comedy zur Schau, welche ordentlichen Splatter mit leider weniger gelungenen CGI-Effekten und einer etwas vorhersehbaren Story bietet. Somit ist Prooi sicher nicht ganz ohne Mängel, soll aber Freunden blutiger Monsterviehstreifen an dieser Stelle ans wilde Herz gelegt werden (meine Wertung: 7 von 10 möglichen bemähnte Menschenfressern).

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Fazit: Ein weiterer gleichermaßen kleiner wie feiner Genrefilm aus der Werkstatt eines leider wenig beachteten Könners.

Wertung: 7,75 von 10 Punkten

Sonntag, 8. März 2020

Someone to hear your prayers - Someone who cares

De komst van Joachim Stiller (eng.: The Arrival of Joachim Stiller)
B/NL 1976
R.: Harry Kümel


Worum geht's?: Antwerpen. Der Journalist Freek Groenevelt (Hugo Metsers) wird Zeuge einiger sonderbarer Vorkommnisse: seltsam gepflegte Straßenarbeiter reißen ohne erkennbaren Grund das Pflaster vor einem Café auf und schließen es direkt darauf einfach wieder, in der Straßenbahn betätigt eine scheinbar unsichtbare Person mehrfach hintereinander das Ausstiegssignal, ohne dass jemand die Bahn verlässt.
Als Groenevelt seine Beobachtungen in einem Zeitungsartikel veröffentlicht, kontaktiert ihn der Leiter des Öffentlichen Dienstes, Schepen Keldermans (Gaston Vandermeulen), der ähnliche Erfahrungen gemacht haben will und Groenevelt weiter für die mysteriösen Vorkommnisse sensibilisiert.
Kurz darauf erhält der nun verunsicherte Journalist einen geheimnisvollen Brief eines gewissen Joachim Stiller, der von Omen und Vorzeichen spricht, und muss zu seiner zusätzlichen Beklemmung feststellen, dass der Brief nicht nur eine uralte Briefmarke, sondern auch einen Poststempel von 1919, trägt.
Alles wird noch absonderlicher als Freek bei einem Besuch in der Redaktion des Magazins "Die gebrochene Faust", welches zuvor einen Schmähartikel über seine Arbeit veröffentlicht hatte, von der sympathischen Kollegin Simone (Cox Habbema) erfährt, dass auch dort ein Brief eines Joachim Stiller eingegangen ist, der darin bittet, von weiteren Nachstellungen gegenüber Groenevelt abzusehen. So glaubt man dort, dass der wütende Freek höchstselbst eben jener Joachim Stiller sei, was dieser jedoch direkt abstreitet.
In den kommenden Tagen forschen Freek und Simone verstärkt nach Stiller, und stoßen dabei auf einen antiken Folianten aus dem 16. Jahrhundert, der von einem deutschen Theologen und Wanderprediger namens Joachim Stiller stammt, und in dem es um den Weltuntergang geht, welcher bereits in allzu naher Zukunft liegen soll.
Ist Joachim Stiller somit der Herold der Apokalypse? Und was hat es mit den ständigen Erinnerungsfetzen aus Freeks Kindheit im Zweiten Weltkrieg auf sich, die immer wieder in ihm aufsteigen?

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Wie fand ich's?: Harry Kümel ist kein Neuling in diesem Blog. Bereits im April 2013 besprach ich an dieser Stelle seine surreale Mysteryfarce Malpertuis, in der ein junger Matthieu Carrière auf einen in die Jahre gekommenen Orson Welles trifft und eine buchstäbliche Götterdämmerung einleitet. Im selben Jahr legte Kümel zudem sein bekanntestes Werk vor: Les lèvres rouges (B/F/BRD 1971 dt.: Blut an den Lippen), einen schwülen, surrealen Vampirfilm voll erotischer Albträume.
Ein halbes Jahrzehnt später dann folgte The Arrival of Joachim Stiller, eine recht werkgetreue Adaption eines Romans des belgischen Autoren Hubert Lampo, dessen Werk in großen Teilen dem Magischen Realismus zugeordnet wird, einer Literaturgattung, welche sich grob mit "Geerdeter Fantasy im Hier und Jetzt" umschreiben ließe.
So dringt in Kümels Film die mysteriöse Figur des Joachim Stiller in die geordnete und geerdete Welt des Journalisten Freek ein, und öffnet diesem die Augen für eine ihm verborgene Agenda scheinbar höherer Kräfte. Tatsächlich bedienen sich Buch und Film bei einer ganzen Reihe von christlichen Motiven, was aber selbst mir als eingefleischtem Atheisten nicht negativ aufgestoßen ist, sondern dem Gesamtbild lediglich eine wunderbar entrückte Note verleiht und bei dem selbst der etwas späthippie'eske Prolog einem noch ein Lächeln abringt.
Damit bleibt Kümel seiner surrealen Linie treu, wirkt hier aber weit weniger zynisch als in Malpertuis und Les lèvres rouges, sondern viel versöhnlicher und hoffnungsvoller. Gleichzeitig gelingt ihm ein spannender Okkult-Thriller, der über seine nicht eben geringe Laufzeit stringent zu unterhalten versteht und nebenher noch Zeit findet, eine kleine, fiese Groteske über die Vermarktung von Kunst und Kunstschaffenden gleich noch im Vorbeigehen mit abzuliefern.
Ursprünglich fürs belgische TV als Dreiteiler konszipiert, dann zu einem zweistündigen Kinofilm zusammengefasst, kann man nun Kümels Werk als belgische DVD mit einem Zusammenschnitt der drei TV-Episoden auf eine Länge von 153 Minuten auch über hiesige Online-Versender erwerben - ich kann dem nur anraten und träume derweil von einer deutschen OmU-Blu-ray-Veröffentlichung.


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Fazit: Ein leider hierzulande gänzlich übersehenes Juwel des europäischen Fantasyfilms. 

Punktewertung: 9,5 von 10 möglichen Punkten und damit ganz knapp an der Höchstnote!

Freitag, 31. Januar 2020

Mehr als nur heiße Luft

Ukradená vzduchlod' (Das gestohlene Luftschiff)
CZ/I 1966
R.: Karel Zeman

Worum geht's?: Prag, zum Ende des 19. Jahrhunderts: Das Zeitalter der Luftschifffahrt.
Fünf minderjährige kleine Jungen kapern kurzerhand ein Luftschiff von einem Ausstellungsstand, nachdem dessen Besitzer die Kinder um ihre zuvor jovial zu Werbezwecken versprochene Gratisfahrt bringen wollte.
Zudem verbreitet man das Gerücht, eben jenes Fluggerät sei mit einem neuartigen, explosionssicheren Gasgemisch gefüllt, was einen benachbarten Kaiserstaat dazu veranlasst, einen Spion zu entsenden, während man den Eltern der Kinder öffentlich den Prozess macht.
Ein findiger Journalist auf einem qualmenden Motorrad macht sich auf, nach den Jungen zu forschen, welche derweil auf einer sonderbaren Insel gestrandet sind, dessen Felsenfeste auch dem legendären Kapitän Nemo zu Zeiten als Unterschlupf dient.

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Wie fand ich's?: Karel Zeman zeigte hier einmal mehr, auf welch hohem kreativen Niveau man in den 60ern in der Tschechoslowakei Kinder- und Familienfilme schuf.
Erneut mixt er - wie z. B. auch schon in seiner vorangegangenen Jules-Verne-Adaption Vynález zkázy (CZ 1958 dt.: Die Erfindung des Verderbens) Animationen mit Realfilm und bewerkstelligt damit auch technisch ein buchstäbliches Abenteuer. So entsteht eine Jules-Verne-Adaption, die in ihren besten Momenten auch den erfinderischen Geist eines anderen großen Vordenkers aufgreift: den des französischen Kinomagiers Georges Méliès, der bereits in den Anfangstagen des Films Menschen zum Nordpol und gar auf den Mond brachte.
Zeman hält seinen, sich ebenfalls wie bei Méliès zahlreicher Filmtricks bedienenden, Film zum Großteil im Ton alter Sepiafotografien, was dem Werk etwas zusätzlich entrücktes, nostalgisches Flair verleiht und ihn klar einer bestimmten Zeit zuordnet. Allerdings macht Zeman damit auch seinem Zuschauer dauernd noch mehr bewusst, ein Kunstwerk - oder vielleicht besser: ein künstliches Werk - vor sich zu haben, weswegen es einem mitunter schwerfällt sich gänzlich in diese zwar wunderschönen aber stets doch sehr artifiziellen Bilderwelten fallenlassen zu können.
Einer von Zemans größten Bewunderern ist - wenig verwunderbar - Terry Gilliam, der Ex-Animateur, 'tschuldigung: -Animator, der Pythons, der sich selbst 1988 an einer Verfilmung der Abenteuer des Baron Münchhausen (UK/BRD orig.: The Adventures of Baron Munchhausen) wagte, welche sein Vorbild Zeman bereits 1962 unter dem Titel Baron Prásil (CZ dt.: Baron Münchhausen) im gleichen Realfilm-trifft-Animation-Stil wie Das gestohlenene Luftschiff realisiert hatte.
Wer also auf der Suche nach einer Jules-Verne-Adaption ist, welche die Visionen des Franzosen in einzigartige Bilder bettet, der sei hier richtig - man sollte jedoch bedenken, dass es sich hier absolut um einen Kinderfilm handelt, welcher in erster Hinsicht auf ein junges Publikum ausgerichtet ist und deswegen inhaltlich sehr geradlinig und wenig tiefschürfend daherkommt. Wer seinen Zeman etwas satirischer und kritischer mag, dem sei an dieser Stelle doch gleich noch dessen Bláznova kronika (CZ 1964 dt.: Chronik eines Hofnarren) ans Herz gelegt, ein wilder Ritt durch den Dreißigjährigen Krieg in Form einer surrealen Farce!

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Fazit: Ein luftiges Abenteuer für alle Jungen und Junggebliebenen!

Punktewertung: 8 von 10

Mittwoch, 13. November 2019

Notas Cinematic 3: Betreff: Kündigung meines Abonnements


Inland Empire
USA F/P 2006
R.: David Lynch

In aller Kürze: Der folgende Text wurde von mir bereits am 16.11.2007 geschrieben und mitsamt einiger kruder Stil- und Rechtschreibfehler auf der Filmseite der OFDb veröffentlicht. Da dieser Text fast prophetisch auch meine Sicht auf die unlängst abgelaufene dritte Staffel der Kultserie Twin Peaks abbildet, hier den Text mit deutlich weniger Fehlern noch einmal in schön:

Lieber David,

gestern habe ich Deinen letzten Opus Inland Empire gesehen.
Ich muss gestehen, dass ich bislang wohl einer Deiner absoluten Fans gewesen bin, aber nun doch meine Mitgliedschaft im Verein der Internationalen-Lynch-Anbeter kündigen will.
Vor dieser uninspirierten Ansammlung von ganz tollen "Experimenten" habe ich Deinem Meisterwerk Mulholland Drive zuletzt noch die Höchstnote gegeben!
Auch Lost Highway davor war ganz super strange und so ...
Und ich mochte stets die surreale Atmosphäre, das Spiel mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, der tollen Musik von Angelo Badalamenti etc ...
Ich muss allerdings gestehen, dass ich eigentlich Eraserhead und Blue Velvet für Deine absoluten Meisterwerke ansehe (beide: 10/10), und ich immer der Meinung war: das einzig Schlechte an Blue Velvet ist diese (gewollt?) ekelhaft farblose Laura Dern. Aber das war in Ordnung, denn Kyle MacLachlans Freundin sollte wohl lediglich einen Konterpart zu Isabella Rosselini darstellen - da passte Laura Dern dann doch noch sehr gut. So vollkommen blass ...
Doch zurück zu Inland Empire.
Du hast aus dem Pilotfilm einer nicht realisierten Serie Mulholland Drive konzipiert und, hey, das lief ja super.
Nun hast Du Dir ´ne Videokamera gekauft und einfach mal so vor Dich hin gefilmt - Experimente nennst Du so was. Auch im Puff in Polen hast du draufgehalten (mit der Kamera natürlich) und hast die Mädels einfach mal improvisieren lassen ... Du Genie!
Dann kam wohl auch Laura Dern des Weges, die ist jetzt 40, wirkt aber wie 50; sie brauchte wohl etwas Kleingeld und hatte einige Tage Zeit ... Tja, und dann hat sie improvisiert ... Und Du hast draufgehalten ...
Ach ja, dann die Idee mit der Hasen-Sitcom! Hui, wie medienkritisch! Du Genie, Du!
Schließlich hast Du alles einfach mal zusammengeschnitten - die Aufnahmen aus Polen, die Hasen und die Dern - und schau: Inland Empire war geboren.
Ein Film, der laut Aussage des Verleihs nur einen roten Faden besitzt: die Angst. Angst hatte ich auch. Dass der Film gar kein Ende nimmt ...
Denn jetzt mal unter uns beiden ganz Intellektuellen: viel Sinn ergibt das nicht. Eigentlich ergibt das sogar überhaupt keinen Sinn! Eigentlich ist das sogar einfach nur total nervendes Freestyle-Geschwurbel eines mal als Genie gefeierten Filmschaffenden, der versucht seine Grenzen auszuloten!! Weniger im künstlerischen, als im kommerziellen Bereich.
Auf Deiner Website verkaufst Du jetzt ja Kaffee... Den hab ich nach 173 Minuten dann wohl auch nötigst gebraucht. Denn von Spannung - keine Spur! Auch von Handlung; oder besser: von einem Handlungsbogen, der den Dreck, ´tschuldigung, die Experimente zusammenhält, ist nach spätestens 20 Minuten keine Spur mehr vorhanden.
Klar es geht um ein verfluchtes Filmprojekt, um polnische Phantome, polnische Zirkusleute, Prostitution (wo wohl? in Polen!) und Riesenhäschen in Hollywood (nicht Polen). Was hast Du eigentlich gegen Polen? Egal.
Früher konnte man Dir Substanz, Eleganz und Anspruch attestieren. Heute: Riesenhasen und polnische Freudenmädchen die zu Do The Locomotion tanzen ...
Die Musik (war da Musik?) hatte Angelo bestimmt letzte Woche beim Renovieren im Keller gefunden. Ist dann auch preiswerter, und so ...
Doch siehe da! Ich muss der Einzige sein, der das so sieht! Die Kritiker lieben Dich! Trotz Einfallslosigkeit und fehlender Inspiration! Du bist halt David fucking Lynch! Ein verdammtes Genie! Dem kauft man alles ab! Ich habe 14.99 € bezahlt! Unbesehen wohlgemerkt! Mach ich nicht noch mal!

Gruß,

Sascha

Mittwoch, 6. November 2019

Erotische Alpträume im feuchten Urwald

Les garçons sauvages (int.: The Wild Boys)
F 2017
R.: Bertrand Mandico



Worum geht's?: Die Insel La Réunion 700 Kilometer vor der Ostküste Madagaskars irgendwann zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.
Nachdem sie in einem enthemmten Rausch aus Sex und okkulter Gewalt den Tod ihrer Lehrerin verschuldet haben, werden fünf pubertierende Jungs von den ratlosen Eltern einem mysteriösen holländischen Kapitän (Sam Louwyck) übergeben, welcher sie auf seinem heruntergekommenen Schiff zu einer eigentümlichen Insel bringt.
Inmitten einer ebenso üppigen wie sonderbaren Vegetation beginnen dort die wilden Jungs langsam ihr Geschlecht zu verändern und manche treffen schon bald auf die weise Bewohnerin Severine (Elina Löwensohn), welche ebenfalls zuvor als Mann die seltsamen Gestade betreten hatte.
Finden sich die einen mit der neuen Identität ab, planen andere die Flucht - doch ist ein Zurück nach derlei tiefgreifenden Metamorphosen überhaupt noch möglich?

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Wie fand ich's?: Bertrand Mandico schuf sich zusammen mit der befreundeten isländischen Regisseurin Katrín Ólafsdóttir im Oktober 2012 ein eigenes Fimmanifest der "Inkohärenz¹", wonach ihre Filme frei von Beschränkungen, auf abgelaufenem Filmmaterial gedreht werden sollen, und dabei immer mindestens zwei verschiedenen Genres zugerechnet werden können. Die Effekte sollten rein "in der Kamera" entstehen, während der Ton stets nachträglich hinzugefügt wird; die Kostüme, Requisiten und Sets stammen aus zweiter Hand und wurden nicht für eben jene Produktion hergestellt.
Auf diese Weise soll ein keiner realistischen Ebene zuzurechnendes surreales Werk entstehen, ganz im Sinne des Dadaismus, der klassischen Surrealisten und anderen Konzeptkünstlern.
Vor seinem Langfilmdebüt mit The Wild Boys war Mandico bereits beinah zwei Jahrzehnte lang im Kurzfilmbereich tätig, so schloss er mit seiner Darstellerin Elina Löwensohn nebenher den Pakt, jedes Jahr einen von am Ende insgesamt einundzwanzig Kurzfilmen zu drehen, um so vom gemeinsamen Alterungsprozess zu profitieren, und auch auf diese Weise die sich über die Jahre verändernden Ansätze und Ansichten im eigenen Schaffen aufzeigen zu können.
Waren Mandicos Filme schon immer von einem absurden und traumwandlerischen Feeling besessen, so gelangt er m. E. nach erst mit Les garçons sauvages zu voller Grandezza.
Mit diesem Film gelingt ihm ein Werk, welches an die nostalgischen Schwarz/weiß-Filme eines Guy Maddin erinnert, dabei William S. Burroughs Hang zum Exzess aufgreift (wessen Roman The Wild Boys: A Book of the dead eine offenkundige Inspirationsquelle für Mandicos Film war, und dessen Verfilmung bereits in den 80ern von Russell Mulcahy in Angriff genommen werden wollte, welches jedoch nur im für den Streifen vorgesehenen Duran Duran Hit gleichen Titels kulminierte) und sich den romantisierten maritimen Motiven des chilenischen Surrealisten Raúl Ruiz bedient, der in seinen Filmen ebenfalls immer wieder Kapitäne, Seemänner und geheimnisvolle (oft metaphorische) Eilande aufgriff.
All dies vermengt Mandico mit einer großen Portion Sex und Spaß am Spiel mit den Geschlechtern, deren Rollen und Befindlichkeiten. Hier werden ungezügelte, gewaltbereite männliche Adoleszenten durch wundersame Weiblichwerdung umerzogen, da kopuliert man mit Pflanzen (ein Motiv aus Burroughs o. g. Roman), nachdem man zuvor die eigene Literaturlehrerin am Ende einer fehlgeleiteten Orgie nackt auf ein Pferd geschnallt hatte.
Über den, mir bei Ansicht des Films noch unbekannten, Besetzungstrick möchte ich hier kein Wort verlieren, nahm ich diesen doch zunächst tatsächlich nicht mal in Ansätzen wahr, und möchte hier dem Leser nicht die nachträgliche Überraschung nehmen, auch, wenn ich mittlerweile mehrfach gelesen habe, dass andere Zuschauer den Gag wohl bereits in den ersten Minuten des Films wahrgenommen haben wollen.
Für die letzte, ebenfalls in Kennerkreisen aufsehenerregende, Regiearbeit seines Freundes Yann Gonzalez, Un couteau dans le coeur (F/MEX 2018 dt.: Messer im Herz; int.: Knife+Heart), einer homoerotisch aufgeladener Giallopastiche, stand Bertrand Mandico übrigens im letzten Jahr ein erstes Mal auch vor der Kamera.
The Wild Boys wurde hierzulande vom feinen Boutiquelabel Bildstörung veröffentlicht. Der Film liegt hier sehr gut untertitelt im Originalton vor, die Bildqualität lässt zumindest bei der mir vorliegenden Blu-ray keine Wünsche offen, und das Bonusmaterial bietet nicht nur vier Kurzfilme auf, sondern kommt auch noch mit Deleted Scenes, dem Trailer, einem Making-of und einem schönen Booklet daher - was will man mehr?

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Fazit: Ein wilder, mit den Gender- und Geschlechterrollen spielender Ritt in die Untiefen der Sexualität und ein schwüles Feuerwerk an Kreativität. Beinah einzigartig im Ton und deshalb fast schon allein eine Betrachtung durch wagemutige Filmfreunde wert.

Punktewertung: 9/10 Punkte - beinah (wenn nicht gar) ein modernes Meisterwerk des entfesselten Kinos.

1. Hier bezieht sich Mandico auf eine französische Künstlergruppe namens Les Arts incohérents um den Schriftsteller und Publizisten Jules Lévy, welche von jenem 1892 in Paris gegründet wurde und bereits die spätere Avantgarde- und Anti-Art-Bewegung vorwegnahm.